Volksschulgesetz: Immer eine Frage der Klasse

NEUES VOLKSCHULGESETZ In Zürich werden die Schulen jetzt geleitet und integriert. Ein hübsches Gesetz mit grossen Haken. (az) Langsam machen sich die Auswirkungen des neuen Volkschulgesetzes des Kantons Zürich bemerkbar, dennoch sind Verallgemeinerungen schwer. Selbstverständlich ist das Gesetz kantonal, aber die Gemeinden führen es unterschiedlich schnell ein und sie können es teilweise unterschiedlich gestalten. Beispielsweise die Oberstufe kann auch nach neuem Gesetz zwei oder drei Abteilungen haben.1 Hinzu kommt noch, dass in Zukunft von Schule zu Schule ein Unterschied bestehen soll. 

Letzteres entspringt dem markanten Punkt der Reform, der Teilautonomie. Damit einher geht der Traum der freien Schulewahl, da sich Schulen ein eigenes, spezielles Profil geben sollen, welches es den Eltern ermöglichen könnte, für ihr Kind die geeignete Schule zu finden. Faktisch sind das im Moment Tagträume liberaler Geister, welche in nächster Zeit kaum realisiert werden. Dennoch ist die Anlage dafür gelegt und entsprechend entflammt die Diskussion im Feuilleton. (Zur freien Schulwahl siehe aufbau 52). 

In der Realität bedeutet die Teilautonomie für die Schulen vorerst besonders, dass sie gewisse Fragen selbst entscheiden dürfen, andere aber müssen. Es kann durchaus positiv sein, dass die einzelne Schule für ihr „Klientel“ massgeschneidert entscheidet. Bei unangenehmen Frage aber, z.B. jener, wo gespart werden könnte, heisst es, dass die Verantwortung von oben nach unten delegiert wird, die Schule muss sich selbst regulieren. Der Entscheidungsspielraum ist zwar sehr gering, trotzdem ist die Entscheidung selbst gefällt und dadurch ist es auch schwieriger, dagegen zu protestieren. Teile und beherrsche dich

Damit das Managmet jeder einzelnen Schule überhaupt möglich ist, wurde die Position der SchulleiterInnen kreiert. Sie sollen ihre Schulen dirigieren, jetzt sind sie damit beschäftigt, den Lehrkörper auf die Neuerungen einzuspuren. Das ist nicht einfach: Das Gesetz beinhaltet neben unkomplizierten und positiven Teilen wie der Einführung von Blockzeiten und dem Anrecht auf Betreuungsplätze auch Teile, die unweigerlich zu Mehrarbeit führen. Mehr Elternmitwirkung, d.h. die Schule muss sich aktiv um den Aufbau von Elterngremien bemühen und den Kontakt zu Eltern suchen. Ausserdem sind ständig Qualitätskontrollen vorgesehen, das bedeutet auch die ständig Drohung einer Kritik an der eigenen Arbeit, die sich auf den Lohn auswirken könnte.  

Diese Punkte wären aber Bagatellen, wäre da nicht auch noch die Integration der Sonderklassen, die den Lehrkräften nun wirklich viel mehr Arbeit bescheren wird. Im Klartext heisst dieser Punkt, dass die verschiedenen jetzt bestehenden Kleinklassen geschlossen werden und deren SchülerInnen in die sogenannten Regelklassen, also die normalen Klassen, aufgenommen werden müssen – dabei steht es den Gemeinden frei bei Bedarf weiter Sonderklassen zu führen, sofern sie dafür bezahlen, man weiss, wo solches geschehen wird und wo nicht. 

Die Integration ist gemeinsam mit der Teilautonomie

Dreh- und Angelpunkt der Reform und sie beinhaltet das Sparprogramm. Wurden bis anhin mannigfaltige Kleinklassen mit 5 bis 14 Kindern geführt, was teuer war, wird in Zukunft die sonderpädagogische Betreuung innerhalb der Regelklasse stattfinden. Den Lehrkräften steht dafür die Unterstützung von HeilpädagogInnen und TherapeutInnen zu. Dieser Anspruch errechnet sich pauschal auf 100 Kinder, also nicht nach gegebener Notwendigkeit, was sich für die Armutsquartiere, die erfahrungsgemäss ein grosses Potential für schulische Probleme haben, sofort auswirken muss. Dennoch wäre es falsch, das Anliegen des neuen Gesetzes grundsätzlich zu kritisieren, da Integration aus guten Gründen eine uralte Forderung der Linken ist. Die Aufteilung irgendwie «schwieriger» Kinder auf die Sonderklassen stigmatisiert diese und macht aus ihnen mit grosser Zuverlässigkeit «SchulversagerInnen», während deren Integration die Möglichkeit birgt, dass sie irgendwann auf den Geschmack einer Ausbildung kommen. Allerdings steht und fällt die Integration mit den Rahmenbedingungen. Wenn über 20 SchülerInnen in einer Klasse sitzen, ist der Traum der individuellen Förderung der jeweiligen Stärken ausgeträumt und auch die Diskussion unter den beteiligten Lehrkräften und PädagogInnen wird sich auf sachliche Absprachen beschränken müssen. 

Ein Schritt vorwärts, zwei zurück

Das ist eine reine Budget Frage. Die sozialdemokratische Bildungsdirektorin Regine Aeppli bedauert sehr, den LehrerInnen so grosse Klassengrössen antun zu müssen. Doch tut sie es. Drastisch geschildert könnte es in Altstetten so aussehen: Von 25 SchülerInnen wollen deren zwei partout nicht zur Schule, jemand hat eine spezifische Lernbehinderung und eine zweite Person eine ganz andere, die restlichen 21 sprechen unterschiedlich gut Deutsch, wären aber unter normalen Bedingungen offen für den Unterricht. Jedoch sind sie natürlich störungsanfällig und werden wild, wenn sie sich langweilen. Sofern die Lehrkräfte dabei nicht zu selbstaufopfernden SuperheldInnen mutieren, wird sich einzig die SVP über das Resultat freuen können. Für die so sehr gehasste «Kuschelpädagogik» bleibt da kein Platz mehr. Drakonische Disziplin und eisern durchgeführter Frontalunterricht wird wohl die einzige Massnahme sein, die unter solchen Bedingungen überhaupt die Durchführung von Unterricht ermöglichen werden. Ausser natürlich die Gemeinde greift in die Tasche und entscheidet sich mehr zusätzliche Stunden Unterstützung zu bezahlen und die Klassengrösse tief zu halten. Wo das Budget solches erlaubt, wird das neue Gesetz seinen progressiven Charakter entfalten können. Es bleibt also wie bis anhin, solange keine freie Schulwahl besteht, zeigt sich der Klassenunterschied im doppelten Sinne stark an der Gemeindegrenze. Aber das Problem verschärft sich.