Handgranaten unter Eiern und Milch

Diesen Artikel veröffentlichten wir in unserer aufbau-Zeitung Nr. 41 (Herbst 05):

Handgranaten unter Eiern und Milch

 

VORWÄRTS UND NICHT VERGESSEN Frauen spielten in ganz Europa eine entscheidende Rolle im Widerstand gegen den Faschismus. Es waren nicht wenige, doch hielten viele Frauen ihren Widerstand für nichts Aussergewöhnliches.

 

(agf) „Wir haben ja gar nicht viel gemacht.“[1] Aussagen wie diese von Chaika Grossman treffen wir häufig an, wenn wir Berichte von Frauen, die sich dem Nationalsozialismus widersetzten, lesen. Von Spanien über Frankreich bis in die Ghettos von Osteuropa, bei Titos Partisaninnen in Jugoslawien, in den Niederlanden und Griechenland waren Frauen an den Kämpfen beteiligt.

 

Der Gedanke daran, dass ihr Engagement mit Haft oder Todesstrafe hätte enden können und in vielen Fällen auch tat, hielt sie nicht davon ab. Trotz ihrer grossen Leistungen, ist der Bereich des Frauenwiderstandes gegen den Nationalsozialismus immer noch sehr wenig erforscht. Ein wichtiger Grund dafür ist sicher, dass Frauenwiderstand meist weniger sichtbar und weniger spektakulär war als der der Männer. Frauenspezifischer Widerstand bestand meist nicht darin, mit der Waffe in der Hand zu kämpfen oder Aktionen durchzuführen. Er spielte sich im Alltag ab, denn bestimmte Aufgaben konnten oft nur erfolgreich ausgeführt werden, wenn die ausführende Person unerkannt blieb und im System weiter funktionierte. Sie bewegten sich in der Legalität und waren somit das Verbindungsglied zwischen dem „normalen“ Leben und dem Untergrund. Dass geschlechtsspezifische Merkmale von Widerstand existieren, wurde in der Geschichtsschreibung lange ausgeblendet. Frauen werden – mit Ausnahme einzelner „Heldinnen“ – eher am Rande oder in helfender, zuarbeitender Position erwähnt. Sie kamen vielfach auch nicht in den Genuss von Ehrungen oder Entschädigungen – dort wo es solche überhaupt gab. Rachel Cheigham, Aktivistin der Armée Juive in Nizza, formuliert diese auch von Frauen verinnerlichte Minderbewertung so: „Die Männer, die direkt gegen den Feind gekämpft haben, in der direkten Konfrontation, haben nicht mehr gemacht als die Frauen, aber sie haben das Bewusstsein, gekämpft zu haben. Die Frauen haben nicht das Gefühl gekämpft zu haben. Sie haben den Eindruck, sie haben getan, was getan werden musste. […] Mit Auszeichnungen wurden nach dem Krieg die Männer dekoriert, nicht die Frauen.“ Nach Jahren unermüdlicher Aktivität, großer Verantwortung und hohem Risiko wurden viele der Frauen nach 1945 zurück an den Herd gedrängt.

 

Organisatorinnen und Fluchthelferinnen

Eine Frau, die die Mittlerfunktion hervorragend beherrschte, war die eingangs zitierte Chaika Grossman. Sie war die Anführerin des jüdischen Widerstandes im von Deutschland besetzten Polen im Ghetto von Bialystok (Ostpolen), das im September 1939 von der Wehrmacht besetzt wurde. Chaika Grossman war bei Haschomer Hatzair organisiert, welche zu Hechalutz, der linkszionistischen Jugendbewegung gehörte. Das Ziel von Haschomer Hatzair, die sich als marxistisch und zionistisch zugleich begriff, war eine breite Einheitsfront zwischen kommunistischen, sozialistischen und religiösen Kräften gegen den Faschismus aufzubauen. Den Höhepunkt sollte ein Aufstand im Ghetto bilden, bei dem möglichst viele Menschen mit dem Leben davon kommen sollten. Leider misslang dieses Vorhaben, es kam zu einer blutigen Niederschlagung des Aufstandes und zur Liquidierung des Ghettos. Nach Abtransport der EinwohnerInnen blieben sechs junge Frauen zurück, die gegen die SS kämpften. Sie entkamen und schlossen sich den jüdischen Partisanen in den Wäldern an. Zu ihnen gehörte auch Chaika, an deren Beispiel deutlich wird, dass es natürlich auch Frauen gab, die bewaffnet kämpften.

 

Die Hauptaufgaben von Chaika Grossman vor dem Aufstand waren der Informationstransport von Ghetto zu Ghetto und die Überzeugung anderer Gruppierungen, ebenfalls am Widerstand teilzunehmen. Sie lebte mit gefälschten Papieren ausserhalb des Ghettos, so war es ihr als Jüdin zu arbeiten und vor allem auch zu reisen. Kurierdienste gehörten zu den Aufgaben, die fast nur von Frauen übernommen werden konnten. Sie konnten sich besser verkleiden, sie konnten besser Theater spielen und sie wurden vor allem, zumindest zum Anfang, weniger verdächtigt, da man ihnen weniger zutraute. Die Bedingung für diese Arbeit war allerdings, dass die junge Frau arisch aussah und fast übermenschlich starke Nerven hatte. Selbstverständlich dienten die Kurierdienste nicht nur der Übertragung von Informationen, sondern auch zum Transport von Waffen, Sprengstoff oder Flugblättern. Weitere Tätigkeiten, durch die vornehmlich Frauen Widerstand leisteten, waren zum Beispiel Fluchthilfe, zu der auch die Beschaffung von Kleidung, Landkarten und Lebensmittelkarten gehörte.

 

Kommunistische und jüdische Jugendbewegung

Auffallend ist, dass Frauen im jüdischen Widerstand nicht nur in Polen eine grosse und entscheidende Rolle spielten. Ingrid Strobl begründet diese Tatsache damit, dass in den politischen Jugendorganisationen Mädchen und Jungen relativ gleichberechtigt zusammen waren. So war es quasi logisch, dass sie zusammen den Widerstand organisierten. Vor allem in der kommunistischen Partei Polens spielten Frauen eine grosse Rolle. Es war ganz normal, dass eine Frau Revolutionärin ist und auch im Gefängnis landen konnte.

 

Die Mehrheit der Frauen im Widerstand waren schon in der Weimarer Republik politisch aktiv, sie kamen hauptsächlich aus dem Proletariat und rekrutierten sich aus der kommunistischen Bewegung, dem Kommunistischen Jugendverband Deutschlands (KJVD), der 1933 von den Nazis verboten wurde. Der KJVD suchte die Zusammenarbeit mit katholischen und jüdischen Jugendgruppen um gemeinsam gegen den Faschismus zu kämpfen. Ein Beispiel hierfür ist die Berliner Gruppe um Herbert Baum, sie erscheint als Vernetzung mehrerer politisch organisierter Freundeskreise aus der jüdischen und kommunistischen Jugendbewegung. Ihre Mitglieder waren 20-30 Jahre alt und der Anteil von Mädchen und Frauen war sehr groß. Die Gruppe leistete Schulungsarbeit, erstellte Flugschriften und suchte Kontakt zu anderen Widerstandskreisen. Letzte Aktion wurde ein 1942 verübter Brandanschlag auf eine antisemitisch-antisowjetische Propagandaausstellung der NSDAP. Eine gleichzeitige Flugblattaktion, an der auch Mitglieder anderer Widerstandsgruppen (Rote Kapelle) beteiligt waren, sollte zusammen mit dem Brand ein Zeichen setzen, dass es Widerstand gegen den Nationalsozialismus gab. Auf den Zetteln stand: „Ständige Ausstellung – das NAZI-PARADIES – Krieg. Hunger. Lüge. Gestapo. Wie lange noch?“

 

Als Reaktion führte die Gestapo eine beispiellose Massenverhaftung unbeteiligter Berliner Juden durch. Die verhafteten Jugendlichen, darunter elf Frauen wurden wegen „Hochverrats“ angeklagt. Einige wurden in Berlin-Plötzensee hingerichtet, andere in Konzentrationslagern ermordet.

 

Der Nachruhm der Gruppe Herbert Baum war gering, gemessen an der Anteilnahme, die dem Protest z.B. der „Weissen Rose“ zuteil wurde. Die Nationalsozialisten versuchten die Widerstandsaktionen geheim zu halten und ganz in dieser Tradition setzt sich heute die bürgerliche Geschichtsschreibung fort. Kommunistischer und jüdischer Widerstand wird größtenteils verschwiegen und somit auch jener der Frauen, die dort stark vertreten waren und eine wichtige Rolle spielten.


 

[1]Grossman, Chaika. Die Untergrundarmee: der jüdische Widerstand in Bialystok: ein autobiographischer Bericht. Frankfurt a.M. 1993. S.15

 

Literatur:  

Grossman, Chaika. Die Untergrundarmee: der jüdische Widerstand in Bialystok: ein autobiographischer Bericht. Frankfurt a.M. 1993.

Strobl, Ingrid. „Sag nie, du gehst den letzten Weg“: Frauen im bewaffneten Widerstand gegen Faschismus und deutsche Besatzung. Frankfurt a.M. 1989.

Dawidson-Draengerowa, Gusta. Tagebuch der Justyna. Berlin, 1999

Goldkorn, Dora. Erinnerungen an den Aufstand im Warschauer Ghetto. Hrsg. von Arnold Zweig, Berlin, 1960

Szepansky, Gerda. Frauen leisten Widerstand: 1933-1945.

Wickert, Christl (Hg.). Frauen gegen die Diktatur: Widerstand und Verfolgung im nationalsozialistischen Deutschland. (Schriften der Gedenkstätte Deutscher Widerstand. Reihe A, Analysen und Darstellungen ; Band 2). Berlin 1995.

Karin Berger/Elisabeth Holzinger/Lotte Podgornik/Lisbeth N. Trallori:Der Himmel ist blau. Kann sein. Frauen im Widerstand, Österreich 1938-1945. Wien,1985. und der von denselben Autorinnen gedrehte Film: „Küchengespräche mit Rebellinnen“ (80 min., Farbe), Produktion Medienwerkstatt Wien, Österreich, 1984