Eheberatung auf dem Bau

BAUBRANCHE –  Messmer gegen Messmer gegen UNIA gegen SBV gegen Implenia gegen Jenny gegen Personenfreizügigkeit gegen Bauarbeiter gegen …: Der Postmoderne Alptraum? Klassenanalyse in der Baubranche.

(az) Alle gegen alle lautet zur Zeit das Motto im Arbeitskampf auf dem Bau. Noch im Dezember wurde unter bundesrätlicher Mediation von Jean-Luc Nordmann ein Ergebnis für einen neuen Landesmantelvertrag (LMV) zwischen den Gewerkschaften UNIA und SYNA und dem Baumeisterverband SBV ausgehandelt. SBV-Präsident Werner Messmer kannte als Verhandlungsführer die Bedingungen des Verhandlungsergebnisses, wonach die Delegiertenversammlungen der beiden Parteien nur über das Mediationsergebnis als Gesamtes entscheiden könne. Über einzelne Punkte sollte also nicht mehr nachverhandelt werden. Doch man staunte nicht schlecht, als der selbe Werner Messmer das selbst mitausgehandelte Ergebnis an der Delegiertenversammlung des SBV vom 24. Januar zur Zurückweisung empfahl. Was war passiert? Hatte Messmer die Sicherheitsvorschriften auf dem Bau ignoriert und einen Ziegelstein an den Kopf bekommen oder hatte Uri Geller seine übersinnlichen Finger im Spiel? Um die Verwirrung noch komplett zu machen, droht mittlerweilen das grösste Bauunternehmen Implenia, aus dem SBV auszutreten, wenn dieser das Mediationsergebnis nicht annehme.

 Mit Verwirrung die eigenen Konflikte kaschieren

Immerhin muss man dem SBV durchaus eine gewisse Kontinuität in Sachen Verwirrung und Schizophrenie zugestehen. Schon im 2002 liess die Delegiertenversammlung einen LMV kippen, weil die Herren Baumeister angeblich die Begriffe „Reglement“ mit „Regelung“ verwechselten. Das Hin und Her im Baumeisterverband hat also Tradition und widerspiegelt vor allem die widersprüchliche und krisenhafte Situation in der Baubranche. Die Grossunternehmen Implenia, Losinger oder Züblin-Murer scheuen den Konflikt mit Gewerkschaften eher, da Streiks vor allem sie treffen. Der gewerkschaftliche Organisationsgrad ist bei grossen Firmen höher und die Kosten eines Arbeitsunterbruchs steigen rasant bei Grossbaustellen wie zum Beispiel der Neat-Baustelle. Die kleinen und mittelgrossen Unternehmen (KMU) werden hingegen vom Konflikt auf dem Bau weniger betroffen und schüren ihn demensprechend. Sie profitieren generell weniger von der Kartellisierung der Branche durch einen Gesamtarbeitsvertrag (GAV). Die Baubranche reagiert oft unmittelbar auf die Wirtschaftskrisen, deshalb müssen die KMUs für den harten Konkurrenzkampf den ökonomischen Druck möglichst flexibel auf die Bauarbeiter abwälzen können. So sieht der Glarner SVP-Ständerat und KMU-Hardliner This Jenny im ausgehandelten Mediationsergebnis einen direkten Schlag der grossen gegen die kleinen Unternehmer, da sich die vor allem von den KMUs geforderte Arbeitszeitflexibilisierung nur in geringem Masse im Kompromiss wiederfindet. Weitere Widersprüche bestehen zwischen den Regionen. Grenznahe Betriebe sind der Billigkonkurrenz aus dem Ausland stärker ausgesetzt und begrüssen deshalb eher Gesetze, die diese zurückbinden kann, begrüssen deshalb den LMV auch aus Eigeninteresse. Weiter sehen sich die Baumeister im Tessin und in der Westschweiz einer organisierteren Arbeiterschaft gegenübergestellt, weshalb sie dem eigenen Verband schon während des Konfliktes drohten, einen Regionalvertrag abzuschliessen. 

Was hält die noch zusammen? 

 Dieser Spagat zwischen den unterschiedlichen Interessen wird etwas gemildert, durch andere branchenspezifische Faktoren, welche eine Tendenz zur Kartellisierung unterstützen. Auf der einen Seite sind die Gewerkschaften in dieser Branche relativ stark. Neben der historisch gewachsenen Kampferfahrung der Bauarbeiter, hat das auch strukturelle Gründe. So können die Unternehmer die Bauarbeiten nur gering automatisieren und sind somit stärker von den Arbeitern abhängig. Weiter können Lohnforderungen der Gewerkschaften in Binnenbranchen einfacher auf die Preise abgewälzt werden. Auf der anderen Seite haben die Unternehmer auch ein Eigeninteresse an Absprachen. Denn der hohe Fixkostenanteil in der Baubranche kann sich fatal auswirken, wenn der Konkurrenzkampf zügellos geführt wird. Auch wenn ein Bauunternehmen nicht voll ausgelastet ist, kann es zwar Arbeiter entlassen, aber die hohen Kosten für die ganzen Baumaschinen fallen trotzdem an. Deshalb würde es ohne Kartelle oder GAVs eine starke Tendenz zur Preis- und Lohnunterbietung geben, welche für kleine Firmen ruinös enden würde. Dieses Eigeninteresse an der Regulierung der Branche zeigte sich auch in der Haltung des SBV zu den flankierenden Massnahmen zur Personenfreizügigkeit. Der SBV unterstützte als einziger Unternehmerverband die Vereinfachung der Allgemeinverbindlicherklärung (AVE) für GAVs1. Es liegt auf der Hand, dass Unternehmen – vor allem die Kleinunternehmen -, welche einem GAV unterstehen, wollen, dass sich auch ihre Konkurrenz nach den gleichen Regelungen richtet. Weil das kaum freiwillig geschieht, sollte der Bund die Regelungen des GAVs per Gesetz für alle Unternehmen in der Branche als verbindlich erklären. Damit fungiert die AVE innerhalb des SBV als Kitt, welcher die strukturelle Spaltung zwischen Gross- und Kleinunternehmen verhindert.

 Ein Geben und Nehmen: Klassenkampf in Beziehungstherapie

Verallgemeinert könnte man den Schluss ziehen, dass umso mehr eine Gewerkschaft den Unternehmern einen GAV oder sogar die AVE aufzwingen kann, sich die Unternehmer zusammenschliessen. Nun scheint diese Einheit im SBV aber zu bröckeln. Die KMUs wollen einen LMV light und die Grossunternehmen wollen die Zustimmung für den ausgehandelten Mediationsvorschlag. Ein Grund für diese Beziehungskrise könnte darin liegen, dass der gewerkschaftliche Dritte gar nicht so stark ist, dass er den Unternehmern einen GAV und die AVE „aufzwingen“ kann. Blicken wir auf die Einführung der AVE zurück, so wird auch klar, dass diese nicht von den Gewerkschaften „erkämpft“ worden ist, sondern die Gewerkschaften eher damit „gekauft“ worden sind. Mit der Personenfreizügigkeit witterten die Gewerkschaften die Chance, die lang ersehnte AVE über den „sozialpartnerschaftlichen“, also arbeitsfriedlichen Weg zu erlangen. In der einschlägigen Literatur ist denn auch Einheit, dass die aktuellen Gewerkschaften in der Schweiz nie aus eigener Kraft hätten eine solche Verankerung des GAVs erreichen können. Das einzige Druckmittel, welches die Bourgeoisie anscheinend ernst nahm, wäre der Widerstand gegen die Personenfreizügigkeit über die Urne gewesen. Auf dem Terrain des Betriebes oder der Branche sind die Gewerkschaften jedoch schwach. Und dieses Kräfteverhältnisses sind sich vor allem die KMUs bewusst, weil der gewerkschaftliche Organisationsgrad in diesen Betrieben gering ist.

 Messmers Einknicken

 Im ausgehandelten Mediationsvorschlag widerspiegelte sich denn auch das Kräfteverhältnis zwischen Gewerkschaften und SBV nicht. Obwohl die Gewerkschaften während der Mediation auf Streiks verzichteten und somit ihre Waffe aus der Hand gaben, und obwohl sie insbesondere in der Deutschschweiz und auf dem Land in Arbeitskämpfen noch sehr unerfahren sind, konnten sie ihre Forderungen im Vorschlag fast vollständig durchsetzen. Messmers Einknicken hatte überrascht und ist viel eher Ausdruck von Widersprüchen innerhalb der Bourgeoisie. Es ist anzunehmen, dass von Seiten der Regierung und der international ausgerichteten Kapitalfraktionen viel Druck auf Messmer ausgeübt wurde. Der Konflikt auf dem Bau sollte nicht die Bilateralen Verhandlungen gefährden. Ähnliche Kämpfe spielen sich auch in der SVP ab, welche das Referendum gegen die Ausdehnung der Personenfreizügigkeit wohl aufnehmen wird. Als Vertreter der Exportindustrie warnt SVP-Nationalrat Peter Spuhler die eigene Partei davor, die Bilateralen Verträge nicht zu gefährden.2 Auch der Schweizerische Gewerkschaftsbund drohte, das Referendum gegen die Ausdehnung der Personenfreizügigkeit zu ergreifen, wenn die Baubranche ohne LMV auskommen müsse. Nachdem das Ja der Gewerkschaften zur Personenfreizügigkeit also 2005 mit der erleichterten AVE erkauft wurde, sollte dies nun mit einem guten LMV geschehen. Solche Deals werden in der Politikwissenschaft bezeichnenderweise auch „Side-Payments“ (Neben-Bezahlung) genannt. Weder der SVP noch dem SGB geht es dabei wirklich um die Personenfreizügigkeit, sondern einzig um den Druck, den sie mit dieser erzeugen können.

 Gewerkschaftliche Verdrängungsleistung: Irgendwo endet die Therapierbarkeit

 Die UNIA steht vor einem Dilemma. Schon vor dem Zusammenschluss des SMUV und der GBI zur UNIA wurden intern die grossen strategischen Probleme benannt: Es fehlt an kämpferischer Verankerung in den Betrieben durch Vertrauensleute und an gewerkschaftsinterner Demokratie; Probleme, welche aus der sozialdemokratischen Tradition der Verwaltung der ArbeiterInnenklasse, des Arbeitsfriedens und des Verhandlungstisches stammen. Diese Linie bekam nochmals eine Bestätigung mit dem Ja zur Personenfreizügigkeit. Die Gewerkschaftsführung musste sich mächtig erfolgreich fühlen: Hand in Hand mit der Bourgeoisie hatten sie die bornierten Klasseninteressen überwunden für die bessere, weltoffene und progressive Schweiz. Der Aufstand der Anständigen war – ganz schweizerisch – eher ein Hinhocken grosser moralisch integrer Herren an den Verhandlungstisch. Der von Vernunft erleuchtete Block gegen den ausländerfeindlichen Blocher hatte die Schweiz zur Idee des Europa des Kapitals gesteuert. Nicht nur das. Das Geschick der gscheiten Gewerkschaftstaktiker hatte der Bourgeoisie sogar noch die erleichterte AVE abgeluchst, und zwar ganz ohne den primitiven Arbeitskampf. Das Politologiestudium hatte sich gelohnt. Eine klassische Win-Win-Situation.
Werden wir wieder ernst. Der Verkauf an die Bourgeoisie hat sich im Nachhinein als Win-Lose-Situation herausgestellt. Nicht nur, weil damit Illusionen gestärkt wurden, es gäbe eine ArbeiterInnenpolitik ohne realen Klassenkampf, sondern, weil sich die flankierenden Massnahmen heute als zahnlos erweisen. Wo kein GAV existiert, kann er auch nicht für allgemeinverbindlich erklärt werden. Und die zürcherische tripartite Kommission, welche in Branchen ohne GAV die Mindestlöhne festsetzen sollte, konnte es kaum erwarten den Referenzlohn für ungelernte Bauarbeiter unter 30 Jahren um 10 Prozent zu senken.3 Hinzu kommt noch, dass für die Kontrollen der flankierenden Massnahmen viel zu wenig Ressourcen bereitgestellt werden.

Einmal mehr wird der UNIA-Führung heute das verdrängte Problem ins Gesicht klatschen, dass es im Klassenkampf eben einfach keinen Weg ohne eine aktive, kämpferische Basis gibt. Anstatt längerfristig Vertrauensleute auch in KMUs aufzubauen, konzentriert sich die UNIA darauf, Grossunternehmen zu bestreiken. Auf taktischer Ebene mag das sinnvoll erscheinen, aber auf strategischer Ebene wird diese Praxis gefährlich. Die einseitige Bestreikung nur der Grossunternehmen treibt einen Keil in den SBV. Das Horrorszenario für die Gewerkschaften wäre, dass die Grossunternehmen aus dem SBV austreten, und damit Hausverträge statt eines LMVs anbieten. Gleiches gilt auf regionaler Ebene. Und genau dies ist jetzt eingetreten. Im Tessin wurde ein kantonaler „Übergansvertrag“ abgeschlossen, bis ein gesamtschweizerischer LMV existiert. Wenn solche regionalen oder betrieblichen Verträge jedoch den gesamtschweizerischen LMV erstetzen, droht der UNIA der Verlust ihrer Stärke in der Baubranche. Die Arbeiter würden ihre Mitgliedschaft überall dort künden, wo die Gewerkschaften nicht auch tatsächlich im Betrieb, bzw. in der Region verankert sind und um einen guten Haus- oder Regionalvertrag kämpfen. Um dies zu verhindern, werden die Gewerkschaften tendenziell eher noch auf einen schlechten, dafür für allgemeinverbindlich erklärten LMV einsteigen.4

 Fussnoten:

 1 Teil der flankierenden Massnahmen ist die Vereinfachte Einführung der AVE. Neu müssen nur 30 % – statt der früherer 50 % – der Unternehmen und ArbeiterInnen einer Branche unter einem GAV laufen, damit dieser für allgemein verbindlich erklärt werden kann.

2 Wobei damit nicht gesagt sei, dass der Flügel um Blocher ernsthaft die Bilateralen Verträge torpedieren würde. Die Mobilisierung gegen die Personenfreizügigkeit ist vor allem ein propagandistisches Mittel für die SVP. Die Frage ist eher eine der Risikobereitschaft und -einschätzung.

3 Siehe RoterMotor 24 spezial hier

4 Siehe aufbau 51 s. 7 hier