Der Frosch im kalten Wasser (aufbau 57)

Artikel aus der aufbau-Zeitung Nr. 57:

Die Firma Rieter illustriert uns exemplarisch, wen man die Zeche der Krise des Kapitalismus bezahlen lässt. Und wie man auch noch hübsch aussieht dabei.

(agw) Noch im Jahr 2007 hatte Rieter ein aussergewöhnlich grosses Wachstum aufzuzeigen. So lassen sie auf ihrer Homepage verlauten, dass sich der Konzerngewinn sagenhafte 34,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr, auf 211,5 Millionen Schweizer Franken gesteigert hat. Es wurde mehr produziert und neue Stellen geschaffen. Doch die Rieter steht nun seit einiger Zeit mit ganz anderen Schlagzeilen in den Medien. Die neu geschaffenen Temporärstellen im Jahr 2007 waren dann auch die ersten, die wenige Monate später wieder gestrichen wurden.

Doch die Geschichte fängt erst an. Rieter spielt mit uns das bekannte Märchen vom Frosch im Wasser. Wird der Frosch in heisses Wasser gesetzt, springt er sofort raus, in kaltem Wasser hingegen, das langsam erhitzt wird, lässt er sich kochen. Rieter wählt geschickt die zweite Variante.
Hiess es noch Anfangs November 2008, dass für den Standort Winterthur nicht ausgeschlossen werden könne, dass noch dieses Jahr in der einen oder anderen Abteilung Kurzarbeit eingeführt werden müsste, kam kurze Zeit später aus, dass Rieter zusammen mit OC Oerlikon einen Antrag beim Seco stellte, die Begrenzung von 12 Monaten Kurzarbeit pro zwei Jahren auf 18 Monate zu erhöhen. Niemand kann noch glauben, dass die Konzernbosse dies nicht von Anfang an gewusst und darauf hingearbeitet hätten.
So werden die ArbeiterInnen und die Öffentlichkeit häppchenweise mit dem Ausmass der Krise in der Firma und den entsprechend immer drastischeren Massnahmen gefüttert. Das Wasser wird wärmer. Die Entrüstung bleibt aus.

Verständnis statt Kampfgeist

Die Kurzarbeit ist für die KapitalistInnen ein hervorragendes Mittel, um Menschen in ihren prekären Situationen zu binden. Viele sind nicht in der Lage sich kurzfristig anders zu orientieren, verbleiben aber dennoch in einem Angestelltenverhältnis zu einer Firma, der sie nun fast schon dankbar sein müssen, wenigstens nicht entlassen worden zu sein.

Dazu Oswald Ulrich, Leiter der Unia Sektion Winterthur: “Wir sind nicht wütend aufs Management, denn wir verstehen die schwierige Lage des Unternehmens und sehen ein, dass Handlungsbedarf besteht.“ Aber natürlich hat die Unia auch forsch ein Paar Forderungen aufgestellt, was sie sich von der Rieter wünschen. So verlangen sie, dass keine langjährigen MitarbeiterInnen entlassen werden, dass die Reduktion der Stellen hauptsächlich zu Lasten der temporär Angestellten geht und über Kurzarbeit. Ausserdem fordert sie, dass den ArbeiterInnen in Kurzarbeit Weiterbildungen oder Ähnliches angeboten werden, um ihre Qualifikationen zu verbessern. Die Frage bleibt, ob diese Forderungen den Entlassenen und Kurzarbeitenden helfen wird. Die Unia zeigt, wie sie einmal mehr die Sozialpartnerschaft über die Möglichkeit stellt, eine kämpferische Gewerkschaft zu sein.

GewerkschaftsexponentInnen hofieren sogar weiter beim Klassenfeind. Anstatt dagegen anzugehen, fordern sie nun die Kurzarbeit auf 24 Monate pro zwei Jahre auszudehnen. Dabei entgeht ihnen, dass Kurzarbeit kein Garant für Arbeitsplätze ist. Interessant an dieser tragischen Komödie ist, dass eine kürzlich veröffentlichte Studie der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich sogar Gegenteiliges belegt. Laut dieser wird Kurzarbeit oft nur zur Überbrückung missbraucht. Menschen in Kurzarbeitsverhältnissen werden so lange beschäftigt, bis Umstrukturierungen zur „schlankeren Produktion“ mit deutlich weniger Arbeitsstellen durchgeführt sind. Oder die teuren Produktionsstandorte durch billigere ersetzt werden.
So werden mit Kurzarbeit keineswegs -wie propagiert- im grossen Stil Arbeitsstellen gesichert, sondern Entlassungen lediglich aufgeschoben. Und unbekümmert sitzt der Frosch im heissen Wasser.

Es geht auch anders

Dass es auch kämpferischer geht als bei uns in Winterthur, zeigt ein Streik in Pune (Indien). Im Mai 2008 wurden 14 Mitarbeitende des indischen Rieter-Werks kurzerhand entlassen, um dem „grassierenden Schlendrian“ entgegenzutreten. Der eigens eingeflogenen Manager aus der Winterthurer Zentrale staunte aber nicht schlecht, als daraufhin die Belegschaft in Streik trat.
Arbeitskampfmassnahmen wie diese scheint die Unia-Führung schon lange nicht mehr ernsthaft in Betracht zu ziehen. Nicht mal jetzt, wo es sich offensichtlicher nicht anbieten könnte. Denn bald wird das Wasser kochen.