Grossalbanische Träume

Ende Juli erlitt die UCK eine massive militärische Niederlage, deren Folgen im Moment noch nicht völlig absehbar sind. Diese Niederlage kam den imperialistischen Mächten nicht ungelegen, hat doch die bis anhin politisch und militärisch hochgepäppelte UCK den Bogen eindeutig überspannt.  

Verblendet durch den grossalbanischen Traum erklärte der UCK-Sprecher Jakub Krasniqi im Juli gegenüber dem Spiegel: «Wir wollen mehr als die Unabhängigkeit. Unser Ziel ist die Vereinigung aller Albaner auf dem Balkan.» Er verdeutlichte damit, was mit den eher vagen Formulierungen in der am 27. Februar erschienenen Erklärung der UCK wirklich gemeint war: «Das gestiegene internationale Interesse, besonders der amerikanischen und der französisch-deutschen Diplomatie, begrüssend, erklären wir, dass die Lösung der albanischen Frage nicht allein in den gegenwärtigen Grenzen Kosovas festgelegt werden kann, sondern sie muss als Ganzes gelöst werden, indem die Albaner und ihre von «Mazedonien» und Montenegro besetzten Gebiete einbezogen werden.» Diese Position stellt eine massive Provokation an die Adresse der bis anhin der UCK äusserst wohlgesinnten imperialistischen Mächte dar. War und ist es doch das erklärte Ziel insbesondere der USA, den Konflikt unter keinen Umständen nach Mazedonien überschwappen zu lassen.

Selbstüberschätzung auf Kosten der Bevölkerung

Dieser durch nationalistischen Grössenwahn bedingte politische Realitätsverlust schwappte auch auf die militärische Ebene über. In massloser Selbstüberschätzung ging die UCK vom Guerillakrieg zum Stellungskrieg über, ohne sich dabei auch nur im geringsten über die Folgen für die betroffene Zivilbevölkerung Rechenschaft abzulegen. Im Gegenteil. Wer die UCK nicht unterstützt, riskiert als Kollaborateur denunziert und schlimmstenfalls liquidiert zu werden. Um abzuschrecken, orientiert die UCK in ihren inhaltslosen, von militärischer Kraftmeierei geprägten Erklärungen regelmässig über derartige Hinrichtungen. Den Preis für die erlittene Niederlage der UCK zahlt in erster Linie die albanische und serbische Bevölkerung, die zwischen den Fronten aufgerieben und zur Flucht gezwungen wurde.

Offen ist, inwiefern diese Niederlage der UCK auch das Verhältnis zum albanischen Staat verändern wird. Noch am 9. Juli äusserte sich UCK-Sprecher Krasniqi in dem ihm eigenen Pathos: «In diesem Fall müssen wir dem albanischen Staat für die elterliche Fürsorge und die brüderliche Hilfe, die er uns weiterhin gibt, danken.» Eine aufschlussreiche Aussage, die nicht zuletzt unter folgendem Hintergrund betrachtet werden muss.

Elterliche Fürsorge der NATO

Seit 1997 werden die Sicherheitsorgane, Streitkräfte und die Polizei unter der Führung der NATO wiederaufgebaut. Individuelle Partnerschaftsprogramme Albanien heisst das NATO-Projekt. Neutralität hin oder her, auch die Schweiz mischelt da ganz dick mit. «Mit der Lieferung von 20 Steyr-Lastwagen und 10 Jeep-Geländepersonenwagen sowie einer darauf abgestimmten Schulung im materiellen Unterhalt hat auch die Schweiz einen entsprechenden Beitrag geleistet.» NZZ a.a.O.) Mit von der Partie auch der NZZ-Inlandredaktor Bruno Lezzi, der sich um den Aufbau eines «professionellen, materiell zweckmässig dotierten Informations- und Pressedienstes der albanischen Streitkräfte» kümmert. 

Doch nicht nur die NATO kümmert sich intensiv um den die UCK mit «elterlicher Fürsorge» unterstützenden albanischen Staat. Nach wie vor sind die italienische Polizei und die Carabinieri zusammen mit den französischen Flics und dem deutschen Bundesgrenzschutz in Albanien für die innere Ordnung besorgt. 

Ohne die stillschweigende Duldung dieses hochkarätig besetzten militärisch-polizeilichen Repressionsteams wären wohl die elterlich-fürsorglichen Waffenlieferungen aus Albanien kaum über die Bühne gelaufen. Es wird sich zeigen, ob dies auch in Zukunft so ohne weiteres möglich sein wird.

aufbau Nr. 11 / September 1998