Non dago Jon? Zer egin duzue Jonekin? Diese zwei Fragen, die im Communiqué der ETA zum Verschwinden Jon Anza Ortúñez auftauchen, stellen sich momentan wohl viele Linke im Baskenland und anderswo: Wo ist Jon? Was habt ihr mit Jon gemacht?
(rabs) Jon Anza ist ein ehemaliger politischer Gefangener, der zur Zeit seines Verschwindens seit sechs Jahren in der baskisch-französischen Stadt Baiona im Exil war. Am 18. April verabschiedete er sich am Bahnhof von Baiona von seiner Freundin und stieg in den Zug nach Toulouse. Dort sollte er, nach dem Communiqué der ETA, an einem Treffen erscheinen, um Geld zu übergeben. Er verpasste sowohl dieses Treffen als auch die zwei danach festgelegten Sicherheitstreffen, eines davon am Folgetag. Seither fehlt von ihm jede Spur.
"Wir haben keine Ahnung, wo er stecken könnte", sagt Amaia, Aktivistin einer baskischen Organisation, die die politischen Gefangenen unterstützt. Dass aber die spanische Polizei dahintersteckt, wird innerhalb der Linken kaum bezweifelt. Dafür spricht auch, dass die Polizei von Jons Verbindungen zur ETA gewusst haben muss: Seine Fingerabdrücke wurden anfangs dieses Jahres auf Informationsmaterial der Organisation gefunden. Am vergangenen Wochenende hat nun der "movimiento pro-amnistía" Freiwilligenbrigaden organisiert, die an den Zugstationen zwischen Baiona und Toulouse Flyer mit einem Foto Jons und einer Kontaktnummer aufgehängt und verteilt haben. Auch die ansässigen Medien wurden über den Vorfall informiert.
"Klar hat es auch schon ähnliche Vorfälle gegeben", sagt Amaia. "Aber das ist lange her. Dieser Vorfall kam für uns alle total unerwartet, die Menschen sind geschockt." Sie spricht dabei von Zeiten, in der die rechtsextreme Todesschwadrone GAL (Grupos antiterroristas de liberación, Antiterroristische Befreiungsgruppen) im Baskenland mutmassliche ETA-Angehörige und -SympathisantInnen ermordete und Anschläge verübte. Damals wurde die Todesschwadrone von der Sozialdemokratischen Regierung unterstützt. Dass nun erneut – wieder unter sozialdemokratischer Regierung – ein ETA-Aktivist verschwindet, lässt befürchten, dass es zu einer Neuauflage der GAL kommen könnte. Weitere Fälle, wie das Verbot vieler linken Parteien bei den Regionalwahlen oder die kurzfristige Entführung und Bedrohung eines ehemaligen politischen Gefangenen durch die Polizei in Bilbao weisen in die gleiche Richtung: dass die Herrschenden die Offensive gegen die Unabhängigkeitsbewegung im Baskenland noch mehr verstärken.
In den Strassen der baskischen Städte wurden Plakate aufgehängt mit den Worten "Zapatero – Sarkozy, wo ist Jon?" Unter diesem Motto, das klarstellt, wo die Verantwortlichen von Jons Verschwinden zu finden sind, hat am vergangenen Samstag eine Demonstration in Hendaia stattgefunden. Auch in anderen baskischen Städten gingen die Menschen auf die Strasse um Druck auf die Regierung auszuüben.
Während im Baskenland die Meinungen gemacht scheinen, wird in Spanien eifrig dementiert. Minister, Polizei und Zeitungen sprechen von Schwindel und gehen sogar soweit, der ETA das Wort im Mund umzudrehen: Die rechte Tageszeitung "la razón" überschrieb ihren entsprechenden Artikel mit "ETA glaubt, einer ihrer "Pöstler" sei mit Geld geflüchtet".
Eine Lösung des Konflikts zwischen dem Baskenland und Spanien bleibt in weiter Ferne, solange die spanischen Medien und die Mehrheit der Zivilbevölkerung ihre unkritische Haltung was die Repression gegen die baskischen Bewegungen angeht und ihre bedingungslose Unterstützung der Zentralregierung in ihrem "Kampf gegen den Terror" nicht überdenkt. "Spaniens Problem ist nicht ETA. Das wirkliche Problem der Völker des Spanischen Staates, und aller anderen Völker der Welt, ist der wilde Kapitalismus", wie es der Schriftsteller und Mathematiker Carlo Frabetti dieser Tage in der GARA ausdrückt.