Veranstaltungsbericht: Kampf gegen Massenentlassungen

Der Frage, wie man gegen Massenentlassungen kämpfen kann, ging eine Veranstaltung des Nürnberger Sozialforums und der Radikalen Linken Nürnberg am 24. April 2009 mit ca. 45 TeilnehmerInnen nach.Neben einem Kurzreferat zur AEG vom Druckwächter, das durch vier Beiträge von Akteuren der damaligen Auseinandersetzung vertieft wurde, gab es ein Referat eines Mitglieds des Netzwerks für eine kämpferische ArbeiterInnenbewegung zum Streik der Officine in Bellinzona und zu linker Solidaritätsarbeit vom Revolutionären Aufbau Schweiz. Hier folgen die Transkripte, welche wir dem Druckwächter entnommen haben:

Veranstaltungsbericht:

Das „Heimspiel“ in Nürnberg war mit 45 TeilnehmerInnen durchschnittlich besucht, wobei neben Leuten aus dem Sozialforum und der revolutionären Linken erfreulicherweise auch einige KollegInnen den Weg ins Nachbarschaftshaus gefunden hatten.

Wir hatten uns vorher überlegt in Nürnberg die Akteure zu Wort kommen zu lassen und damit das übliche Ritual einer Podiumsdiskussion zu durchbrechen. Im Eingangsreferat schilderte XY vom Druckwächter wie es zu der Herausgabe des AEG-Buches gekommen ist. Ziel ist es die Erfahrungen weiter zu tragen und durch die Veranstaltungen in den verschiedenen Städten die Vernetzung voranzutreiben. Bei der Vernetzung von gewerkschaftlichen BasisaktivistInnen hat es in den letzten zwei, drei Jahren gewisse Fortschritte gegeben, zu denen nicht zuletzt auch der Kampf der AEGler beigetragen hat. Ein Ergebnis dieser Arbeit sind die Kontakte zu dem Schweizer „Netzwerk für einen kämpferische ArbeiterInnenbewegung“, dass aus dem erfolgreichen Kampf in Bellizona heraus entstanden ist.

XZ  ist ein Aktivist dieses Netzwerkes und schilderte zunächst den Verlauf des Streikes in Bellizona. Der Redebeitrag des Netzwerkes für eine kämpferische ArbeiterInnenbewegung räumt mit einigen Glorifizierungen und Mythen über Selbstorganisation und Spontanität auf, die in Deutschlands inbestimmten linken Kreisen über Bellizona entstanden sind. XY betont die langjährige Vorarbeit der klassenkämpferischen Betriebsgruppe sowie das geplante und gut organisierte Vorgehen der Betriebsgruppe unter Führung von Gianni Frizzo bei Auslösung des wilden Streiks und der Betriebsbesetzung.

YZ knüpft daran im Redebeitrag des Revolutionären Aufbaus Schweiz an. Er betont die Notwendigkeit einer Strategie. Die radikale Linke, die üblicherweise von außen an Betriebskämpfe herantritt, müsste eine langfristigen Heransgehenszum Aufbau betrieblicher Gegenmacht von unten entwickeln. Der gängigen Orietierung in der Szene auf Events wie z.B. Streiks stellen sie eine Sichtweise entgegen, die nach Kräfteverhältnissen fragt und deren langfristige Veränderung ins Blickfeld rückt.

Danach kamen die lokalen Akteure zu Wort. Hans Patzelt von Sozialforum fasste nochmal die damalige Unterstützungsarbeit des Sozialforums und den Electroluxboykott zusammen. In Vertretung der verhinderten Franziska schilderte ein Genosse der OA die Stadtteildemo. Der Kollege der ANA (Erwerbsloseninitiative) berichtete nicht nur über die damaligen Aktivitäten, sondern gab auch kritisch zu bedenken, dass man sich als Nürnberger AktivistInnen nicht auf den AEG-Lorbeeren ausruhen darf und die Betriebsarbeit weitergehen müsste. Ein Ex-Kollege der AEG schilderte nochmals die spontanen Proteste und betonte die Notwendigkeit aus dieser Erfahrung zu lernen und bei zukünftigen Kämpfen shcon frühzeitig mit dem Aufbau einer verankerten und stabilen Betriebsgruppe wie in Bellizona zu beginnen, die bei der AEG so schmerzlich gefehlt hat.

Bei der offenen Diskussion gab es dann zahlreiche Nachfragen zu Bellizona und Diskussionsbeiträge zu Selbstorganisation, Spontanität ebenso wie kontroverse Meinungen zum Umgang mit der IGM und ihrem Apparat.

 

Redebeitrag über den Streik der Officine:

Am 7. März 2008 jagen vierhundertdreissig Arbeiter in der Officina von Bellinzona den Vertreter der Schweizerischen Bundesbahnen, kurz SBB, zum Teufel und beschließen ein-stimmig den unbefristeten Streik. Dieser Aufstand sieht auf den ersten Blick aus wie ein spontaner Protest, wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Und sowas ausgerechnet im „Lande des Arbeitsfriedens“: In einem Land, in dem der Streik als gewerkschaftliche Waffe geächtet ist. In einem Land, dessen politische Linke einst mit Bewunderung auf die deutschen Gewerkschaften als kämpferisches Beispiel blickte. Wie ist in einem solchen Land ein Streik möglich, der inzwischen weit über die Landesgrenzen hinaus als Vorbild gilt?Was oberflächlich gesehen wie eine spontane Revolte aussieht, ist in Wirklichkeit ein hervorragend organisierter Kampf, der auf einer soliden gewerkschaftlichen Aufbauarbeit im Betrieb beruht. Es sind engagierte Arbeiter um Gianni Frizzo, die bereits vorher, seit zehn Jahren, im Komitee „Giù le mani dall’Officina di Bellinzona“ (Hände weg von der Werkstätte von Bellinzona) aktiv gegen den schleichenden Arbeitsplatzabbau und gegen die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen gekämpft haben. Aus diesem harten Kern aktiver Arbeiter wird das Streikkomitee gebildet. Während und auch nach dem Streik organisiert dieses Streikkomitee den Kampf und führt alle Verhandlungen mit der Gegenseite. Legitimiert wird das Streikkomitee durch die Arbeiterversammlung. Sie entscheidet in allen wich-tigen Fragen, insbesondere über Verhandlungsangebote der Gegenseite. Diese radikale Arbeiterdemokratie – das Streikkomitee spricht in diesem Zusammenhang von „democrazia assoluta“ – ist die Grundlage, das Rückgrat der Bewegung und die wichtigste Voraussetzung für den erfolgreichen Kampf.Der Streikfilm „Giù le mani“ beginnt mit dem Aufstand vom 7. März. Wenig bekannt sind die entscheidenden Tage zuvor. Denn es wäre naiv zu glauben, 430 Arbeiter würden sich ein-fach eines schönen Tages im Betrieb versammeln und einstimmig den unbefristeten Streik beschließen. An diesem Tag sind in Wirklichkeit die Würfel bereits gefallen, das Kräfteverhältnis zwischen Unternehmensleitung und Belegschaft hat sich schon vorher zugunsten der Belegschaft verändert.Nachdem die Schließungspläne gegen Ende Februar 2008 durchgesickert sind, beginnt das spätere Streikkomitee mit der Mobilisierung der Belegschaft. Etwa die Hälfte der Beschäftigten verlassen eines Nachmittags den Arbeitsplatz und begeben sich ins nahe gelegene Volkshaus zu einer Versammlung. Am folgenden Montag, 3. März verlässt erneut ein Großteil der Beschäftigten während der Arbeitszeit den Betrieb und marschiert in einem Demonstrationszug zum Sitz der Regionalregierung, wo sie von einem Vertreter der Tessiner Regierung empfangen werden. Am nächsten Tag geht der Kampf weiter. Diesmal ist der Sitz der SBB-Zentrale in Bern das Ziel der Arbeiterdemonstration. Mit andern Worten: Bereits zu Wochenbeginn findet eine zweitägige Arbeitsniederlegung statt. Erst am Mittwoch, 5. März wird die Arbeit wieder aufgenommen und eine Betriebsversammlung für den folgen-den Tag angekündigt. Nun ist es die Werksleitung der Officina, die reagiert. Sie ruft die Personalkommission zu sich und verbietet ausdrücklich die Abhaltung der angekündigten Versammlung im Betrieb während der Arbeitszeit. Damit kommt es zu einer ersten Kraftprobe: Wem werden die Arbeiter Folge leisten? Ihrer Werksleitung oder den Aktivisten des Komitees?Wie nahe Sieg und Niederlage beieinander liegen, illustriert das große Spruchband, das bei Kundgebungen stets mitgetragen wird – auch nach dem Streik, so beispielsweise anlässlich der Uraufführung des Films „Giù le mani“ am 15. August 2008 in Locarno. Auf dem Spruch-band steht: „Die Arbeiter der Werkstätte von Bellinzona sind entschlossen, ihren Arbeitsplatz zu verteidigen.“ Das Wort „Bellinzona“ ist aufgenäht, dahinter steht das Wort „Biasca“. Biasca ist eine Ortschaft etwa 30 km nördlich von Bellinzona. Dort gab es ebenfalls einen Unterhaltsbetrieb der Schweizerischen Bundesbahnen, der einige Jahre zuvor im Rahmen von Restrukturierunen geschlossen wurde. Dort ging der Kampf um die Arbeitsplätze verlo-ren. Auch die gleichzeitige Streichung von 70 Arbeitsplätzen in der Officina von Bellinzona konnte das Arbeiterkomitee nicht verhindern. Und die Eisenbahnergewerkschaft SEV hatte dem Abbau als „kleinerem Übel“ zugestimmt.Diese unternehmerfreundliche Haltung der Gewerkschaftsführung musste schon damals zu einem tiefen Riss zwischen dem späteren Streikkomitee und der Eisenbahnergewerkschaft SEV geführt haben. Ein Riss, der sich in den folgenden Jahren weiter vertiefte und damit endete, dass alle führenden Arbeiteraktivisten der Officina von Bellinzona auf Ende des Jahres 2007 aus dem SEV austraten und sich der Gewerkschaft Unia anschlossen, deren lokale Sektion ihre Anliegen unterstützte. An die Friedenspflicht gebundener Vertragspartner der SBB blieb selbstverständlich der SEV. Dieser Widerspruch ließ jedoch die SBB-Manager keinen Verdacht schöpfen. Nichtsahnend trieben sie ihre Restrukturierungspläne voran. Dazu gehörte auch die geplante Schließung der Officina von Bellinzona mit der Verlagerung des Lokomotivunterhalts nach Yverdon in der französischen Schweiz und der Privatisierung des Güterwagenunterhalts an einen lokalen Unternehmer.Das ist also die Ausgangslage Anfang März 2008: Auf der einen Seite das SBB-Management und ihre Absicht, die Officina in Bellinzona zu schliessen. Auf der andern Seite ein harter Kern von aktiven Arbeitern, die der vertraglich gebundenen Gewerkschaft SEV den Rücken gekehrt und sich der Gewerkschaft Unia angeschlossen haben sowie eine zum Kampf entschlossene Belegschaft. Dazwischen die Werksleitung, die weitere vertragswidrige Kampfaktionen und insbesondere die angekündigte Betriebsversammlung vom Donnerstag, 6. März ausdrücklich verboten hat. Wie reagieren die einzelnen Arbeitnehmer auf dieses Verbot? Sind sie bereit, vorsätzlich und willentlich gegen das gesetzliche Weisungsrecht des Arbeitgebers zu verstoßen? Überschreitet die Bewegung diese Grenze oder fällt sie hinter ihre Ausgangslage zurück?Am Morgen des 6. März beginnen die Arbeiteraktivisten im hinteren, nördlichen Teil des Betriebes und holen die Kollegen aus den Abteilungen heraus. Rasch schwillt der Zug an, Abteilung um Abteilung entleert sich, bis schließlich alle am andern Ende des Werksgeländes in der großen Halle der „Pittureria“ versammelt sind, wo normalerweise die Lokomotiven gespritzt werden. Damit ist die Macht der Werksleitung gebrochen. Bewahrheitet haben sich die Worte von Gianni Frizzo, der tags zuvor als Präsident der Personalkommission seinem Direktor erklärt hat: „Von heute an befehlen hier nicht mehr Sie als Direktor, sondern die Arbeiter.“Am nächsten Morgen, dem 7. März 2008, empfangen die in der Halle der Pittureria verammelten Arbeiter den Vertreter der obersten Unternehmensleitung. Die Szene, die auch am Anfang des Streikfilms „Giù le mani“ zu sehen ist, beginnt mit einem Tabubruch: Gianni Frizzo, der Wortführer der Arbeiter, hindert den SBB-Manager am Reden und lässt ihn einzig die Frage nach der Schließung der Officina mit einem einfachen Ja oder Nein beantworten. Nachdem der sichtlich verunsicherte Mann sich ein gequältes Ja hat entlocken lassen, jagen ihn die Arbeiter mit Schimpfe und Schande aus der Halle und beschließen ein-stimmig den unbefristeten Streik. Diese zweite Kraftprobe wird von Gianni Frizzo als entscheidender Augenblick gewertet: Hätte er den SBB-Manager ausreden lassen, wäre die Gefahr groß gewesen, dass dieser einen Teil der Belegschaft mit falschen Versprechungen hätte verunsichern und so die Streikbewegung gleich zu Beginn hätte spalten können. Nachdem die Arbeiter nun den unbefristeten Streik beschlossen haben, besetzen sie gleichentags das Werk und bewachen es rund um die Uhr. Symbolisch wird das Zugangsgeleise zum Werk verschweißt, und am nächsten Tag besetzen sie in einem Demonstrationszug zum Bahnhof von Bellinzona kurzzeitig die Geleise der internationale Eisenbahnlinie.Der am 7. März von Streikkomitee und Arbeiterversammlung ausgerufene Streik gilt als „wilder Streik“, da nicht von einer offiziellen Gewerkschaft beschlossen und angekündigt. Das bei Massenentlassungen und Betriebsschließungen übliche Verfahren wird damit entscheidend gestört, zumal das Streikkomitee den Gewerkschaften verbietet, Sozialplanverhandlungen zu führen, solange der Streik andauert. Für einmal geht es nicht darum, wieviele Arbeitsplätze gestrichen, wieviele erhalten bleiben und zu welchen Bedingungen Leute entlassen werden. Vielmehr lautet die unmissverständliche Forderung der Arbeiter: Die SBB müssen den Entscheid, das Industriewerk Bellinzona zu schließen, rückgängig machen! Erst danach kann über dessen Zukunft verhandelt werden. Mit dieser Forderung, welche die Gegenseite als „kompromisslos“ und „unrealistisch“ qualifiziert, wird erfolgreich verhindert, dass die Arbeiter gegeneinander ausgespielt werden.Die Streikbewegung in den Officine von Bellinzona entwickelt ab dem 7. März 2008 eine ungeahnte Dynamik und stellt die bisherigen Machtverhältnisse auf den Kopf. Dies vor allem, weil die Arbeiter – wie erwähnt – nicht nur in den Streik treten, sondern sogleich den Betrieb besetzen und rund um die Uhr bewachen. Mit der Betriebsbesetzung entziehen die Arbeiter das Werk der Verfügungsgewalt des „rechtmässigen“ Besitzers und bringen es vorübergehend in ihren Besitz. So entsteht ein eigentlicher Stützpunkt der Arbeitermacht, gewissermassen eine „befreite Zone“ oder – aus der Sicht der Gegenseite – ein „rechtsfreier Raum“.Der besetzte Betrieb wird in wenigen Wochen zu einem sozialen Zentrum, einem Ort der Begegnung und der Solidarität für die ganze Bevölkerung. Der Streik findet breite Unterstützung in der Tessiner Bevölkerung. Das zeigt sich einerseits in großzügigen Spenden für die Streikkasse, andererseits in machtvollen Straßendemonstrationen. Diese Solidaritätswelle erfasst den ganzen Kanton. Der Grund dafür ist nicht nur die tiefe Verwurzelung der Officine in der Tessiner Bevölkerung, sondern vor allem auch auch das Gefühl, dass es endlich jemand wagt, es den „arroganten, geldgierigen und machthungrigen Managern“ zu zeigen.Der Streik in den Officine von Bellinzona hat bekanntlich mit einem Sieg für die Arbeiter geendet: Konkret mit der Zusage, dass die Arbeitsplätze bis 2010 gesichert seien. Nach dem Ende des Streiks liegt die Macht im Betrieb noch immer völlig in den Händen des Streikkomitees und der Arbeiterversammlung. Eine Liste von neun Forderungen des Streikkomitees wird von der Direktion bedingungslos geschluckt. In den folgenden Monaten wird am sog. „Runden Tisch“ über die Zukunft des Industriewerks Bellinzona verhandelt. Die Vertreter der SBB weigern sich allerdings, dem Streikkomitee schriftliche Garantien über das Jahr 2010 hinaus zu geben. Deshalb beschließt erneut eine Arbeitervollversammlung: Am Freitag, 28. November werden die Arbeiter, statt arbeiten zu gehen, nach Bern fahren und machen Bundesrat Leuenberger einen „Höflichkeitsbesuch“. Die Drohung mit dem Warnstreik hat genügt: Die SBB-Führung schlägt dem Streikkomitee für den gleichen Tag ein klärendes Gespräch mit dem Verwaltungsrat vor, falls die geplante Demo abgesagt werde. Am gleichen Abend noch wird in einer SBB-Presseerklärung die Zukunft des Industriewerks Bellinzona bis 2013 schriftlich zugesichert.Das „Wunder von Bellinzona“ besteht also darin, dass mit dem „Befreiungsschlag“ vom 7. März das Kräfteverhältnis von einem Tag auf den andern massiv zu Gunsten der Arbeiter verschoben worden ist. Auf diese Weise ist die Konkurrenz unter den Arbeitern selbst, wie sie üblicherweise zwischen den Arbeitern verschiedener Nationalitäten und Kulturen, zwischen Gelernten und Ungelernten, zwischen Festangestellten und Zeitarbeitern besteht, auf einen Schlag in den Hintergrund getreten. Die zumindest zeitweise Überwindung der Spaltung unter den Arbeitern ist die Voraussetzung für jeden entschlossenen und solidarischen Kampf für ihre gemeinsamen Interessen. Das Beispiel der Officine von Bellinzona zeigt nun, dass dies nicht langsam und allmählich geschieht, sondern schlagartig in dem Augenblick, als eine Gruppe entschlossener Arbeiter es versteht, zum Kampf aufzurufen und die andern mitzureißen. Somit erweist sich der harte Kern von entschlossenen ArbeiterInnen, die das Vertrauen ihrer KollegInnen genießen, als die entscheidende Voraussetzung für einen solidarischen Kampf und damit gleichzeitig zur Überwindung der Konkurrenz unter den Arbeitern.Der Ausgang des Streiks in Bellinzona kann als „Glücksfall“ bezeichnet werden, sofern man darunter das Zusammentreffen verschiedener vorteilhafter Umstände versteht: Vorerst ein-mal das Vorhandensein eines Kerns aktiver und klassenbewusster Arbeiter im Betrieb als unverzichtbare Voraussetzung jedes erfolgreichen Kampfes. Zweitens hat das vorzügliche Zusammenspiel zwischen Streikkomitee und Arbeiterversammlung als Motor der Bewegung sichergestellt, dass ihnen während der ganzen Dauer des Kampfes dessen Führung nicht aus den Händen geglitten ist. Als entscheidend über Sieg oder Niederlage muss allerdings die Fähigkeit beurteilt werden, gleich zu Beginn des Streiks mit der nötigen Entschlossen-heit den Betrieb zu besetzen und als Zentrum des Kampfes sowie als Ausgangspunkt für dessen Ausdehnung auf die ganze Bevölkerung zu nutzen. Einmal mehr soll deshalb ausdrücklich auf die Wichtigkeit sowohl dieser Kampfmassnahme, als auch dessen Zeitpunkt hingewiesen werden: Nur die rasche Betriebsbesetzung, dieser „Eingriff in die bürgerliche Rechtsordnung“, hat es erlaubt, die bisherigen Machtverhältnisse auf den Kopf zu stellen und rechtzeitig eine „Gegenmacht“ zu errichten: die Arbeitervollversammlung mit dem Streikkomitee und der Solidarität der Bevölkerung als Druckmittel auf die politischen Instanzen.Die aneinander gereihten Arbeitshosen hängen als Symbol des Streiks noch immer in der großen Halle der „Pittureria“, ebenso wie die zahlreichen Spruchbänder, Fahnen und Solidaritätsbotschaften. Auch ein Jahr später sind in allen Abteilungen des Industriewerks Bellin-zona noch immer die roten Streikfahnen „Giù le mani dall’Officina di Bellinzona“ zu sehen. Diese Kampfsymbole erinnern nicht nur an den erfolgreichen Streik, sondern signalisieren, dass in diesem Betrieb eine nachhaltige Veränderung zu Gunsten der Beschäftigten stattgefunden hat und dass der Kampf nie zu Ende ist, sondern immer weitergeht, solange es Lohnarbeit gibt. Die Werksleitung darf zwar ihr Weisungsrecht in Bezug auf die Kundenaufträge und die Organisation der Arbeit wieder ausüben. Gleichzeitig soll sie sich jedoch davor hüten, die Solidarität der Belegschaft und Arbeitermacht im Betrieb anzugreifen. Deren Bedeutung kann am Beispiel der Zeitarbeit aufgezeigt werden: Das allmähliche Wegschmelzen der Stammbelegschaft und deren Ersetzung durch Zeitarbeiter ist heute wahrscheinlich die größte Bedrohung für die Zukunft der Officina. Das Streikkomitee hat diese Gefahr rechtzeitig erkannt und erst kürzlich mit der Werksleitung ausgehandelt, dass bis im Sommer ein Drittel aller temporär Beschäftigten fest angestellt werden müssen und ein weiteres Drittel bis im Herbst. Die scheinbar völlig kampflose Durchsetzung einer solchen Forderung mag erstaunen. Sie zeigt mit aller Deutlichkeit die Macht einer geeinten Belegschaft, nachdem es unzähligen Schwierigkeiten zum Trotz gelungen ist, mit dem entschlossenen und solidarischen Kampf die Spaltung unter den Beschäftigten zu überwinden. Redebeitrag vom Rev. Aufbau über die Linke zu Arbeitskämpfen: 

Ich ergänze XY’s Beitrag noch aus einer spezifischen Sicht als revolutionäre Organisation. Wir – der Revolutionäre Aufbau Schweiz – sind Teil des Netzwerks für eine kämpferische ArbeiterInnenbewegung. Dieses Netzwerk ist aus der Initiative des Streikkomitees entstanden und hat sich soweit konstituiert. Genauer gesagt, werde ich jetzt weniger ergänzen, als gewisse Gewichtungen nochmal betonen. Und dies – das ist uns wichtig – mit einem Blick auf uns selber, nämlich als Linke.Generell gibt es in der Linken einen starken Fokus auf die Frage, wie ein Streik geführt werden muss, und was dazu nötig ist. Dabei besteht aber die Gefahr, dass man den Fokus zu stark auf dieses taktische, sichtbare Moment reduziert, sozusagen auf den Putsch. Das hat auch mit unserem Standpunkt, also uns als BetrachterInnen zu tun, deshalb will ich kurz darauf eingehen. Auch, weil ich denke, dass die meisten hier sich zuerst einmal als linke AktivistInnen verstehen, welche sich als solche für den Betriebskampf interessieren.Als Linke stehen wir erst einmal außerhalb eines Betriebs, soweit wir nicht selber an unserem Arbeitsplatz einen Konflikt haben. Das muss uns bewusst sein, weil wir damit auch nur einen begrenzten Einblick über die Situation in einem Betrieb haben. Wir sehen die Sachen erst, wenn sie öffentlich gegen außen treten, zum Beispiel, wenn gestreikt wird. Und wir beginnen mit der Analyse dann auch oft dort, also beim Streik und gehen dann zeitlich zurück und schauen, was die verschiedenen Faktoren und Bedingungen sind, welche dazu geführt haben. Und auch da bleibt uns vieles verborgen. Wichtig ist das, weil das – so denke ich – ein starkes Gewicht auf taktische Fragen wirft. Also eigentlich viele Sachen, die entweder zufällig erscheinen oder die vom Geschick der Streikleitung abhängen. Aber diese ganzen taktischen Fragen, oder sagen wir, der Streik der an dem Tag X passiert, hat ja ein Grundlage, eine Basis, welche als Fundament dient. Das Ganze spielt sich ja auf einem Terrain ab, wo es latente Kräfteverhältnisse gibt. XY hebt zwar heraus, wie schnell sich Kräfteverhältnisse sprunghaft verändern können. Ich würde das eher so ausdrücken, dass latente Kräfteverhältnisse in gewissen Momenten realisiert werden oder zum „Ausdruck“ kommen. Dazu gehört natürlich das taktische Geschick im Moment (den Chef nicht zu Worte kommen lassen/die schnelle Besetzung/auch rhetorische Fähigkeiten/der arrogante Chef usw.), aber es gehört eben auch die langwierige Vorarbeit, welche sozusagen das Terrain „strategisch“ vorbereitet. Das hat XY. anhand des Kerns der „Giu le mani“ geschildert.Weshalb diese Ausführung? Ich will betonen, dass – bevor wir uns mit der Frage beschäftigen, wie ein Streik taktisch zu führen ist – überhaupt einmal ein Terrain dafür geschaffen werden muss. Unser Augenmerk sollte darin liegen, wie solche entschlossene Kerne in Betrieben entstehen, wie schon im Kleinen, oder im Arbeitsalltag Gegenmacht Schritt für Schritt und manchmal sprunghaft aufgebaut werden kann.Was wird damit weiter impliziert? Es geht um Kräfteverhältnisse, nicht nur um einzelne Erscheinungen, wie der Streik. Wie die Revolution, so muss auch die sozusagen „kleine Revolution: Streik“ als gesamter Prozess der Aufbaus von Gegenmacht verstanden werden. Es geht also nicht nur um den „Putsch“, sondern um den ganzen Prozess, mit allen seinen Phasen von Rück- und Fortschritten. Der Streik ist also nur ein Teil des ganzen. Und unter diesem Blickwinkel stellt sich nämlich die Frage nach Erfolg oder Niederlage eines Streiks nochmals anders. Wir müssen fragen, wie sich ein Streik für die ArbeiterInnenbewegung oder im kleineren Rahmen für die Beteiligten auswirkt. Also auch wenn ein Streik nicht die Maximal-Ziele erreicht, kann er ein Erfolg sein. Dies kann zum Beispiel der Fall sein, wenn die Streikfront nicht bröckelt, wenn es einen „geordneten Rückzug“ gibt, wenn alle Entscheidungen kollektiv von den Belegschaften selbst gefällt wurden. Oder wenn die Gegenmacht im Arbeitsalltag weitergezogen werden kann. Es geht also letztlich um die Interpretation des Kampfzyklus: Ist sie demoralisierend oder aufbauend?Das Wunder von Bellinzona ist also vor allem, dass in der Streikleitung dieses Verständnis omnipräsent war. Auch wenn sie sich nicht hätten voll durchsetzen können, hätten sie gewonnen. Und im langjährigen Kampf dieses Kerns „Giu le mani“ gab es ja auch diese Rückschläge, die aber eben den Kern weitergebracht haben. Weil dieses Verständnis da ist, kommen die Leute gestärkt aus dem Streik, kann der Streik als Ausgangspunkt für weitere Projekte dienen. So initiierte das Streikkomitee ein Netzwerk „für eine kämpferische ArbeiterInnenbewegung“ und eine Frauengruppe entstand aus dem Streik, welche die Erfahrung über ein Theater verarbeitete, und jetzt in Zusammenarbeit mit unserer Frauenstruktur auch zu Themen wie „prekäre Arbeit“ oder „Internationaler Frauenkampftag“ politisch angeht.Zentral erscheint uns also die Frage, wie sich solche Kerne aufbauen, wie sie in Betrieben agieren und mit welchem Verständnis sie an den Arbeitskonflikt gehen. Letzteres meint, dass wir denken, es braucht als Grundlage das Verständnis, dass es immer um antagonistische Interessen zwischen der Belegschaft und dem Unternehmer geht. Erst unter diesem Blickwinkel ist die so wichtige strategische Herangehensweise möglich und somit der schrittweisen Aufbau von Gegenmacht.In nächster Zeit wird jedoch das Problem wohl sein, dass die Angriffe von oben die Belegschaften unvorbereitet trifft. Diese lange Aufbauphase, welche bei Giu le mani möglich war, müsste also in sehr kurzer Zeit passieren. Auf der anderen Seite wächst das Bewusstsein gerade in der Konfrontation. Vielleicht kommt hier der Linken außerhalb des Betriebes wieder eine besondere Rolle zu, weil sie die häufiger werdenden Konfrontationen in die Öffentlichkeit tragen kann und Verbindungen zwischen verschiedenen Arbeitskämpfen herstellen kann.