Die Gruppe 2

Die Enttarnung des Agenten Manfred Schlickenrieder

Manfred Schlickenrieder ist ein Agent, der für einen oder mehrere Geheimdienste arbeitet. In dieser Eigenschaft gründete er anfangs der 80er Jahre die Gruppe 2 in München. Das erklärte Ziel dieser Struktur war es, sich über Publikationen, Videoproduktionen und ein Archiv in die internationale revolutionäre Bewegung einzuschleusen. All dies geht aus uns zugespieltem Materiat und intensiver Recherchearbeit eindeutig hervor, das wir im Anhang und auf unserer Homepage veröffentlichen. Um unsere Arbeitsweise nicht offenzulegen, können wir unsere Quellen und Recherchemethoden nicht nennen. An der Autenthizität des Materials besteht allerdings nicht der geringste Zweifel. Die definitive Klarheit hat uns Manfred Schlickenrieder selbst geliefert. Um aufkommende Zweifel an der Integrität seiner Person zu zertreuen, übergab er einem Genossen unserer Organisation im August dieses Jahres von ihm angefertigte Dossiers über Personen des Revolutionären Aufbaus und einzelne von ihm verfasste Berichte. Seine Mühe, dieses Material zu entschärfen, war nicht nur vergeblich, sondern im Gegenteil der definitive Beweis für die Authentizität des uns zugespielten Materials. Der Vergleich mit den Originalen bestätigte mit an nichts zu überbietenden Klarheit die Tatsache, dass Manfred Schlickenrieder unter dem Agentennamen „Camus“ seit Jahren minutiös über jedes Treffen, jede Sitzung und jedes Telefonat zu Handen seiner Dienststelle  Berichte verfasste. Und nicht nur das, die von der Gruppe 2 betriebene Videoproduktion ermöglichtes es dem Staatsschutz, Veranstaltungen und Aktionen ungestört zu filmen. Die Fotos in der Kartei über den Revolutionären Aufbau stammen samt und sonders aus solchem von der Gruppe 2 produzierten Videomaterial. Unsere präzise Kenntnis über seine Agententätigkeit beschränkt sich auf (im Verhältnis zur jahrzehntelangen Tätigkeit) weniges,  unsere Organisation resp. einzelne GenossInnen betreffendes Material, geheimdienstliche Dokumente und Unterlagen aus Italien und Frankreich. Bis heute ist es uns nicht gelungen, mit definitiver Sicherheit den oder die Dienste zu bestimmen, für welche Schlickenrieder in den letzten 20 Jahren tätig war. Aufgrund des vorliegenden Materials und der weitläufigen Tätigkeit kommen sowohl der Bundesnachrichtendienst BND, als auch das Bundesamt für Verfassungsschutz BfV in Frage. Die minutiösen Abrechnungen[1] weisen auf eine feste Anstellung hin, der äussest aufwendige Lebensstil Schlickenrieders lässt auf eine doch eher gehobene Stellung schliessen. Aus einem bei Schlickenrieder gefundenen Papier geht eindeutig eine enge Zusammenarbeit mit dem italienischen Geheimdienst SISDE hervor:

 „Was die Wohnung in ORT anbelangt, die die bekannten Name und Name zeitweise bewohnen sollen, und das römische Waffenlager, das Name und Name kennen sollen und aus dem Waffen und Munition beschafft werden können, liegen uns leider noch keine Informationen vor. Wir haben die Anfrage an SISDE weitergeleitet, aber bis jetzt noch keie Antwort erhalten.“[2]

Eine Zusammenarbeit mit dem MAD lief zumindest auf informeller Ebene. Schlickenrieders bester Freund, Karsten Banse, war während langer Jahre MAD-Agent und, nach Angaben von Schlickenrieder, danach ein Mitglied der Gruppe 2. Während seiner Dienstzeit als MAD-Agent wurde gegen Karsten Banse ein Aufsichtsverfahren wegen Bestechung eingleitet, da er vom ebenso bekannten wie berüchtigten Privatagenten Werner Mauss 5’000.—DM erhalten hat, angeblich als Rückzahlung für ein gewährtes Darlehen. Ob Schlickenrieder selber ebenfalls Kontakte zu Mauss unterhalten hat, entzieht sich unserer Kenntnis. Gesichert ist allerdings die Erkenntnis, wonach Banse für Schlickenrieder den Kontakt zum ehemaligen MI6-Agenten Michael „Mike“ Reynolds  hergestellt, hat. Für die von diesem Agenten gegründete Firma „Hakluyt“ wurde die Gruppe 2 auch direkt für das multinationale Kapital tätig und spionierte systmatisch die damals aktiven Anti-Shellgruppen aus. Mehr dazu im nachstehen Kapitel „Die Gruppe 2 im Dienste des imperialistischen Kapitals“.

Um sich ein möglichst umfassendes Bild des von ihm angerichteten Schadens zu machen, publizieren wir alle von uns aufgedeckten Unterlagen über Manfred Schlickenrieder resp. die Gruppe 2 auf unserer Homepage https://www.aufbau.org im Kapital „Orignaldokumente“. Ein Einschätzung über seine Arbeitsmethoden und ein Diagramm dieser nachrichtendienstlichen Struktur dienen dabei sozusagen als Lesehilfe.

Die Aktivitäten Schlickenrieders

Nach eigenen Erzählungen war Schlickenrieder Ende der 70er Jahre in der Münchner Sektion der KPD/ML im lokalen Vorstand. Ebenfalls nach eigenen Aussagen wurde er bereits einmal zu dieser Zeit als Polizeispitzel verdächtig. Bereits in diesen Jahren betätigte er sich auch als Filmer und produzierte im Jahre 1976 die „Pastoralsymphonie“. Nach diesem K-Gruppe-Abstecher infiltrierte sich Schlickenrieder systematisch in die revolutionäre Linke. Systematisch setzte er dabei seine Kenntnisse als Film- und später als Videoproduzent ein. Ein Filmprojekt aus dem Jahre 1980 trägt den sinnigen Namen „Spurensicherung“. Die von ihm ins Leben gerufene Struktur trug in diesen ersten Jahren den Namen „Werkstattfilm und Dokumentation München“, mit Sitz an seiner damaligen Wohnadresse Humboldtstr. 38 in München. Der Name „Gruppe 2“ taucht erstmals 1982 auf einem Flugblatt zu Verhaftungen von RAF-GenossInnen auf. Später, in einer Kurzdarstellung des „Medienprojekts Gruppe 2“ beschreibt Schlickenrieder die Struktur, in der seit Herbst 85

 „zunächst vier, jetzt zwei Kernpersonen, darüber  hinaus ein grösserer oder kleinerer Kreis von Unterstützern und Mitarbeitern, vom bezahlten Uebersetzer bis zum Unterstützer, der Geld in die Produktion investiert.“[3] Als in Arbeit befindliche Projekte werden genannt:

a)      Dokumentarfilm Rote Brigaden

b)      Langzeitdokumentation „Löwenbräu-City“

c)      Originalton- und Musiccassetten „Italienische Lieder der Arbeiterbewegung“

d)      Textdokumentation „Rote Brigaden“.

Der Film über die BR sollte als Einstieg für die Kontakte zur italienischen revolutionären Bewegung dienen. „Für diesen Film wird seit zwei Jahren recherchiert, es fanden drei Kontaktreisen und zweimal Dreharbeiten in Italien statt, im September werden weitere vier Wochen Dreharbeiten erfolgen.“[4] Während dieser Reisen knüpft Schlickenrieder erste Kontakte, die er später vor allem auch über zwei GenossInnen aus dem Revolutionären Aufbau vertiefen will. Dazu einige Zitate aus einem von ihm Ende 94/anfangs 95 verfassten „operativen Planungspapier“.

„Bei den um XY herum gruppierten Personen (eine Aufstellung der hier bekannten mit jeweiligem politischen Hintergrund als Anlage 2[5]) handelt es sich vielach um solche, die aus den terroristischen Aktivitäten der 70er und 80er Jahre in Italien hervorgegangen oder bekannt sind.

….

Beide Personen hatten in der Vergangenheit enge Kontakte zu Personen aus terroristischen Gruppen und Organisationen, machten über lange Jahre Gefangenenarbeit (…) und waren nachweislich am Untertauchen und der Organisierung des illegalen Aufenthalts im Zusammenhang mit terroristischen Aktivitäten gesuchter Personen (…) beteiligt, die sich aus dem Untergrund heraus mit dem Aufbau neuer terroristischer Strukturen befassten .

….

Entsprechend den im Herbst 1994 getroffenen Entscheidungen stellen die unter 1a –f angeführten Personen Gruppen/Personen im internationalen Zusammenhang kurz- und mittelfristig die Schwerpunkte der operativen Planung dar. … Für das eigene Vorgehen ereben sich im Bereich Auslandskontakte die Arbeitsschwerpunkte in der Reihenfolge:

1)      Schweiz und Italien

2)      Belgien

3)      Frankreich

4)      Spanien

Die Reihenfolge ergibt sich zwangsläufig aus der Qualität bereits vorhandener Kontakte, bzw. schon bestehender Zusammenarbeit, die für die Schweiz und Italien jeweils sehr gute Voraussetzungen bieten, in Bezug auf Belgien den eigenen Interessen entsprechend jederzeit ausbaubar sind, für Frankreich und Spanien jeweils kaum vorhanden sind – und deshalb zunächst eher vernachlässigt werden sollten.

Da sich nahezu alle politischen Kräfte/Strukturen auch in Italien u.a. mit grossem Nachdruck der Aufarbeitung der eigenen Geschichte widmen, könnte dies dadurch geschehen, das der in den Jahren 1986/87 in Italien gedrehte – jedoch nie fertiggestellte – Film zur Geschichte des Bewaffneten Kampfes dort wiederaufgenommen wird. Da sehr umfangreiches Material über die gesamte Periode der BR von 1970 bis 1987 bereits vorliegt, könnte bei einer Wiederaufnahme des Projekts sofort mit einer sog. „Aktualisierung“ begonnen werden, d.h. über die Ergänzung durch Interviews und Gespräche könnten beliebig und unmittelbar direkte Kontakte in nahezu allen Bereichen aufgenommen werden. Weder langwierige technische oder redaktionelle Vorarbeiten müssten dazu geleistet werden. Wenn gewünscht oder erforderlich wäre damit auch eine Zugangsmöglichkeit in die Bereiche der Autonomie und/oder neuer Bündnisse/Allianzen vorhanden.“

 

Soweit die Ueberlegungen Schlickenrieders und seiner Hinterleute zum „Italienfilm“, der bereits 1985 an die Hand genommen wurde. Das Filmprojekt war allerdings nur ein Teil der geplanten Infiltration in die revolutionäre Bewegung. Eine weitere Möglichkeit, einschlägige Kontakte zu knüpfen resp. an Adressen zu gelangen, war das Archiv. Ein erstes Lokal mietete Schlickenrieder zu diesem Zwecke  per 1.1.88 an der Sommerstr. 24 in München, monatlicher Mietzins DM 870.–. Im Zusammenhang mit unseren Recherchen hat uns ein Genosse vermittelt, warum viele Leute dieses Archiv in jenen Jahren mieden: Für die Benutzung mussten die Personalien hinterlegt werden…

 

1988 erscheint die erste Nummer der von Schlickenrieders „Gruppe2“ herausgegebenen Zeitschrift –texte-. Unter dem Titel „Klassenkampf oder ‚politische Lösung’? Materialien zur Amnestie-Diskussion“ publiziert die Gruppe 2 eine diffuse Ansammlung unkommentierter politischer Positionen. Ein Herangehen an die damals aktuelle Diskussion, die insbesondere in Italien und der Schweiz bei den involvierten GenossInnen Kopfschütteln auslöste.  Die Publikation verfolgte, wie später auch die Mitpublikation von Rapporti Sociali, zwei Stossrichtungen. Das Sammeln von Adressen

„Da eine weitere Präzisierung zwar verpflichtend ist, in diesem Rahmen jedoch nicht geleistet werden kann, bieten wir all jenen, die an einer erweiterten Information über Positionen und Entwicklung der Diskussion in Italien interessiert sind, diese über unsren Archivdienst an. Auskünfte über die Redaktionsadresse.“[6]

und den Aufbau einer Präsenz innerhalb der revolutionären Bewegung, wie Schlickenrieder dies in einem Rapport festhält:

„Das von Name  für besonders wichtig gehaltene Projekt einer deutschen Ausgabe der RAPPORTI SOCIALI sollte aufgenommen werden. … Die eigene Beteiligung daran würde eingehende Diskussionen und Erörterungen der politischen Standpunkte der Schweizer möglich und erforderlich machen und darüber hinaus personelle Erkenntnisse über Name hinaus erbringen. Darüber hinaus handelt es sich bei den RAPPORTI SOCIALI um das (jedenfalls nach aussen erkennbare) gemeinsame Projekt aller vorgenannten Gruppen/Organisationen. Die Arbeit an der Ausweitung der internationalen Edition (italienisch, französisch, englisch) um eine deutsche Ausgabe würde also gleichzeitig die Option auf direkte Kontakte zu den jeweiligen Herausgebern – vor allem natürlich Name in Italien – eröffnen. Die Teilnahme an den internationalen Treffen … wäre automatisch gewährleistet. Bei einem Erscheinen einer deutschen Ausgabe, bzw. Nummer 1 in deutscher Sprache wäre durch die Uebernahme des Vertriebes dafür in der BRD ausserdem das Erkennen der diesbezüglichen Kontakte aus der Schweiz bezw. Aus Italien (z.Zt. zentral über Aufbau-Vertrieb Zürich) möglich.“[7]

Die Zeitschrift –texte- erscheint in der Folge in unregelmässigen Abständen, wobei der Themenschwerpunkt ganz im Sinne von Schlickenrieders Auftrag bestimmt ist. Publiziert werden fast ausschliesslich Texte bewaffneter Gruppen. Die eigene „politische Position“ beschränkt sich bis zur letzten Nummer 8, die 1995 unter dem Titel „Bewaffneter Kampf, revolutionäre Politik und Parteiaufbau heute in Europa, Dokumentationen zur Zeitgeschichte“.  Die Gruppe 2 publiziert in diesen Jahren zahlreiche andere Schriften, so z.B. die Uebersetzung der Texte der belgischen CCC „La flèche et la sible“. Weiter produziert die Struktur zwei Videofilme, zur Geschichte von Mumia Abu Jamal und zur historischen Entwicklung der RAF, unter dem Titel „was wären wir für Menschen ?“.

Unsere Geschichte mit M.S. und der Gruppe 2

Unsere Kontakte zu M.S. beginnen Mitte der 80er Jahre, also lange vor der Gründung des Revolutionären Aufbaus im Jahre 1992. Eine Genossin lernte ihn anlässlich von Dreharbeiten  mit dem Black Panther Aktivisten Dorouba in der BRD kennen. Die Kontakte blieben in der Folge eher lose, man kannte sich, ohne allerdings konkret zusammen zu arbeiten. Anfangs 93 intensivierte sich der Kontakt zur Gruppe 2, der hauptsächlich durch die Genossin und einen Genossen, beide vom Aufbau-Vertrieb,  aufrecht erhalten wurde. Das Interesse von Schlickenrieder an den beiden GenossInnen ist rückblickend alles andere als ein Zufall, da beide über gute Kontakte zur internationalen kommunistischen Bewegung verfügten und diese im Rahmen ihrer internationalistischen Tätigkeit auch regelmässig pflegten.

Konkret ging es um den Vertrieb der Zeitschrift „Subversion“ und, ab Ende 93, um die Uebersetzung und Herausgabe einer deutschen Uebersetzung der italienischen kommunistischen Zeitschrift „rapporti sociali“. Wir teilten die meisten politischen Positionen und insbesondere auch die Analyse der kapitalistischen Krise der GenossInnen von „rapporti socilai“ und arbeiteten deshalb seit Jahren mit dieser Gruppe zusammen. Das Angebot von M.S., die Uebersetzung und den Druck einer deutschen Ausgabe von „rapporti sociali“ zu organisieren, kam uns daher äusserst gelegen. Italienische und französische Ausgaben der Zeitschrift lagen zu diesem Zeitpunkt bereits vor. Und gerade in der BRD war eine von den objektiven Bedingungen ausgehende marxistische Analyse der Situation von grösser Bedeutung. M.S. organisierte die Uebersetzung, wir kontrollierten die übersetzten Texte und verfassten das Vorwort als schweizerische Herausgeber. Dass die Texte für teures Geld von professionellen UebersetzerInnen angefertigt wurden, haben wir erst im nachhinein erfahren. Zusammen mit dem ebenfalls von Schlickenrieders Dienststelle finanzierten Druck muss diese Nummer weit über 10’000 Mark gekostet haben. Wie wir heute aus den von Schlickenrieder in dieser Zeit verfassten operativen Vorschlägen wissen, war dies sozusagen das Eintrittsbillet in die internationale kommunistische Bewegung.

„Das von Name für besonders wichtig gehaltene Projekt einer deutschen Ausgabe der RAPPORTI SOCIALI sollte aufgenommen werden. … Die Teilnahme an den internationalen Treffen  … wäre automatisch gewährleistet.“

Zwar fiel uns in all diesen Jahren auf, dass Schlickenrieder in seinen Publikationen im Grunde nie eine fundierte politische Meinung zum Ausdruck brachte. Auch in Diskussionen riss er zwar Fragestellungen an (hierbei kam im seine K-Gruppen-Schulung zu Hilfe), ohne diese aber zu vertiefen oder bei einem nächsten Treffen seriös darauf zurückzukommen. Wir erklärten uns dies als Folge seiner Arbeitsweise. Einer, der relativ isoliert in seinem Büro vor sich hinwurstelt und ein wenig kauzig ist. Die geografische Distanz und die Verschiedenheit der politischen Realitäten zwischen der Schweiz und Deutschlang standen einer gemeinsamen Praxis im Wege. Eine solche Praxis hätte dieses Verhältnis natürlich sofort verändert, da diese eine profundere politische Auseinandersetzung zwingend erheischt.

Vor rund vier Jahren fiel uns auf, dass sein Pragmatismus immer ausgeprägter wurde. Damit einhergehend war eine immer grössere Unzuverlässigkeit unübersehbar. Wir hatten damals das Gefühl, Schlickenrieder würde sich entpolitisieren, er sei von dem langjährigen alleine Arbeiten schlicht und einfach ausgelaugt. Und, wir fragten uns auch, ob mit dieser Gruppe 2 wohl wirklich alles ok sei.

Um aufkommendes Misstrauen zu zerstreuen, erzählt Schlickenrieder gegenüber einem Genossen des Revolutionären Aufbaus von seinen Beziehungsproblemen, die ihm zu schaffen machen würden. Auf die konkrete Anfrage, wie es denn um die Gruppe2 stünde, legte er folgende Version dar: Diese Struktur habe sich vor Jahren gegründet und auf dem Hintergrund des Deutschen Herbst 77 beschlossen, teilweise verdeckt zu arbeiten. Konkret sei beschlossen worden, nur eine Person, eben Schlickenrieder, offen auftreten zu lassen. Der Rest halte sich im Hintergrund, diskutiere politisch und verpflichte sich zur finanziellen Unterstützung des Projekts. Des weiteren würde die Struktur über den Film- und Geräteverleih finanziert. Er halte dieses Konzept der Klandestinität aber heute für falsch und zudem hätten sich die anderen Leute längst aus der Politik zurückgezogen. Er werde sich daher aus der Gruppe 2 zuürckziehen und versuchen, die Struktur zu übernehmen.

Von unserer Seite kam damals der Vorschlag, die verbliebene Gruppe 2 dem Revolutionären Aufbau anzugliedern. Schlickenrieder zeigte sich darüber anfangs nur mässig begeistert und unter verschiedensten Vorwänden und Ausreden verzögerte er diese Diskussion. Rückblickend ist uns sein Verhalten klar geworden. Er scheute davor zurück, eine zu enge Bindung mit uns einzugehen, hätte diese doch vertieftere politische Auseinandersetzungen und eine konkrete Praxis mit sich gebracht. Es war denn auch kein Zufall, dass die ganze Eiterbeule keine zwei Monate nach seinem Eintritt in unsere Organisation geplatzt ist.

Daraus wird aber auch klar: Schlickenrieder konnte über all diese Jahre nur deshalb so gut funktionieren, weil u.a. wir immer weniger vertiefte Diskussionen mit ihm gesucht haben. Unser Interesse reduzierte sich mehr und mehr auf das von ihm zur Verfügung gestellte deutschlandweite Vertriebsnetz. Da war man halt schon mal gewillt, über Unzulänglichkeiten oder Oberflächlichkeiten hinwegzuschauen. Hauptsache, der technische Ablauf des Vertriebs stimmte. Eine solche Haltung kann nicht genug bekämpft werden.

Die Gruppe 2 als Söldner des imperialistischen Kapitals

1996 erhielt Schlickenrieder über seinen MAD-Freund Karsten Banse ein Angebot der Firma Hakluyt in London. Die Firmenphilosophie des von zwei ehemaligen MI6-Agenten, Mike Reynolds und Christopher James, gegründeten Unternehmens lässt keine Zweifel offen:

„The idea was to do for industry what we had done for the goverment“.[8]

Dieses offenherzige Statement von Firmenmitbegründer James heisst, frei übersetzt, kurz und bündig: Wir leisten unsere Spitzeldienste jetzt nicht mehr für die Regierung, sondern direkt für das Kapital. Ob Schlickenrieder dieser Firma seine Dienste aus reiner Geldgier oder im Auftrage seines eigenen Brötchengebers angeboten hatte, entzieht sich unserer Kenntnis. Tatsache ist allerdings, dass die letzten uns bekannten Rapporte an seinen Dienst von anfangs 99 datieren[9]. Wie dem auch sei, 1996 erhält Schlickenrieder von der Firma Hakluyt den Auftrag, Material über die Anti-Shellgruppen zusammenzutragen. Es braucht nicht allzuviel Fantasie herauszufinden, für wen die Hakluyt diese Informationen brauchte, zumal im Verwaltungsrat der Hakluyt ein „former chairman of Royal Dutch Shell[10]“ einsitzt. Zum damaligen Zeitpunkt ist die Firma Shell mit gutem Grund über die Aktivitäten verschiedenster Gruppen beunruhigt, lief doch wegen der Ermordung von Ken Saro Wiwa in Nigeria und wegen der Versenkung der Brent-Spar-Plattform eine breite Kampagne gegen den Multi.

Für seine Spitzeltätigkeit für die Firma Shell weiss Schlickenrieder das linke Image der für Videoproduktionen bekannten Gruppe 2  (was wären wir für Menschen…[11]) trefflich einzusetzen. Von Greenpeace über die Grünen bis hin zu autonomen Gruppen quetscht er die Leute über bevorstehende Aktionen gegen die Shell aus.

Die Korrespondenz zwischen den beiden Agenten Reynolds und Schlickenrieder lässt an Deutlichkeit über die Absichten nichts zu wünschen übrig. So mailt der perfekt Deutsch sprechende Mike Reynolds unter dem Titel „Neues vom Westen“ am 8.5.97 an den „lieben Manfred“:

„Am nächsten Montag (Pressesperre bis 00.01 am 12ten Mai) geht die Kampagne in die naechste Phase mit der Erscheinung (hier) eines 64-seitigen Berichts über Klimaschutz und die absolute Notwendigkeit keine neue Oelförderung zu betreiben bis ALLE schon angezapften Resourcen ausgeschöpft sind.

Der Autor des Berichts von Greenpeace UK – englischer Titel „Putting The Lid on Fossil Fuels“ ist Chris Rose, der sogenannte Campaigns Director. Ich kann Dir (noch) keine Kopie schicken, habe selbst keine mehr, denn ich habe ein urfrisches erstes Exemplar noch nass von der Druckerei an den Kunden weitergeleitet. Nach Montag bekommst Du eine Kopie von mir.

Hier, wie in Deutschland, gibt es keine nennenswerten Anzeichen dafür, dass etwas in nächster Zeit stattfinden wird. Das MV Greenpeace hat ein paar Manoeuver in der Nähe des Oelfeldes gemacht aber sonst nichts – momentn  sitzt sie in einem Hafen an der Shetlands Küste.

Konkrete Frage: in der Diskussion darüber, ob ein bestimmtes Unternehmen in der Brent Spar Art und Weise angegriffen werden sollte, gab es überhaupt einen Meinungsaustausch über die rechtlichen Aspekte? Wenn der Kunde zum Beispiel vor Gericht klagt (wegen verlorener Produktion), was kann GP machen, um sein Vermögen vor dem Konkurs zu retten? Ich würde gerne die Meinungen Deiner Informanten darüber wissen, auch wenn es eher allgemein ist und nicht unbedingt speziell unsere Sache. Aber das letztere ist natürlich von höchster Bedeutung.

Soviel für heute – sei gegrüsst

Mike“[12]

Oder, ein am 10. September 97 verfasster Bericht von Schlickenrieder an Reynolds, dessen erste Seite leider in der Hitze des Gefechts schlecht abkopiert wurde:

„…Nach Magdeburg weden wir wohl die Entwicklung des gesamten Netzwerkes für eine längere Zeit gut und zuverlässig voraussagen können, zduem es dort auch „international“ besetzt sein wird.

Das sind im wesentlichen die Ergebnisse. Aber: Für unsere Kunden sind „keine Nachrichten“ ja letzten Endes eher „gute Nachrichten“.

2) zu unseren grünen Freunden in Hamburg

Ich habe die Gelegenheit Hamburg genutzt, um mit (unabhängig voneinander) zwei Leuten über die derzeitige Lage im Haus zu sprechen. Was von beiden Seien berichtet wurde – und deshalb im wesentlichen wohl zutreffend sein dürfte – ist:

Die Stimmung und Einschätzung der bisher (in der uns interessierenden Kampagne) gelaufenen Unternehmen der grünen Krieger ist nicht gut. Im „inner circle“ gab es zwei Meetings zu diesem Thema, deren Tagesordnung und Inhalt uns nicht bekannt ist. Bekannt ist aber im Haus innerhalb eines bestimmten Personenkreises, dass

1) die kampagnenbezogene Oeffentlichkeitsarbeit nicht den Erwartungen entsprechende Ergebnisse gebracht hat. Die Berichterstattung in den Printmedien war weit unter den Einschätzungen. Selbst die dem Haus wohlgesonnenen Zeitungen haben zu den Atlantikaktionen nur in kleiner Aufmachung berichtet und keine kontinuierlichen Meldungen gebracht. Besonders schlecht war nach Ansicht der Krieger, dass nahezu keine Hintergrundartikel erschienen, die Aktionen also für weite Teile der Leserschaft ur oberflächlich vermittelt wurden. Selbst eine der „Hauszeitungen“ – die GP-freundliche taz – hat enttäuschend wenig gebracht und druckfertige Vorarbeiten aus Hamburg (bisher jedenfalls) nicht verwendet.

….

Kritik gab es dem Verlauten nach auch an dem mangelnden Einbinden der (örtlichen) „Kontaktgruppen“. Sie wurden im Thema nahezu nicht aktiv.

Es wird übrigens – unabhängig von dieser jetzigen Sache – darüber gesprochen, dass im Haus ein Papier existiert, in dem grundsätzliche Aspekte der GP-Arbeit zwischen den internationalen GP-Dependancen diskutiert werden und das angeblich auf dem kommen Jahrestreffen eine Rolle spielen soll.

Der Richtigkeitsgehalt lässt sich im Moment – im Gegensatz zum „Stimmungsbericht“, der m. Erachtens und bei aller Vorsicht im Hinblick auf die früheren Schieflagen zutreffend ist – natürlich nicht beurteilen, es spricht aber einiges dafür, dass zumindest irgendetwas in diesr „grundsätzlichen“ Richtung tatsächlich existiert.

Soweit die Gratisbeilage „Stimmungsbericht“ aus Hamburg.

In der laufenden Sache 1) gibt es jetzt ab Ende September wieder mehr Aktivität hier – und damit sicher auch mehr berichtenswertes.

Soweit für heute, vielleicht sehen wir uns ja nächste Woche. Ansonsten wie immer: Bei Rückfragen Anruf.

Herzliche Grüsse

M“[13]

Der Charakter der von Schlickenrieder getätigten Recherchen ist eindeutig. Ermittelt werden soll die Einschätzung zu bereits durchgeführten Kampagnen, geplante Aktionen und die „Stimmungslage bei den grünen Kriegern“, in concreto Greenpeace Hamburg.

Um ja keine Verdacht über die Struktur Gruppe 2 aufkommen zu lassen, ging der Agent Schlickenrieder so weit, mit einem kleinen Teil des in dieser Zeit zusammengetragen Materials einen Ant-Shell-Film mit dem sinnigen Titel „Business as usual“ zu produzieren. Der Film wurde in der Folge an einigen wenigen Veranstaltungen in der BRD vorgeführt. Gegenüber der Revolutionären Aufbau Schweiz verschwieg Schlickenrieder die Existenz dieses Filmes und verzichtete konsequenterweise auf eine Ankündigung in unserer Zeitung resp. auf unserer Homepage.

Kasten: Schlickenrieders aufwendiger Lebensstil:

Wohnungsmiete Claude Lorrainestr. 35a, München          1’800.—                                             

Büromiete Fasanenstr. 142, Unterhaching         1’700.—

Krankenversicherung privat         1’000.—

Leasing-Rate VW Sharon grün     600.—

Versicherung/Unterhalt BMW Z3, schwarz (!)           500.—

Monatliche Spesen (gemäss Abrechnung)         1’650.—

Total also rund 7’250 Mark Fixkosten, mit Essen, Kleidung, Ferien etc. kann von einem monatlichen Budget von rund 10’000.—Mark ausgeganen werden.         


[1]  Reise-, Fahrzeug- und Sonderkosten, Monat Dezember 98 und Dezember 96 (Anhang)

[2]  zitiert aus der gefundenen Namensliste italienischer GenossInnen (Anhang)

[3]  Medienprojekt „gruppe 2“ – Kurzdarstellung, 12.7.87

[4]  a.a.O.

[5] bei dieser Anlage handelt es sich vermutlich um die Karteikarten über die zahlreiche italienische GenossInnen

[6] Zitiert aus den „Vorbemerkungen zu dieser Dokumentation“, -texte- Nr. 1

[7] Zitiert aus Schlickenrieders Rapport „strategische Ueberlegungen“, siehe Anhang

[8] Financial Times 23.3.00, „Master of the great game turn to business“

[9] Kontaktbereicht vom Januar 99 und Spesenabrechnung per Dezember 98

[10] Financial Times 23.3.00

[11] Titel des von der Gruppe 2 produzierten Films über die Geschichte der RAF

[12] Mail von mike reynolds, [101620,3364] an manfred schlickenrieder, [101727,2454], Anhang

[13] Bericht von Schlickenrieder an Reynolds vom 10.9.87, Zur Stimmung bei den grünen Kriegern (Anlage)