Artikel aus der aufbau-Zeitung Nr. 58:
Rieter schiebt die Krise als Grund vor, weitere Angriffe auf die ArbeiterInnen zu starten: Auf Entlassungen und Kurzarbeit zur „Rettung“ von Arbeitsplätzen folgen weitere Entlassungen und die Forderung nach einem „freiwilligen“ Lohnverzicht.
(agw) Rollen wir die ganze Geschichte noch einmal auf: Im November 2008 liessen die Rieter-
Bosse verlauten, dass für den Standort Winterthur Kurzarbeit nicht ausgeschlossen
werden könne. Doch bereits vor dieser Ankündigung hatte der Winterthurer Autozulieferer
und Textilmaschinenbauer beim Seco im Sinne ihrer zukünftigen Interessen einen Antrag
auf Verlängerung der Kurzarbeit von 12 Monaten auf 18 Monate pro zwei Jahre gestellt.
Kurz darauf sprach die Rieter-Geschäftsleitung etappenweise die Entlassung von weltweit
4000 ArbeiterInnen aus, davon gut 250 am Standort Winterthur, und führten in der
Schweiz flächendeckend in allen Werken Kurzarbeit ein. Und nun sollen weltweit weitere
1500 ArbeiterInnen entlassen werden, 15 Prozent davon am Hauptsitz in Winterthur.
Rieter-Sprecher Stoller sagt: “Wir waren in der Vergangenheit immer zu optimistisch.“ Wir
sagen aber, sie waren nicht einfach zu optimistisch, sondern dies alles ist kaltes Kalkül.
Erstes Interesse in der Rieter Chefetage ist, die Belegschaft ruhig und gefügig bei der
Stange zu halten. Der Aderlass erfolgt langsam aber kontinuierlich.
Schwarzes Dossier statt schwarze Liste
Natürlich sei man bei Rieter nicht glücklich über die Schritte, alles geschehe nur für das
Wohl des grossen Ganzen. Mit der bequemen Begründung, möglichst viele von den
übrigen Stellen retten zu wollen, kommen die Blutsauger bei vielen Menschen gut durch.
So auch der neueste Streich der Rieter-Bosse: Anfang August wurde bekannt, dass die
Rieter von denjenigen Beschäftigten, die noch nicht von Kurzarbeit betroffen sind,
während eines halben Jahrs einen „freiwilligen“ Lohnverzicht von 10 Prozent des
Monatslohnes fordert. Nach dem Verständnis der Rieter-Bosse ist dies als „freiwillig“ zu
bezeichnen, weil die Betroffenen diese Forderung ohne Begründung ablehnen könnten
und nicht auf eine Schwarze Liste gesetzt würden. Ihre Entscheidung werde aber im
Personaldossier vermerkt, in das die direkten Vorgesetzten Einblick haben. Kein Wunder
also, dass die meisten ArbeiterInnen auf diese Lohnkürzung eingestiegen sind. Die Angst
ist gross, negativ vermerkt zu sein und deshalb als unsolidarischer AngestellteR bei der
nächsten Entlassungsrunde abspediert zu werden. Die Drohung hat ihre Wirkung nicht
verfehlt. Auch dieses Kapitel des Klassenkampfes von oben ist ruhig über die Bühne
gegangen. Widerstand regte sich kaum.
Wut und Frust
„Mich wehren? Wogegen denn? Eine Internationale Krise? Selbst wenn ich es wollte, was
sollte ich tun? Mit einem Plakat „Ich will meinen Job zurück“ und klein geschrieben „Auch
wenn kein Geld für meinen Lohn da ist“ vor dem Werktor hin und her gehen? Nein, ich
denke nicht!“ Diese Aussage machte ein 25 Jahre alter Arbeiter, der in einem Werk im
Umkreis Winterthur tätig war in einem Interview. Zuletzt war er in Kurzarbeit, dann wurde
ihm gekündigt. Er widerspiegelt exemplarisch drei Aspekte die man bei den Rieter
Angestellten beobachten kann. Erstens eine Verbundenheit mit dem Betrieb, ein
Verständnis für ihr Handeln, zweitens eine tiefe Unzufriedenheit und Wut über das
individuelle Schicksal, und drittens aber auch eine Verlorenheit, Unwissen darüber, was
man tun könnte und das Gefühl, alleine gelassen zu werden.
Lohnverzicht als neues Mittel zur Lohnsenkung machte rasch Schule: Kurz nach der
Bekanntmachung dieser Lohnkürzungen bei Rieter, kündigte Alu Menziken an, dieses
Modell für alle Angestellte zu Übernehmen. Ein Modell, das längerfristig für die
ArbeiterInnen, die nach der Lohnsenkung dennoch entlassen werden, besonders
einschneidend ist: Gemäss der Arbeitslosenverordnung ist der Durchschnittslohn der
letzten sechs Monate vor der Entlassung für die Arbeitslosenentschädigung massgebend.
Wer sechs Monate lang nur 90 Prozent seines üblichen Einkommens erhalten hat, kriegt
von der Arbeitslosenkasse dann noch 60 bis 70 Prozent des ursprünglichen Lohns. Eine
Arbeitsplatzgarantie für ArbeiterInnen, welche die Lohnkürzung hinnehmen, schliessen
aber sowohl die Rieter als auch Alu Menziken aus. Entsprechend der Nutzlosigkeit der
Kurzarbeit als Stellenretterin (siehe aufbau 57) wird auch dieser Angriff für die
ArbeiterInnen schlecht ausgehen, solange die Perspektivenlosigkeit nicht durch eine
kämpferische Orientierung durchbrochen wird.