Zu Hause nichts Neues

Dieser Artikel zu Gleichstellung erschien in der aufbau-Zeitung 42 (Feb. 06):

Zu Hause nichts Neues

GLEICHSTELLUNG Das Private ist nicht nur politisch sondern auch ökonomisch. Der private Charakter der Reproduktionsarbeit und die Arbeitsteilung zwischen Frau und Mann machen Gleichstellungsgesetze zu einem grossen Teil nichtig.

(fk) Der Kapitalismus hat es geschafft, Gleichstellungsgesetze zwischen Frau und Mann in die Verfassung aufzunehmen. Die Hauptursachen für die mehrfache Ausbeutung und Unterdrückung der Frauen konnte er allerdings nicht beseitigen: Die private Haus- und Familienarbeit und die Arbeitsteilung zwischen Frau und Mann. Die bürgerliche Gesellschaft ist weit davon entfernt die vieldiskutierte „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ für die Frauen der proletarischen Klasse umsetzen zu können.

Neues und Altes

Das Leben der Frauen in der Schweiz ist heute geprägt durch ein gleichzeitiges Nebeneinander von Fortschritten und Rückschritten. Bei der Bildung hat sich am meisten in Richtung „Gleichheit“ gewandelt, obwohl bei der Berufswahl noch immer weitgehend dem traditionellen Muster gefolgt wird; ein Fortschritt ist die endliche Umsetzung der Mutterschaftsversicherung; im Erwerbsleben verzeichnen wir sowohl Fortschritte wie Rückschritte; und bei der Haus- und Familienarbeit ist alles beim Alten geblieben. Die neueste Studie über Fortschritte und Stagnation in der Gleichstellung der Geschlechter belegt diese Behauptung anhand eindrücklicher Zahlen.

60-80 Stundenwochen

Dass im Laufe von nur drei Jahrzehnten die Erwerbsanteile der 25-54-jährigen Frauen von 40% auf 78% hochschnellten, ist erfreulich, denn ein eigener Lohn ist die Grundlage für eine unabhängigere Lebensgestaltung. Doch durch die zunehmende Berufstätigkeit der Frauen wurde die nachhaltige Wirkung der geschlechtsbezogenen Arbeitsteilung von Erziehungs- und Erwerbsarbeit zwar modifiziert, aber keineswegs aufgehoben. Die Doppelbelastung durch Erwerbs- und Hausarbeit ist insbesondere bei erwerbstätigen Müttern dramatisch. Der Wunsch vieler Frauen nach Beruf und Familie muss mit einer sehr hohen Gesamtarbeitsbelastung erkauft werden – wenn sie denn eine Wahl haben. Denn statistisch gesehen sind Frauen die beides haben – Familie und Beruf – meistens Verkäuferinnen, Pflegefachfrauen, Putzfrauen oder Büroangestellte, die sich auf Tagesmütter, Kinderkrippen oder Nachbarinnen verlassen müssen, ohne zu Hause auf Unterstützung zählen zu können, oder aber alleinerziehend (jede dritte Ehe wird mittlerweile geschieden).
Neben den Lohndifferenzen gehört die hohe zeitliche Mehrbelastung von Müttern deshalb zu den gewichtigsten Faktoren, welche die Gleichstellung der Geschlechter nach wie vor behindern. Ein System, welches die Frauen befreien will, braucht demnach gesellschaftliche Einrichtungen für die Reproduktionsarbeit sowie die gleichteilige Mitarbeit der Männer in Haus-, Erziehungs- und Pflegeaufgaben.

„Nur Hausfrau?“

Bei kinderlosen Frauen und Männern sind die Unterschiede der Arbeitszeitverwendung im Hause vergleichsweise noch gering – Frauen 13, Männer 8 Wochenstunden. Die geschlechtsspezifischen Unterschiede im Zeitaufwand vergrössern sich allerdings abrupt und dauerhaft mit dem Vorhandensein von Kindern.
So schnellt die wöchentliche Arbeitszeit für Haushalt und Familie bei Schweizer Müttern mit einem unter einjährigen Kind auf rund 58 Stunden empor und geht dann mit zunehmendem Alter des jüngsten Kindes kontinuierlich auf rund 30 Stunden zurück.
Bei Müttern ausländischer Nationalität nimmt der durchschnittliche Zeitaufwand ebenfalls stark zu, sobald ein Kind vorhanden ist. Mit rund 44 Wochenstunden weisen die ausländischen Mütter jedoch einen markant tieferen Arbeitsaufwand für Kinderbetreuung und Haushalt auf als die Schweizer Mütter. Der Grund ist klar – ausländische Mütter müssen mehr Erwerbsarbeit leisten, da sie deutlich weniger verdienen.
Auch bei den frisch gebackenen Vätern ist eine Zunahme des durchschnittlichen wöchentlichen Aufwandes für unbezahlte Haus- und Familienarbeit festzustellen – gut 7 Stunden. Insgesamt jedoch ist Haus- und Familienarbeit weitgehend Frauenarbeit geblieben.

Doppelarbeit = Teillohn

Bei kinderlosen Frauen und Männern ist der mittlere wöchentliche Arbeitsaufwand für Erwerbs- und Hausarbeit gleich hoch, rund 50 Stunden pro Woche. Allerdings investieren Männer rund einen halben Arbeitstag mehr in die bezahlte Arbeit und rund einen halben Arbeitstag weniger in die unbezahlte Hausarbeit. Obwohl Mütter kleiner Kinder ihre Erwerbsarbeit massiv reduzieren, resultiert im Endeffekt eine deutlich höhere Gesamtarbeitsbelastung von rund 70 Wochenstunden.
Insgesamt waren im Jahre 2003 56% der erwerbstätigen Frauen, jedoch nur 11% der erwerbstätigen Männer Teilzeit beschäftigt. Die finanziellen und beruflichen Nachteile der Teilzeitarbeit treffen also zum allergrössten Teil Frauen, wie fehlende finanzielle Unabhängigkeit, ungesicherte Arbeitsverhältnisse, schlechtere Sozialleistungen und geringere berufliche Aufstiegschancen.

Keine neuen Erkenntnisse

Der anhaltende Geburtenrückgang sowie der zunehmende Anteil unter den jüngeren Frauen, die zeitlebens keine Kinder haben wollen (über 1/5), hängen in erster Linie mit dieser unbefriedigenden Situation in der Vereinbarkeit von Beruf und Familie zusammen. Insbesondere Frauen schweizerischer Nationalität verzichten in zunehmendem Mass aus diesem Grund auf eigene Kinder. Letztlich liefern die Resultate der Volkszählung 2000 keine grundsätzlich neuen Erkenntnisse zum Stand und zur Entwicklung der Gleichstellung der Geschlechter in der Schweiz. Sie bestätigen bloss die bekannte Tatsache, dass – neben einigen unbestreitbaren Fortschritten – der Kapitalismus den Frauen keine tatsächliche Gleichstellung bieten kann.
Trotz aller traditionellen Rollenteilung ist jedoch nicht zu übersehen, dass je länger je mehr auch Männer beide Lebensbereiche verknüpfen und bereit bzw. gezwungen sind, mehr familiale Aufgaben zu übernehmen. Doch damit ist der private Charakter dieser Arbeit – und damit der Hauptfaktor des Problems – noch nicht aufgehoben.