Die Wiederkehr der Protektorats oder Zwischenhalt in einem unvollendeten Krieg

Seit dem 10. Juni ist die federführend vom US-Imperialismus inszenierte NATO- Aggression gegen die Bundesrepublik Jugoslawien in eine neue Phase getreten. In guter kolonialer Tradition errichtetn die westlichen Mächte nach Bosnien ein zweites Protektorat auf dem Balkan, militärisch abgesichert durch die langersehnten Bodentruppen. Auch diese Phase der imperialistischen Aggression wird mit einer breiten Medienkampagne unterstützt. Nach den humanitären Bombenmassakern wird jetzt die militärische Okkupation des Kosovo als Friedensprozess deklariert. Angesichts der gleichzeitigen systematischen Vertreibung der serbischen Bevölkerung mit Morden und Brandschatzungen durch die UCK erscheint das Wort „Frieden“ als blanker Zynismus. Im Gegenteil. Viele Zeichen sprechen für eine Ruhe vor dem nächsten Sturm. 

Mit dem Einmarsch der KFOR-Truppen schlug die grosse Stunde der UCK. In der ihr eigenen grosskotzig-chauvinistischen Art beanspruchte die sogenannte Befreiungsarmee den durch die imperialistischen Mächte herbeigebombten Sieg für sich. Es blieb denn auch nicht bei grossalbanischen Parolen. Die im Kosovo verbliebene serbische Bevölkerung wird seit dem 10. Juni systematisch terrorisiert und vertrieben. Zumindest in den ersten Wochen unter den Augen und mit Billigung der KFOR-Truppen und mit unverhohlener Sympathie der bürgerlichen Medienwelt. So titelte beispielsweise der zürcherische Tages-Anzeiger augenzwinkernd am 6. August, mithin in Kenntnis der kurz zuvor verübten brutalen Massaker an 14 serbischen Bauern: „Die kurzen Wonnen der Anarchie im Kosovo“. 

Der kurze Hooneymoon mit der UCK

Hinter dem sich jetzt anbahnenden Konflikt zwischen den NATO-Mächten und der UCK steht denn auch weniger der Unmut der Besatzungsmächte über deren Vertreibungspolitik. Hingegen denken die neuen Herrscher des Kosovo nicht daran, die UCK mit der politischen Führung oder der Organisation der polizeilichen Repression im neuen Protektorat zu beauftragen. Die Kritik am Konzept einer internationalen Polizeitruppe wird immer lauter,  da diese gemäss Fachleuten kaum in der Lage sein wird, die Situation im Kosovo unter Kontrolle zu bringen. Eine Konfrontation zwischen Besatzungstruppen und der UCK wird damit immer wahrscheinlicher. Die grossalbanischen Träume der UCK haben ihren Dienst für die imperialistischen Mächte erfüllt, der Narr kann abtreten. Dies umso mehr, als diese Träume die durch den Krieg ohnehin arg aus dem Lot geratene  Stabilität des NATO-Aufmarschgebiets Mazedonien, in den Köpfen der UCK ein Teil Grossalbaniens, noch weiter erschüttern würde. Damit würde die durch die imperialistische Kriegspolitik geschaffene explosive Situation in dieser Region definitiv zur Detonation gebracht.

Imperialistische Kriegspolitik auf dem Rücken der Balkanvölker

Die hauptsächliche Kriegsgefahr entspringt jedoch der verschärften Konkurrenz zwischen den imperialistischen Mächten. Mit dem Zusammenbruch des Revisionismus in der UdSSR und den Staaten Osteuropas ergab sich für die imperialistischen Staaten ein völlig neue Situation. Das militärische Gleichgewicht, bis anhin massgebend definiert durch das Kräfteverhältnis zwischen der NATO und dem Warschauerpakt, muss jetzt zwischen den imperialistischen Mächten neu definiert werden. Dies in einer Situation, wo das infolge des Zusammenbruchs der DDR wiedervereinigte Deutschland alles daran setzt, ökonomisch, politisch und militärisch wieder zur Weltmacht zu werden. Der deutsche Imperialismus schürte den anfangs der 90er Jahre verschärften Konflikt in Jugoslawien mit allen Mitteln und setzte alles daran, die traditionellen Handelspartner Slowenien und Kroatien abzuspalten. Die diplomatische Anerkennung dieser Länder im Jahre 1991 trug schliesslich entscheidend zum Ausbruch des Bosnienkrieges bei. Gegen den Willen der USA. Der damalige US-Aussenminister James Baker sicherte noch im Juni 91 anlässlich eines Besuches in Belgrad die Unterstützung Washingtons für einen unveränderten Staatenbund Jugoslawiens zu.   Mit den durch den US-Unterhändler Richard Hoolbrooke geführten Verhandlungen von Dayton gelang es dem US-Imperialismus im Jahre 1985, die Initiative wieder in die Hand zu nehmen und ein UN-Protektorat zu errichten. Wohl nicht zufällig beklagte sich die deutsche Wirtschaft in der Folge darüber, nach dem Vertrag von Dayton in Bosnien stiefmütterlich behandelt zu werden. 

Unterordnung unter die US-Interessen oder totale Zerstörung

Grundsätzlich anders präsentiert sich die Ausgangslage im jüngsten Krieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien. Der US-Imperialismus, in geradezu idealer Weise personifiziert durch die Aussenministerin Madleine Albright, setzte mit allen Mitteln auf einen Krieg. Auf den ersten Blick eher verwirrend, ist doch der Kosovo das Armenhaus Europas, das auch nicht über einen Krieg rechtfertigende nennenswerte Bodenschätze verfügt. Den US-Imperialismus als Träger einer neuen Menschenrechtsbewegung zu sehen, dies kann getrost der „linken“ Sozialdemokratie um Andreas Gross überlassen werden, der im April dieses Jahres als einziger Schweizer Parlamentarier zur 50-Jahr Feier der NATO nach Washington reiste1. Oder dem ältesten zürcher JUSO, Jean Ziegler, der auf die alten Tage hin seine Liebe zum US-Imperialismus entdeckt hat («Hier geht es um die Umsetzung eines neuen Völkerrecht-Prinzips: um das Recht auf Einmischung zu Gunsten der Menschenrechte, das heisst die Wahrnehmung der internationalen Beistandspflicht für geschundene Menschen.»2). Etwas weniger pathetisch sieht der US-Staatssekretär Thomas Pickering das Recht des US-Imperialismus auf weltweite Einmischung3. Unverhohlen deklariert er, „dass die Interessen der Vereinigten Staaten umfassend sind und Unruhen in fast jedem Winkel der Welt – ob wirtschaftlicher, politischer oder militärischer Art – bedeutenden Einfluss auf uns haben.“ Explizit wendet er sich auch gegen eine Zustimmung durch die UNO: „Unseres Erachtens müssen die Vereinigten Staaten und ihre NATO-Verbündeten entscheiden, wann es angebracht ist, zur Verteidigung des Bündnisses Gewalt einzusetzen.“4 Wobei die Betonung ganz entschieden auf die Vereinigten Staaten zu setzen ist. Bekanntlich gestattete der Pentagon dem unliebsamen Konkurrenten am Rhein nicht mal einen Einblick in die Satellitenbilder der jugoslawischen Truppenbewegungen im Kosovo. Der massive Einsatz der US-Luftwaffe in Europa diente offensichtlich nicht nur dazu, den Weg für ein Protektorat freizubomben. Die damit verbundene Machtdemonstration ist den Adressaten beidseits des Rheins denn auch nicht entgangen. Besorgt konstatiert der französische Flottenadmiral d.R. Antoine Sanguinetti5 die militärischen Absichten der USA: „Wie vormals in Deutschland, dann in Japan, Vietnam und im Irak schienen die USA wieder einmal die Luftwaffe mit dem Ziel einzusetzen, allen zu zeigen, was dem widerfährt, der sich ihrer Weltordnung nicht fügen will.“ Die Truppengattung des neuen NATO-Oberbefehlshabers für Europa (SACEUR) ist alles andere als ein Zufall, er ist General der amerikanischen Luftwaffe. Ob soviel militärischer Einschüchterung ist dem deutschen Verteidigungsminister Scharping jegliche vom Finanzminister verordnete Sparlust vergangen. Mit zusätzlichen 20 Milliarden Mark soll in den nächsten Jahren die Bundeswehr für kommende Kriege aufgerüstet werden. 

Wiederaufbau, oder sie schlagen den Kosovo und meinen den Balkan

Kaum war der Bombenhagel vorbei, war auch schon klar, was mit dem Wiederaufbau und Marshallplan nicht gemeint war: der Kosovo. Zwar hat die Industrie- und Handelskammer Dortmund sofort ein Verbindungsbüro in Pristina errichtet. Unmissverständlich warnt sie aber die potentiellen Anleger aus dem KMU-Bereich vor dem geringen wirtschaftlichen Potential des Kosovo. Es gehe vielmehr darum, im Kosovo ein Standbein aufzubauen, „geeignet, um nach einer politischen Neuordnung der Bundesrepublik Jugoslawien  auch dort an Aufträge zum Wiederaufbau zu gelangen“.6 So ging es denn auch am mediengerecht inszenierten Gipfel von Sarajewo um nichts substantielles und schon gar nicht um den Kosovo. Vielmehr galt es, ein Zeichen für die Neokolonialisierung des Balkans zu setzen.  Dass ein Deutscher, der politische Souffleur des Bundeskanzlers, Bodo Hombach, die Aufteilung dieses Kuchens organisiert, ist hingegen mehr als Symbolik. Schliesslich will die deutsche Wirtschaft einen fetten Teil des Kuchens einheimsen. Doch zurück zum Wiederaufbau. Konkret geht es dabei um die Förderung der Privatwirtschaft und die Einführung des Freihandels der Balkanstaaten mit der EU. Was dies für die Volksmassen der ärmeren Länder heisst, davon können die ArbeiterInnen und Bauern Portugals oder Griechenlands ein Lied singen.   

Fussnoten:

1 Weltwoche, 15.4.99, Wie weiter im Kosovo-Konflikt? Militärkritiker Andreas Gross (SP) begrüsst das Nato- Bombardement, Oberst Christoph Blocher (SVP) ist dagegen. Ein Streitgespräch. 

2 Facts, 8.4.99 

3 Junge Welt 22.7.99, Thomas Pickering, Staatssekretär im US-Aussenministerium, Rede vor der amerikanischen Militärakademie West Point vom 10.2.99 

 4 a.a.O.

5 Le Monde diplomatique, 9.7.99, Flugschau im Kosovo 

6 Hompepage der Industrie- und Handelskammer Dortmund

aufbau Nr. 14 / Oktober 1999