Angriff neben dem Ring

Der Arbeitskampf der Officina – der SBB-Cargo-Werkstatt in Bellinzona – findet im Moment am Runden Tisch statt. Das Streikkomitee bleibt darin kämpferisch und lässt sich nicht befrieden. Die SBB versucht deshalb durch übergeordnete Betriebsentscheidungen den Runden Tisch bedeutungslos zu machen.

(az) Das FDP-Aushängeschild Franz Steinegger wurde von Leuenberger beauftragt, den so genannten „Runden Tisch“, an welchem über die Zukunft der SBB-Cargo-Werkstätte in Bellinzona bestimmt werden soll, als Mediator zu führen. Kraft seiner Person war von Anfang an klar, auf welcher Seite er steht. Er wurde für die Unternehmer-Seite in den Ring geschickt. Dies kommt nicht von ungefähr, denn die Officina hat durch ihren hart und entschlossen geführten Kampf, der die Unterstützung der ganzen Region Tessin genoss, das Machtverhältnis erschüttert. Zu selbstbewusst und zu durchsetzungsfähig sind diese Arbeiter geworden und dem will der Bund etwas entgegensetzen.

Nun zeichnet sich auch langsam ab, was das konkret bedeuten könnte. Die SBB will durch die Hintertür wieder klare Verhältnisse schaffen und zeigen, wer der Herr im Haus ist. Sie hat beschlossen die Werkstätte, die im Moment der Division Güterverkehr  (Cargo) zugeordnet ist, in den Personenverkehr zu verschieben. Und solches stellt sie am Runden Tisch nicht zur Diskussion, diese wahrscheinlich folgenschwere Entscheidung will sie ausserhalb des Rings treffen.

Die Arbeiter in Bellinzona hätten möglicherweise nichts dagegen einzuwenden, wieder zum Personenverkehr zu gehören. 1999, als die SBB für die die Divisionalisierung entschied, also dafür aus dem grossen SBB-Betrieb drei kleine zu machen, waren eigentlich alle Angestellten dagegen. Entsprechend wäre es den SBB-Cargo-Arbeitern recht, es käme wieder zusammen, was zusammen gehört. Allerdings ist nicht zu erwarten, dass die Neuzuordnung dem entspricht, was sich alle SBB-Angestellten längst wünschen. Deshalb sind die Arbeiter aus Bellinzona vorsichtig, und wollen zunächst die genauen Rahmenbedingungen erfahren und dann darüber befinden, ob ihnen diese Verschiebung genehm ist oder nicht. Im Moment ist nämlich noch gänzlich offen, was die Folge eines solchen Wechsels wären und sie lassen sich nicht die Katze im Sack andrehen.
Sie schreiben in ihrem Brief an Franz Steinegger:

Hier einige Fragen, auf welche wir keine Antwort gefunden haben:

  • Was wird die Rolle der Werkstatt in Bellinzona sein, welches die Aktivitäten und die Autonomie, sofern sie dem Personenverkehr angegliedert wird? Unter Beachtung der von Herren Gauderon und Perrin anlässlich der vor kurzem in Bellinzona abgehaltenen Treffen geäusserten Absicht die Kompetenzen zu konzentrieren.  
  • Wie will die Division Personenverkehr die Aufgabe des Unterhalts der Wagen konkret wahrnehmen?
  • Gibt es Abkommen, die der SBB Cargo vorschreiben, den Unterhalt ihrer Wagen der Division Personenverkehr anzuvertrauen? Wenn ja, welche?
  • Wie könnte die Division Personenverkehr im Falle einer Neuorientierung der SBB-Cargo ihre Aufgaben im Unterhalt des Güter-Rollmaterials und die Lasten, die daraus entstehen, verteidigen?
    Was sind die Folgen des Übergangs zur Division Personenverkehr für die Kostenstruktur der Werkstatt in Bellinzona?

Obwohl also die Arbeiter aus Bellinzona sehr klare Vorstellungen haben, weshalb sie die Frage diskutieren müssen, befindet Steinegger für die SBB-Direktion, dieser Punkt stehe nicht zur Diskussion. Diese Entscheidung stehe einzig und alleine dem Management zu und die Arbeiter hätten dazu nichts zu sagen! Wo käme man da hin, wenn man erlauben würde, dass sich die Arbeitskräfte in strategische Entscheidungen einmischen? Also hat er den Runden Tisch vom 3. September 2008 abgesagt.

Und das ganze begleitet er mit ausgewählter Desinformation. So sei der Runde Tisch einzig und alleine dafür da, die Werkstatt konkurrenzfähig zu machen er möchte für sie ein „zukunftsfähiges“ Betriebsmodell finden. Das ist aber eine Frage, die sich in der wirklichen Welt nicht stellt. Denn solange die SBB entscheidet, ihre Wagen warten zu lassen – was sie selbstredend tun muss – haben die Werkstätten Arbeit. Was hingegen für sie ins Gewicht fällt, ist, wo und zu welchen Bedingungen diese Arbeit verrichtet wird. Die Direktion stört, dass die althergebrachten SBB-Werkstätten gute Arbeitsbedingungen und kostspielige Gesamtarbeitsverträge haben. Solches ist z.B. in Winterthur, wo unter der Stadler Rail der GAV der Metallindustrie gilt, nicht mehr der Fall.

Auch wenn Franz Steinegger nun mit voller Kraft versucht, die Ursache des Kampfes aus dem Bewusstsein zu verdrängen und sich an Pressekonferenzen erfinderisch gibt, heisst das noch lange nicht, dass ihm das gelingen wird. Das Streikkomitee hat nicht geschlafen. Die Entscheidung, den Wechsel vom Güter- zum Personenverkehr als Falle zu betrachten und sich nicht darauf einzulassen, war sicherlich weise. Weise war auch, dass das Streikkomitee die Belegschaft immer darauf vorbereitet hat, dass der Kampf jederzeit wieder vom Runden Tisch in den Betrieb zurück kommen könnte.