Die Bosse des Winterthurer Rieter-Konzerns sind angesichts des Jahresergebnis 2009 zuversichtlich, dass es mit dem Konzern und ihrem Profit wieder aufwärts geht und Rieter 2010 den „Turnaround“ schaffen kann. Dafür bezahlen werden weiterhin die ArbeiterInnen.
(raw) Dass sich die Geschäftsleitung eines Unternehmens vom Aufruf zu Kampfmassnahmen der ArbeiterInnen distanziert, ist an und für sich nichts neues oder erstaunliches. Trotzdem hielten es die Rieter-Bosse und die Personalvertretung Mitte Februar für nötig, einen Aushang in der Textilmaschinenfabrik in Winterthur-Töss zu publizieren, der sich von den „Streikaufrufen und Agitationen des Solidaritätskomitees“ distanzierte. „Fragen und Probleme“ würden auch in Zukunft von Geschäftsleitung und Personalvertretung behandelt, „wie im Gesamtarbeitsvertrag vorgesehen“.
Dass diese Art der „einvernehmlichen“ Problemlösung für die ArbeiterInnen nichts Gutes verheissen kann, machten bereits die bisherigen Antworten des Rieter-Managements auf die bisher grösste Krise des Unternehmens in den letzten eineinhalb Jahren deutlich. Obwohl in Europa in allen Werken des Konzerns flächendeckend Kurzarbeit eingeführt worden war – stets mit der Begründung, dass dadurch Stellen gerettet würden – entliess die Rieter weltweit rund 3000 Festangestellte und 1000 temporär Arbeitende. Um weitere Kosten zu senken, forderte sie einen Teil ihrer Angestellten zudem im August 2009 zu einem „freiwilligen“ Lohnverzicht von 10% auf (siehe aufbau 58).
Die Entlassungen und der faktische (obwohl befristete) Lohnabbau sind denn auch mit ein Grund, weshalb die Rieter-Konzernleitung in ihrem Geschäftsbericht über das Jahr 2009 ein vermeintlich rosigeres Ergebnis als 2008 präsentieren kann. Die Nachricht, 2009 sei ein „Härtetest“ bestanden worden mutet allerdings bereits dann etwas seltsam an, wenn die Umsatz- und Verlustzahlen gelesen werden. Zwar konnte Rieter den Konzernverlust von 400 Millionen im Jahr 2008 auf gut 200 Millionen verringern, allerdings trugen 2008 mehr als 200 Millionen (vorgezogene) „Restrukturierungskosten“ und knapp 100 Millionen Abschreibungen zum Verlust bei, wogegen 2009 ausschliesslich der Geschäftsgang für den Verlust verantwortlich war.
Ist das Glas halb voll…
Mit dem Rückgang des Bestellungseingangs in den beiden Divisionen Textilmaschinenbau und Automobilzulieferung und dem Einbrechen des Umsatzes wurden denn auch meist die „Anpassungen“ in der Produktion begründet. Was im Jahresbericht flott formuliert Wahrnehmung „einer Vielzahl von Möglichkeiten zur kurzfristigen Kostensenkung“ heisst, bedeutete unter anderem für tausende ArbeiterInnen weltweit die Entlassung. Das schon anfangs der Krise definierte Ziel des Managements, die Produktionskapazitäten in den „Wachstumsmärkten“ Indien und China weiter auszubauen und dafür in den Metropolenländern abzubauen, wurde fleissig umgesetzt. So hat die Rieter nicht nur ArbeiterInnen entlassen, sondern auch Arbeitsplätze in Indien und China geschaffen.
Wenig erstaunlich natürlich in einer Phase des Kapitalismus, in der Gewinne nur noch auf Kosten anderer Kapitalisten (wie z.B. an den Finanzmärkten) oder durch die verstärkte Ausbeutung der ArbeiterInnenklasse gemacht werden können. Aus der Strategie, dass die wegen höherer Ausbeutungsraten profitable Verlagerung der Produktion in „Niedriglohnländer“ weitergehen soll, wird schon seit langem kein Geheimnis mehr gemacht. Für die Bonzen ist die Hauptsache, dass ihr Glas durch das Ausspielen der Standorte und die verstärkte Ausbeutung der ArbeiterInnen bereits wieder halb voll ist.
… oder halb leer?
Innerhalb einer kapitalistischen Logik ist der Schluss, Produktionseinheiten in Niedriglohnländer abzuziehen auch durchaus verständlich, zumal gerade im Fall Rieter Indien und China mittlerweile Hauptabnehmer für ihre Produkte sind. In Zeiten von Just-in-time-Produktion, hohen Importzöllen und riesigen Konkurrenzdrucks gerade in der Textil- und Automobilzulieferungsbranche werden die Personalkosten und die Vertretung in den Hauptabnahmeländer umso wichtiger. Den Preis für den Profit der Bosse werden wie bisher die Entlassenen in den Metropolenländern und die ArbeiterInnen in Indien und China, die unter noch mieseren Bedingungen arbeiten müssen, bezahlen. Das Glas der ArbeiterInnen der Rieter hier und international wird deshalb auch in Zukunft halb oder ganz leer bleiben. Denn wenn der Inhalt dieses Glases weiterhin eine Produktionsweise nach Interessen des Profits bleibt, wird es auch weiterhin eine Frage der Betrachtung bleiben, ob es halb voll oder halb leer ist. Das gemeinsame Interesse am Inhalt und dem Pegelstand werden also auch weiterhin nicht die Rieter-ArbeiterInnen und ihr Management haben, sondern die Rieter-ArbeiterInnen der verschiedenen Standorte. Dann kann es allerdings auch nicht darum gehen, das Glas neu zu füllen, sondern es umzukippen.