Sprung ins kalte Wasser (aufbau 57)

Sprung ins kalte Wasser (lange Version des Artikels aus dem aufbau 57, Juni 2009)

RÜCK- UND AUSBLICK Im letzten Jahr wurde die Linke ganz schön gefordert. Nicht nur von der Krise, sondern auch von der kämpferischen Belegschaft der Officine, welche uns auf den Aufbau eines kämpferischen Netzwerks verpflichtete.

(az) Wer dachte, nach dem spektakulären Streik der Officine würde wieder ruhiger Alltag für die Linke und GewerkschaftsaktivistInnen einkehren, irrte. Das Tempo, mit welchem das Streikkomitee ihren Kampf führte, setzte es am 31. Mai mit seiner Initiative für eine neue kämpferische ArbeiterInnenbewegung fort. Damit schmiss sie die klassenkämpferische Linke ins kalte Wasser und diese musste mit dieser Überrumpelung umgehen lernen. Bis heute können wir bilanzieren, dass es drei grosse gesamtschweizerische Treffen mit 150 bis 300 Leuten gab und dass es in zwei Städten kontinuierliche Solikomitees gibt, welche sich auf das Netzwerk beziehen. Ein Erfolg, so denken wir, betrachten wir insbesondere die qualitative Seite. Das Netzwerk hat sich mit dem dritten Treffen konsolidiert, eine Plattform verabschiedet und sich den Namen «Netzwerk für eine kämpferische Bewegung der ArbeiterInnen» gegeben. Bei allen Grenzen, welche uns gesetzt sind, konnte das Netzwerk trotzdem das Mögliche erkennen und bescheiden um diese Schritte kämpfen. Die Beteiligten hatten jedoch einige Schwierigkeiten zu lösen.Das Netzwerk entstand aus einem konkreten Arbeitskampf. So nutzte das Streikkomitee diese euphorische Dynamik und trug sie über den Betrieb hinaus in die Gewerkschaftsbewegung. Nur durch eine solche praktisch erkämpfte Legitimation konnte es gelingen, alle interessierten Kräfte zusammen zu bringen. Die grundlegenden Probleme der heutigen Politik in der ArbeiterInnenbewegung bestehen jedoch weiterhin:

Es gibt keine eigenständige Bewegung in den Betrieben. Einem solchen Netzwerk fehlt längerfristig also der praktische Bezug, was sich personell darin ausdrückt, dass die Beteiligten mehrheitlich politische AktivistInnen oder Organisationen sind.Die Herausforderung des Netzwerks lag also darin, die Entwicklungsdynamik – insbesondere die Phase nach der ersten Euphorie durch den realen Arbeitskampf – realistisch zu antizipieren und die Energie in eine stabile und kontinuierliche Zusammenarbeit zu überführen. Es musste also gelingen, zum einen den Anspruch zu bewahren, sich stets an realen Kämpfen zu orientieren, zum anderen aber auch, sich in kampfschwachen Phasen der Notwendigkeiten eines zukünftigen Arbeitskampfes bewusst zu bleiben. Letzteres erfordert, dass ein regelmässiger Austausch von Informationen und Erfahrungen stattfindet, damit im richtigen Moment eine Vertrauensbasis unter den Beteiligten für eine Intervention besteht. Verstehen wir dieses Netzwerk als ein Aktionsbündnis, so muss dieses auch auf das Erarbeiten einer Aktionsfähigkeit im Vorfeld einer „Aktion“ ausgeweitet werden.In dieser kampfschwachen Phase trat die geringe Beteiligung von kämpfenden ArbeiterInnen, bzw. die geringe Verankerung in der ArbeiterInnenklasse, in ideologischen oder programmatischen Diskussionen zum Vorschein. So wurde darum gerungen, ob dem Netzwerk nur Einzelpersonen oder auch politische Organisationen angehören dürfen, ob man nur ArbeiterInnen oder auch politisch Aktive ansprechen will. Diese Frage wurde schliesslich von der ideologischen Ebene auf die praktische hinuntergebrochen. Je nach Region sind die objektiven Bedingungen unterschiedlich, daraus entstehen auch unterschiedliche Vorstellungen der Organisierung. Im deutschen Sprachraum tritt das Netzwerk vorerst in der Form von Solikomitees auf, welche offen von politischen Gruppen und Einzelpersonen getragen werden. Dies gründet auf der Einschätzung, dass es noch keine Verankerung in den Betrieben gibt und somit eine Kontinuität nur durch politischen Gruppen und AktivistInnen gewährleistet wird. In der Westschweiz besteht eher ein loses Netzwerk unter aktiven GewerkschafterInnen. Im Tessin schliesslich ist das Netzwerk als Streikkomitee mit den jeweiligen Verbindungen in die Gewerkschaften präsent. Die Herausforderung wird sein, diese Strukturen immer wieder anzupassen.

Bleibt alles möglich

Unter anderem anhand verschiedener Erfahrungen aus ähnlichen Projekten in Deutschland konnten wesentliche Kategorien in unseren Vernetzungsversuch einfliessen, welche generelle Problemstellungen der heutigen Klassenkampfpraxis berühren.Eine solche Kategorie ist die der Öffentlichkeit. Eine Vernetzung kann informeller, lockerer, klandestiner Natur sein, mit dem Ziel praktische Ad-Hoc-Strukturen bei Streiks zur Unterstützung anzubieten oder andere (Gewerkschafts-)Strukturen für solche zu nutzen. Dies bietet sich vor allem dann an, wenn der Gewerkschaftsapparat – wie in Deutschland – die Unvereinbarkeitsbeschlüsse (Ausschluss von KommunistInnen) durchsetzt, oder wenn nur von wenigen kontinuierlichen Kräfte ausgegangen werden kann. Eine solche Vernetzung beschränkt sich sozusagen auf das „Kerngeschäft“ der praktischen Unterstützung bei Arbeitskämpfen.Mit dem offensiven Aufruf des Streikkomitees «Giu le mani» setzte das Netzwerk von Beginn an auf eine öffentliche Präsenz und die Lancierung einer Debatte um Strategien der ArbeiterInnenbewegung. Inzwischen hat sich gezeigt, dass das Netzwerk mit dieser Öffentlichkeit die nötige Fassbarkeit und Referenz erreicht hat, um auch Raum für verschiedene weitere Vernetzungsformen zu öffnen. Konkrete Unterstützung bei Kämpfen wie auch politische Interventionen ergänzen sich, und die öffentlichen Treffen bieten Möglichkeiten, sich auch informell auszutauschen. Die Schwierigkeiten öffentlicher, unverpflichtender Treffen sind aber, dass sie sehr abhängig von Bewegungsdynamiken sind. Deshalb ist neben einer solchen Präsenz auch eine feste Struktur nötig, welche durch kontinuierliche gemeinsame Praxis ein gewisses Mass an Vertrauen und Verpflichtung erarbeitet. Im Netzwerk verkörpern dies vor allem die regionalen Solikomitees. In Zukunft wird die Beweglichkeit der Netzwerk-Strukturen, also der Mut Schritte zurück und Schritte nach vorne zu machen, weiterhin von grosser Bedeutung sein. Der ambitionierte Versuch, über ein Netzwerk, eine Öffentlichkeit für Debatten und Praxis zu schaffen, kommt nicht darum herum, sich dem schon erwähnten Problem der schwach entwickelten schweizerischen Klassenkämpfe zu stellen. Auch in dieser Vernetzung hat die praktische Unterstützung bei Arbeitskämpfen, oder allgemeiner der selbständige Kampf der ArbeiterInnen, absolute Priorität, alle anderen Aktivitäten haben sich diesem Zweck unterzuordnen. Wenn diese Haltung nicht immer im Bewusstsein gehalten wird, besteht die Gefahr, dass das Netzwerk für „politische“ Ersatzhandlungen oder gar Instrumentalisierungen genutzt wird. Unter politischer Ersatzhandlung ist der Versuch zu verstehen, trotz oder gerade wegen Mangel an realen Kämpfen Kampagnen auf „realpolitischer“ Ebene zu initiieren. Dies käme im Prinzip dem Funktionieren der Gewerkschaften nahe, welche statt durch reale Kampfbereitschaft einzig mit Verweis auf die Mitgliederzahl politische Initiativen und Verhandlungen aufnehmen.

Wohlfühlzone «Zwischenraum»

Eine weitere Kategorie ist die der Praxis. Sie betrifft vor allem die antikapitalistische Linke, zu welcher auch wir uns zählen und aus welcher Sichtweise unsere Erläuterungen hier geschrieben sind. Diesbezüglich haben die verschiedenen Vernetzungsinitiativen in der Schweiz aber auch in Deutschland geholfen, zu eruieren, welche Kräfte ernsthaft am Arbeitskämpfen interessiert sind. Wir gehen davon aus, dass sich Klassenkämpfe in verschiedenen gesellschaftlichen und sozialen Brennpunkten jeweils nicht zwingend gleichzeitig und in unterschiedlichen Formen und Kampfzyklen entwickeln. Jedes solche Terrain oder jeder Sektor des Klassenkampfes (z.B. Politische Widerstandbewegung, ArbeiterInnenbewegung, soziale Bewegungen usw.) zeichnet sich durch spezifische Bedingungen aus. Diese müssen undogmatisch analysiert werden, damit eine diesen angepasste Strategie entwickelt werden kann. Gerade die antikapitalistische Linke tendiert dazu sich auf rein ideologischem Terrain zu bewegen, einzig um die «richtige Interpretation» zu ringen. Dieser falsche Zugang ist nicht zu vernachlässigen, weil er sich auch in falschen Einschätzungen niederschlägt. Erst, wenn es um den Anspruch geht, «die Welt zu verändern», gehen wir ein praktisch-tätiges Verhältnis zur Umwelt ein. Ohne eine solche Praxis können sich Irrtümer durchsetzen, welche die Gewerkschaft z. B. nur auf ihre objektive Funktion der Verwaltung der Arbeitskraft reduzieren. In letzter Instanz stimmt diese Aussage zwar, aber durch die Reduktion geht die Widersprüchlichkeit, welche in der Gewerkschaft schlummert verloren. In der Praxis wird klar, dass es durchaus Elemente in der Gewerkschaft gibt, welche ihrer Funktion entgegenwirken. Ähnlich verhält es sich im Arbeitsalltag. Auch dort ist die Unterordnung unter die Arbeitsbedingungen oft logisch nachvollziehbar und auch hier gilt es, die Situationen auszumachen, in denen diese Logik durchbrochen wird. Es sind dies die «Zwischenräume» oder «Graubereiche», in denen etwas möglich ist und wo Politik z. Z. ihren Raum hat. Es gilt also, die Situation in ihrer Widersprüchlichkeit zu verstehen, in diese praktisch «einzutauchen», um dort den jeweiligen Emanzipations-Hebel zu finden und umzustellen.

Immer flexibel… für den Arbeitskampf

Zwar ist die Debatte um Perspektiven sehr wichtig, doch macht sie also nur Sinn, wenn es gelingt, sie mit einer Praxis im konkreten Klassenkampf zu verbinden. Im Sektor des Arbeitskampfes ist diese Frage besonders virulent, weil hier der Anspruch einer klassenkämpferischen Linken mit der ernüchternden Erkenntnis zusammenprallt, dass es zur Zeit keine selbständige ArbeiterInnenbewegung gibt. Um nicht einem Fatalismus, Attentismus oder einer Mystifikation der ArbeiterInnenklasse zu verfallen, ist es wichtig, die Bedingungen wirklich so wahrzunehmen, wie sie sind. Das hört sich banal an, erweist sich aber als sehr anstrengend, weil dazu erstens eine aufwendige, zeitintensive Praxis nötig ist und zweitens die Offenheit gegenüber neuen Kampfformen und Bündniskonstellationen auch das Sprengen von Routinen erfordert. Das Netzwerk bietet als Aktionsbündnis genau diesen Rahmen. Hier soll durch den Austausch von Ressourcen und Erfahrungen nicht um abstrakte Positionen, sondern um praktische Handlungsfähigkeit gerungen werden. Für eine revolutionäre Linke ergeben sich dabei Möglichkeiten, Formen der Widerstandsbewegung in die Arbeitskämpfe einfliessen zu lassen, aber auch die Pflicht, die eigenen Formen an die Notwendigkeiten eines Arbeitskampfes anzupassen. Dies mit der Perspektive eines Zusammengehens der Kämpfe. Und wir müssen mitunter mit der Herausforderung umgehen können, dass Arbeitskämpfe heute schnell an einen Punkt stossen, an welchem die kapitalistische Produktionsweise fundamental in Frage gestellt wird, gleichzeitig aber für deren gelingen zur Zeit eine politische Offenheit und breite nötig ist. Beispielhaft ist diesbezüglich wieder der Kampf der Officine. Als praktischer Kampf hat er sich nicht primär an Idealen – also den Wünschen von Philosophen – orientiert, sondern an den Bedürfnissen der Betroffenen, an deren Situation und natürlich an der Hoffnung, dass es auch anders möglich ist. Nach diesen richtete sich der selbstbewusste Einbezug von Institutionen wie der UNiA, der Regionalpolitik oder gar der Kirche. Genauer: Das Vertrauen in die eigene Stärke und die Entschlossenheit im Kampf, erzwangen die Solidarität dieser Institutionen, welche sich schliesslich den Stempel des Klassenkampfes aufdrücken liessen. Betrachten wir die Verbindung von Tagespolitik mit revolutionärer Perspektive als das A und O kommunistischer Politik, so müssen wir uns praktisch mit solchen Strategien auseinandersetzen. Auch dafür bietet das Netzwerk den Raum.