Rezension: „Patriarchat im Sozialismus“

„Das schlechte Ende widerlegt nicht einen – möglicherweise – guten Anfang“

BUCHREZENSION „Das sozialistische Patriarchat in der DDR: Gehört es ein für allemal zum Teufel gejagt, oder darf es noch einmal in Ruhe betrachtet werden? Bietet es – allem Anschein zum Trotz – vielleicht sogar Stoff für Zukunftshoffnung?“

(akfk) So der Beginn des Klappentextes des Buches „Patriarchat im Sozialismus“ von Ursula Schröter und Renate Ullrich.  Nicht erst nach dem Lesen des Buches, aber danach umso mehr würden wir die letzte Frage mit ja beantworten. Und deshalb gehört dieses Buch zu den wichtigen Büchern.
Es geht um Frauenforschungsergebnisse der DDR. Indem die Autorinnen historisches DDR-Material zur Frauenforschung auswerten, gestatten sie sich „nachträgliche Entdeckungen“ und kommen zu bemerkenswerten Ergebnissen. Die emanzipatorischen Grenzen des Modells sind mehr oder weniger bekannt – aber was hatte es auf sich mit der im Familiengesetz verankerten Pflicht zur Arbeitsteilung in der Familie bei der Erziehung der Kinder? Was mit der These, dass es bei der Förderung der Familie und der Förderung der Frau um zwei gleichwertige und gleichzeitig zu verfolgende Forderungen gehen müsse?
Was bei den verfolgten Absichten der Autorinnen überzeugt, ist, dass es ihnen um Zukunft geht, wenn sie sich mit Vergangenheit und Gegenwart beschäftigen. Dabei liessen sie sich von zwei grundlegenden Fragen leiten: Erstens. Welche Forschungsfragen und welche Forschungsergebnisse zu den Geschlechterverhältnissen sind bis heute wichtig und insofern aufhebenswert? Zweitens. Welche Fragen, welche Zusammenhänge fehlen aus heutiger Sicht?
Auch das Verhältnis der Autorinnen zur DDR-Geschichte überzeugt: „Wir befragen das historische und auch das aktuelle Material nicht (nur) als Betroffene, sondern als ehemals Beteiligte am alltäglichen und wissenschaftlichen DDR-Leben. Gerade deshalb, weil reflexive Kritik in jedem Fall auch als Selbstkritik zu werten ist, erlauben wir uns einen – wie wir meinen – sachgemässen und selbstbewussten Rückblick.“
Ausserdem – dieses Buch handelt von gelebtem Leben, ist weit entfernt von der akademischen Abgehobenheit vieler „Gender-Studies“.

Aufhebenswert
Bereits in den 60er Jahren waren in der DDR wesentliche Forderungen der bürgerlichen und proletarischen Frauenbewegung nach Gleichstellung der Geschlechter bereits in einigen wesentlichen Punkten erfüllt, ja in einem gewissen Umfang bereits zu Selbstverständlichkeiten geworden: die juristische Gleichstellung, die (inzwischen wieder umstrittene) Koedukation von Mädchen und Jungen, die Ansprüche auf Bildungsgleichheit, das Recht auf Erwerbsarbeit. Es war ein Jahrzehnt der grossen Bildungsinitiative für Frauen (in der BRD waren das die 80er Jahre). Trotz der mit Vollzeiterwerbsarbeit verbundenen Doppel- und Mehrfachbelastung standen den DDR-Frauen Karrieren offen, von denen wir Schwestern im Westen nicht einmal zu träumen wagten. Arbeitsstätten wurden zu „sozialen Orten“. Zuverlässige soziale Dienste wie Kindereinrichtungen, Essensversorgung, medizinische Versorgung, Urlaubsangebote, Freizeitangebote, Kosmetik, Friseur, u.a. sollten den Frauen (den Männern leider weniger) die sog. „zweite Schicht“  erleichtern und haben sie auch erleichtert. Der Beschäftigungsgrad der Frauen lag 1960 bereits bei 70%, am Ende der DDR bei 86%.
1966 trat das „Familiengesetzbuch der DDR“ in Kraft. Der juristische Rahmen für die familiäre Entwicklung stand hier – im Gegensatz zur Jahrhunderte langen Vergangenheit und auch zur bundesdeutschen Gegenwart – nicht mit ökonomischen Bedingungen in Zusammenhang, sondern „mit den Beziehungen gegenseitiger Liebe, Achtung und des gegenseitigen Vertrauens“. Allerdings mussten derartige Formulierungen gegen konservative Juristen mühsam durchgesetzt werden. Der gerade neu gegründete Beirat für Frauenforschung wurde von der Justizministerin Hilde Benjamin aufgefordert, sich an diesen Auseinandersetzungen zu beteiligen, und tat das intensiv. Nicht ungleich verteiltes Geld (das war inzwischen weniger das Problem) sondern gleich verteilte Beziehungen wurden in den Mittelpunkt gerückt. Folgerichtig schrieb dieses Gesetzeswerk den Männern die gleiche Verantwortung für die Familie – einschliesslich Kindererziehung – zu wie den Frauen. Fortschrittlich war nicht nur der Gesetzestext, fortschrittlich war auch, dass der Gesetzesentwurf mehr als sechs Monate lang öffentlich diskutiert wurde. Anfangs der 70er Jahre wurde der Schwangerschaftsabbruch rechtens und versicherungsrechtlich dem Krankheitsfalle gleichgestellt. Interessant ist, dass dieses im Weltmassstab vorbildliche und fortschrittliche Gesetz innerhalb der DDR kaum öffentlich erwähnt oder gar diskutiert wurde. Schwangerschaftsabbrüche und kostenlose Verteilung der Pille wurden praktiziert, blieben aber eine Art Tabu-Thema.

Emanzipatorische Grenzen
Das Buch belegt im Konkreten, dass weder die durch Bildung, Qualifikation und Erwerbsarbeit erreichte finanzielle Unabhängigkeit der Frauen allein, sowenig wie die weitgehende Vergesellschaftung von Haus- und Familienarbeit eine wirkliche Emanzipation garantiert. Dies sind erst die Grundlagen auf denen die weitere Entwicklung aufgebaut werden kann.
Bereits Clara Zetkin wies dem Recht von Frauen auf Erwerbsarbeit und auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit bekanntlich eine Schlüsselfunktion zu – ganz im Sinne der Menschen-Emanzipation aus Unterdrückungsverhältnissen. Tatsächlich sind nur auf der Basis der finanziellen Unabhängigkeit der Frau vom Mann, auf dem Fundament ihrer finanziellen Selbstständigkeit alle anderen Forderungen von Frauen zu realisieren. Auch für Zetkin war die Frauenfrage der Klassenfrage nicht nach-, sondern zugeordnet, als wesentlicher Teil menschheitlicher, nicht nur weiblicher Emanzipation.
Nachdem in den 70er Jahren die SED behauptet hatte, dass „in der DDR die Frauenfrage im klassischen Sinne gelöst“ sei, zeigte sich im realen Leben, dass jede noch so fortschrittliche Massnahme neue Konflikte brachte – nicht nur individuelle und individuell lösbare, sondern gesellschaftliche.
Gerade die Einsicht, dass wirkliche Veränderungen der Geschlechter- und der gesellschaftlichen Verhältnisse letztlich nur von Frauen und Männern – miteinander und in ständiger Auseinandersetzung – vollzogen werden können, hätte dazu verleiten müssen, den Gedanken von Zetkin weiterzudenken. Der Kampf hätte weiter gehen müssen, gegen die patriarchal strukturierten Produktionsverhältnisse in der DDR und „gegen die Vorrechte des männlichen Geschlechts, den die bürgerliche Frauenbewegung ihrer ganzen Entwicklung nach zu führen die historische Aufgabe hat“. Zetkin rief in ihrer Zeit die proletarischen Frauen auf, ihre Rechte selbstbewusst einzufordern und zu erkämpfen und nicht für Reformen zu danken: „denn alles, was die bürgerliche Gesellschaft an solchen Reformen zu schaffen vermag, das ist nur ein Quentchen, … ein Linsengericht, … für das wir das Recht, eine revolutionäre Klasse zu sein, nicht her(geben).“ Dieser Gedanke, dass nur selbstbewusster Kampf um die eigenen Interessen das berechtigte Selbstbewusstsein steigere, wurde in der DDR um so seltener weitergedacht, je älter sie wurde.
Erst in der letzten Phase der DDR wurden wieder konzeptionelle Ansätze für eine kritische Frauenforschung veröffentlicht. Es wurde eingeräumt, dass trotz der internationalen Spitzenposition in Bezug auf die erreichte gesellschaftliche Stellung der Frau „die Zugehörigkeit zum weiblichen Geschlecht (…) auch in unserer Gesellschaft als soziales Strukturmerkmal Möglichkeiten und Chancen beeinflusst und nicht selten engere Grenzen setzt.“ Nach der Konzentration auf klassische Frauenfragen komme es nun darauf an, theoretische Grundfragen der marxistischen Emanzipationstheorie zu erforschen. Herta Kuhrig schlug unter anderem vor, folgende Themen anzugehen: Konsequenzen der Gleichberechtigung für die Lage der Männer. Es gebe Disproportionen im Tempo der Veränderung der Geschlechterrollen. Das reale und tendenzielle Stagnieren der Veränderung der Männer(rollen) bedeute eine Gefahr für die Frauenemanzipation; Verhältnis soziale Frage – Frauenfrage. Die relative Eigenständigkeit der Frauenfrage sei bisher vernachlässigt worden. In der Forschung seien die Frauen mehr als Objekte eines Befreiungsprozesses denn als Subjekte ihrer Emanzipation betrachtet worden. Mann und Frau können nicht emanzipiert werden, sondern müssen sich emanzipieren; Die Frage, ob die Frauenfrage nur im Sozialismus zu lösen sei, sei mehr als eine theoretische Frage.

Das Private ist ökonomisch
Die DDR-Erfahrung zeigt, dass für eine weitergehende Emanzipation insbesondere der Reproduktionsbereich ins Zentrum gestellt werden muss. Das Verschwinden der Kategorie „Hausfrau“ wirkte sich wenig auf die Hausarbeit aus. Obwohl fast alle DDR-Frauen Ende der 80er Jahre 100% berufstätig waren, hatte sich an ihrer Verantwortung für die Arbeit im Privaten, einschliesslich Kindererziehung, nicht viel geändert. Seit Mitte der 60er Jahre konnte weder die angestrebte radikale Verringerung der Hausarbeit nachgewiesen werden, noch eine – weniger angestrebte – radikale Neuverteilung dieser Arbeit zwischen den Familienmitgliedern, etwa zwischen Frau und Mann.
Rückblickend wird deutlich, dass die mit weiblicher Sozialisation verbundenen besonderen Fähigkeiten und Kenntnisse auch unter DDR-Bedingungen nicht als Vorzüge oder als Potentiale für beide Geschlechter wahrgenommen wurden, dass die Männerqualifizierung als das Mass der Dinge zugrunde gelegt wurde. Gleichberechtigung hiess auch in der DDR: Heranführen der Frauen an Männerniveau.
Auch noch anfangs der 80er Jahre interessierten die Bedingungen, unter denen Berufstätigkeit und die Pflichten des Mannes in Familie und Haushalt in Einklang gebracht werden könnten, als soziologisches Thema nicht. Dies macht deutlich, dass nicht das patriarchale Gesellschaftskonzept, die hierarchische Sicht auf gesellschaftlich notwendige Arbeit, die ignorierte Verbindung zwischen Beruf und Vaterschaft thematisiert wurde.
Die Debatte zum Verhältnis zwischen öffentlichem und privatem Leben im Sozialismus fand nicht statt. Der Fortschritt blieb auf der Ebene des Öffentlichen.

Widersprüche im DDR-Sozialismus
Im allerletzten DDR-Jahr finden wir dann einen Arbeitsbegriff, der sowohl Berufsarbeit wie auch die verschiedenen Formen unbezahlter Arbeit einschliesst. Kritisch wird der Widerspruch zwischen Öffentlichkeit und Privatheit betrachtet. Der Widerspruch sei zu  beurteilen, „wie er aus dem Grundwiderspruch der sozialistischen Produktionsweise hervorgeht … Der Grundwiderspruch der sozialistischen Produktionsweise besteht in dem Widerspruch zwischen der aus den Eigentumsverhältnissen hervorgehenden Tendenz zur universellen Aneignung des gesellschaftlichen Reichtums durch die Produzenten einerseits und der noch weiterhin bestehenden Unterordnung der Produzenten unter die Teilung der Arbeit andererseits … Die gesellschaftliche Form des Arbeitsprozesses und die partiell bestehende ‚Privatform‘ des ‚individuellen Reproduktionsprozesses‘ bilden die Seiten des wesentlichen Widerspruchs des sozialistischen Lebensweise-Typs.“ Aus dem Grundwiderspruch der Produktionsweise folgt demnach der Grundwiderspruch der Lebensweise, der auch im Sozialismus etwas mit dem Verhältnis zwischen öffentlicher und privater Arbeit zu tun hat.

Und hier und jetzt?
Und was bedeutet das für die kapitalistische Gegenwart? Hier ergeben sich eine Fülle von Anregungen für die linke Debatte.
Einmal mehr wird deutlich, dass die Ziele des Frauenkampfes die allgemeine Revolution – die menschliche Emanzipation eben – voranbringen, denn es geht um nichts geringeres als um die Zusammenführung von Arbeit und Leben, um die Aufhebung eines geteilten Lebens, der entfremdeten Arbeit sowie um Teilhabe von Frauen und Männern am ganzen Leben. Eine Gesellschaft, in der die „freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist“ , bedingt Arbeitsverhältnisse, in denen Erwerbsarbeit, Haus- und Sorgearbeit, und die Arbeit in sozialen, politischen, wissenschaftlichen und kulturellen Bereichen zeitlich, räumlich und inhaltlich besser verbunden sind. Nur so kann der Widerspruch zwischen vergesellschafteter Produktion und privater Reproduktion aufgehoben, die Trennung von privat und öffentlich relativiert werden.
Dies kann unter kapitalistischen Ausbeutungsverhältnissen nicht stattfinden. Bedingungen für neue Geschlechterverhältnisse – die immer auch neue Produktionsverhältnisse sind und umgekehrt – können nur von beiden Geschlechtern hergestellt werden. In dieser Auseinandersetzung gehen wir Frauen voran, doch unsere Überlegungen müssen sich wieder vermehrt darauf richten, wie wir auch dem männlichen Geschlecht die Liebe zum Thema abgewinnen können.