Interviews mit Clariant-Arbeitern (Protesttag 11.03.2010)

Stimmen vom Protesttag gegen den Arbeitsplatzabbau bei Clariant im Muttenz, 11.3.2010

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Ein seit knapp 25 Jahren bei Clariant angestellter Mann
Als ich vom Stellenabbau erfahren habe, dachte ich gleich, dass das eine Schweinerei ist. Ich war enttäuscht und konnte es überhaupt nicht verstehen. Schliesslich sind wir hier ein guter Standort! Wir haben die komplette Infrastruktur und bis jetzt waren wir auch mit den Arbeitsbedingungen zufrieden. Den Zahlen, mit denen der Abbau präsentiert worden ist, glaube ich nicht. Die Konzernleitung spricht von 194 Mio Minus, die Restrukturierungskosten bei Clariant werden sich 2010 wie im Jahr zuvor auf rund 300 Mio CHF summieren, sagte Kottmann Ende Januar im AWP-Interview. Also wäre das eigentlich ein Plus!

Von der anfänglichen Enttäuschung bin ich mittlerweile zum Protest gekommen, weil ich mit dem Ganzen einfach nicht einverstanden bin! Ich sage mir und den Kollegen, dass es das Dümmste wäre, den Kopf in den Sand zu stecken. Viele denken, sie müssen ruhig sein und hoffen, dass sie vielleicht durchschlüpfen. Ich habe zwar Verständnis für diese Haltung, glaube aber nicht, dass sie richtig ist. Wenn ich durch den Betrieb gehe, rede ich mit den Leuten und lege ihnen trotz allem Verständnis für die Angst ans Herzen, dass man kämpfen muss.
Kottmann würde ich fragen wollen, wie er seine Familie ohne Arbeit ernähren würde. Meine Familie unterstützt, was wir hier machen. Wenn nicht alle arbeiten müssten, wären sie auch dabei. Es ist ja klar, dass es die Jungen beschäftigt, was hier passiert – schliesslich leben wir von diesem Lohn. Mein Sohn zum Beispiel, der will nicht in die Chemie. Ich hab ihn nach dem Grund gefragt, und da hat er geantwortet, dass in den letzten drei oder vier Monaten praktisch kein Tag vergangen sei, an dem bei meiner Heimkehr nicht irgendetwas los war: ein neuer Chef, Stellenabbau etc. Umso wichtiger ist es, dass wir den Jungen zeigen: Wir sind nicht machtlos, wir machen was und wir können etwas erreichen.

Ein demnächst Pensionierter
Ich bin heute aus Solidarität mit meinen Kollegen da. Selber werde ich bald pensioniert, bin vom Stellenabbau also nicht mehr betroffen. Auch die Kollegen in Hüningen, da kenne ich viele davon, habe mit ihnen zusammen Rugby gespielt, und jetzt unterhält man sich auf der Strasse. Was die Herren hier machen, das nennen wir ein dreckiges Geschäft. Sie kommen und machen, was sie wollen, jetzt machen sie das zu, was wir erwirtschaftet haben. Auf einmal heisst es: Stopp, fertig, wir hören auf auf, in China wird für 20 Euro gearbeitet. Nein nein, wir müssen solidarisch sein. Ich bin zwar nicht einmal in der Unia, aber die Solidarität ist wichtig, sonst hätte ich ja nicht morgens um 5 Uhr aufstehen müssen.

Ein seit 10 Jahren bei Clariant angestellter Mann, der mit seinem Kleinkind am Protest teilnimmt:
Vom Stellenabbau habe ich einerseits über die Medien erfahren, erstmal aber in der Nachtschicht, wo der Betriebsleiter mit der schlechten Nachricht aufgetaucht ist. Mein erster Gedanke war: Scheisse, das ist schlecht, ganz schlecht. Mittlerweile überwiegt aber auch das Unverständnis, weil wir Arbeit ohne Ende haben, wir sind noch viel mehr als ausgelastet, und da ist es nicht nachvollziehbar, dass der Betrieb geschlossen wird. Für uns war es daher auch völlig überraschend, dass die Produktion in Muttenz gleich ganz verlagert werden soll. Jetzt haben wir natürlich eine schlechte Arbeitsstimmung, und es ist schwierig, sich und die Kollegen zu motivieren.
Am Protest heute bin ich nicht, weil ich denke, dass der Entscheid von Grund auf rückgängig gemacht werden kann. Ich kämpfe aber für bessere Konditionen, dass zB. jeder eine Abfindung bekommt, auch wenn er/sie von sich aus das Unternehmen verlässt. Denn gekündigt ist man ja eh schon, nur ist dies noch nicht schriftlich erfolgt!
Wenn Kottmann jetzt vor mir stehen würde, würde ich ihm eigentlich gar nichts sagen wollen: Da fehlen mir nämlich die Worte!

Ein seit über 30 Jahren bei der Clariant beschäftigter Mann
Ich arbeite seit mehr als 30 Jahren hier, früher noch bei der Sandoz. Von dieser Hiobsbotschaft habe ich aus dem Internet erfahren. Die Medien sind vor der Belegschaft informiert geworden, für uns ist dann später noch ein Aushang aufgehängt worden. Im ersten Moment war ich unheimlich erschrocken, ich hätte das nie gedacht. Wir alle sind sehr betroffen, weil es ja auch alle von uns trifft. Viele sind um die 50 rum, und da ist es schwierig, einen neuen Job zu finden. Das Alter, der Lohn, beides ist zu hoch. Ich sage mir aber, dass wir solidarisch sein müssen: Je mehr wir sind, umso mehr können wir machen. Und ja, ich habe schon noch die Hoffnung, dass wir bleiben.

Ein seit über 10 Jahren bei der Clariant beschäftigter Mann
Ich bin vor 12 Jahren temporär eingestellt worden, ich weiss noch, wie wir damals im Dezember  den Bescheid bekommen haben, dass wir nicht mehr arbeiten können. Als Temporäre hatten wir eine Woche Kündigungsfrist. 3 Monate später sind wir dann zu neuen Konditionen wieder temporär eingestellt worden, danach wurde ich fest angestellt. Der Stellenabbau gibt einem zunächst einmal ein richtig schlechtes Gefühl von Machtlosigkeit. Man kann nichts machen und findet das Ganze völlig paradox. Wir haben ja Überproduktion, arbeiten samstags und an Feiertagen. Unter den Kollegen diskutieren wir viel, ja, auch schon über Streik, und mit der Zeit ist die Überzeugung gewachsen, dass wir handeln müssen. Für uns ist beschlossene Sache, dass wir sowieso nichts mehr verlieren können, also können wir auch aktiv werden. In Deutschland wird halt schneller gestreikt, hier kann der Betrieb auch eher noch Sanktionen geltend machen. Trotzdem, wir werden was tun und sollten halt auch in Richtung zivilen Ungehorsam überlegen. Jedenfalls ist klar, dass die Hoffnung zuletzt stirbt, und die haben wir noch.
Wenn Kottmann vor mir stehen würde, würde ich nur „Einer für 400, 400 für einen“ sagen. Damit meine ich: Mit seinem Geld könnten wir 400 jahrelang arbeiten!

Zwei Kollegen aus dem Elsass, die für genaue Informationen auf den offiziellen Pressesprecher verweisen, sich aber zur Frage der Spaltung im Betrieb zitieren lassen wollen.
Für uns ist es die Solidarität, die zählt. Im Elsass steht der Schliessungsentscheid, das heisst, bei den Streiks sind alle mit dabei. Aber klar: „Schööfli hämmer überall“ (Schafe gibt es überall). Man muss die Leute, die Angst haben und sich verstecken wollen, respektieren. Aber genau so müssen sie die Bewegung respektieren. Die Bewegung hat ihre Rechte und ausserdem auch noch viele Asse im Ärmel.

Ein seit 35 Jahren bei der Clariant angestellter Mann
Hier gibt's ja schon seit langem und immer wieder Stellenabbau. Wie ich davon erfahren habe? Durch diese verdammten Lügner! Sie wissen ja selber nicht, was sie wollen. Einmal heisst es, Muttenz sei nicht betroffen, dann kündigen sie die Verlagerung an. Das ist schon traurig, da machen sie Werbung mit ihrem Umweltschutz und verlagern dann nach Asien. Die Personalorganisation zu informieren haben sie nicht für nötig gehalten. Auch die Regierung nicht, wobei für die wir Arbeiter ja auch nur während den Wahlen wichtig sind. Mit dem Sozialfrieden verkaufen sie uns alle für dumm, währenddem sie selber es sind, die den sozialen Frieden kaputt machen.
Ich war erschüttert und hatte Angst, als ich davon gehört habe. Jetzt habe ich beschlossen zu kämpfen, zu verlieren habe ich nichts. Meine Kinder wären heute mit mir auf der Strasse, sie sind aber erwachsen und daher selber beschäftigt.
Wenn ich Kottmann vor mir hätte, dann würde ich ihn spontan fragen, ob er eigentlich auch fühlen kann, wie es innen in den Leuten aussieht? Oder ob er nur daran denkt, seinen Geldsack zu füllen.

Ein seit zehn Jahren bei Clariant angestellter Mann

Ich arbeite mit Textil- und Lederchemikalien als Festangestellter in Schichtarbeit. Als die Entlassungen bekannt gegeben wurden, war ich in den Ferien. Ich habe am Radio davon erfahren. Seit über drei Jahren hatten wir immer wieder Stellenabbau, letztes Jahr hat es auch keine Lohnerhöhung gegeben. Die Begründung dafür war, dass wir halt etwas für unsere Arbeitsplätze opfern müssen. Nun haben wir den Job trotzdem verloren.
Ich bin hier aus Solidarität, aber auch wegen mir selbst. Wir zeigen, dass man sich wehren kann.  Wir sind zwar nur Arbeiter, aber ohne dass wir produzieren, bekommen die Chefs gar nichts. In der Abteilung habe ich Unia-Flyer verteilt und den Kollegen vom Aktionstag erzählt. Viele haben aber Angst und sind am Arbeiten. Auch ich habe begonnen, mich nach einem neuen Job umzuschauen.
Es ist schwer zu sagen, was ich zu Kottmann sagen würde. Ich würde ihn fragen, ob er noch gut schläft, ob 8 Millionen reichen, um noch gut zu schlafen, obwohl er Hunderte von Leuten entlässt. Ich könnte das nicht. Es war schlecht, dass Kottmann am Tag der Ankündigung in Zürich war. Es zeigt aber auch, ins Werk selbst wagte er sich nicht. Dazu hat er nicht das Rückgrat. Wenn sein Auto ab und zu vor dem Werk steht, würde ich manchmal am Liebsten die Scheibe einschlagen.

Ein junger Mann, der die Lehre bei Clariant machte und seit zwei Jahren angestellt ist
Ich arbeite mit Textil- und Lederchemikalien als Festangestellter in Schichtarbeit. Von den Entlassungen habe ich am Downhall-Meeting erfahren. Ich habe aber gewusst, dass etwas passieren wird. Es gab ja vorher schon zwei Kündigungsphasen, zum  Beispiel auch im Ausland. Andere wurden zu Temporärarbeitern. Für sie gelten schlechtere Arbeitsbedingungen, sie bekommen etwa kein Kindergeld.
Ich habe sowieso schon gekündigt und suche einen anderen Job. Ich bin hier aus Solidarität mit den Kollegen. Am Schlimmsten ist es für die 47 bis 51-jährigen. Die versuchen zum Teil, etwas zu verkaufen und dann ein Restaurant aufzumachen oder etwas in diese Richtung. Ich hätte erwartet, dass heute mehr Leute am Aktionstag teilnehmen. Wenn die Angst vor dem Jobverlust nicht da wäre, wären wir doppelt so viele. Viele haben die Hoffnung aufgegeben, haben das Gefühl, es bringt eh nichts mehr. Vielleicht hoffen sie auch, dass wer bis am Schluss gut arbeitet, höhere Bonis bekommt.
Die Firma hatte 2,5 Milliarden Schulden, die aus der Spekulation im Jahr 2000 entstanden sind. Da haben sie zum Beispiel eine Firma in England gekauft. Jetzt sind es weniger Schulden.
Im Moment haben wir viele Aufträge. Es ist eine paradoxe Situation, wenn wir schnell produzieren, dann fragen wir uns, ob dafür die Produktion schneller geschlossen wird. Wir sind schon seit längerer Zeit immer unterbelegt.