Arbeitsplatzabbau auf der S-Bahn – Für unsere Sicherheit?

ZUGBEGLEITUNG Der ZVV will mit dem Scheinargument, die „Bedrohungslage“ auf S-Bahnen sei gross und die Zugbegleitung habe es nicht unter Kontrolle, die Zugbegleitung abschaffen und durch Stosstrupps von Kontrolleuren und Securitas ersetzen. Als Wohlfühl-Konzept getarnt, soll die Sparmassnahme 320 Personen die Stelle kosten. Das „Aktionskomitee Zugbegleitung“ will das nicht hinnehmen und plant erste Schritte des Arbeitskampfs.

(az) Nachdem 2003 eine junge Frau auf einer S-Bahn vergewaltigt worden war, kamen die S-Bahnen in die Schlagzeilen, andere Vorfälle waren voraus gegangen. „Selbstkontrolle“ bedeutet, dass auf dem Zug normalerweise kein Personal anzutreffen ist. Um die Lage wieder zu beruhigen und den Gästen ein Gefühl der Sicherheit zu geben, sollte sich das ändern und der Kanton Zürich beschloss, ab 21 Uhr bis Betriebsschluss müsse wieder jede S-Bahn begleitet sein. Das führte zur Gründung der neuen Berufsgruppe ZuS (Zugchef/-chefin S-Bahn).

Heute, sieben Jahre später, soll eben dieser Beruf wieder abgeschafft werden, die SBB gaben Ende August die Schliessung bekannt. Davon betroffen sind an die 320 Personen, von denen die meisten in Teilzeit arbeiten.

Statt der ZuS soll nun die Bahnpolizei das Ruder übernehmen. Sie plant Einsätze von Grosskontrollen, bei denen Securitas und Kontrolleure gemeinsam als Überfallkommando das Sicherheitsgefühl steigern sollen. Tatsächlich werden sie Jagd auf SchwarzfahrerInnen machen und sonst nichts.

Der Vertrag der ZuS läuft über die SBB, es ist aber der Kanton Zürich, der den SBB den Auftrag gibt und wahrscheinlich auch den Grossteil der Lohnsumme trägt. Andere Kantone bezahlen möglicherweise mit, das wissen die ZuS aber nicht im Detail, da es faktisch auch keinen Unterschied macht. Die Entscheidung die ZuS abzuschaffen, traf der Auftraggeber ZVV.

Der behauptet, er führe eine begründete Konzeptänderung durch, um der „neuen Bedrohungslage“ gerecht zu werden. Argumentiert wird also  – wie so oft und gerne – mit der Sicherheit. Tatsächlich ist aber wahrscheinlicher, dass die Auflage 15 Millionen im Regionalverkehr einzusparen, den Ausschlag dazu gab. Doch das bestreitet der ZVV beharrlich, er müsste sonst zugeben, dass ihm in Tat und Wahrheit das Budget wichtiger ist, als unsere „Sicherheit“.

Wie fühlst du dich sicherer?

ZuS sehen die sog. „Bedrohungslage“ entsprechend auch ganz anders als der ZVV. Aus ihrer Sicht ist sie unverändert und bewältigbar. Die Anwesenheit von ZuS auf den Zügen ist bekannt und wird akzeptiert, Fahrgäste, die sich bedrängt fühlen, haben eine Ansprechperson. Eine wirkliche „Bedrohungslage“ entsteht wohl erst durch das neue Konzept. Ein Überfallkommando fährt ein, eskaliert die Situation und geht dann wieder. Die Behauptung, das steigere die Sicherheit, ist lachhaft. Im Gegenteil ist es eine glasklare Verschlechterung, nicht nur für die ZuS, die ihre Arbeit verlieren, besonders auch für die Fahrgäste. Eine Militarisierung, bei der es einzig um die Eintreibung von Bussen geht. Sogar ein Kollege, der jetzt selbst Stichkontrollen macht, fürchtet sich vor der Veränderung. Eine Atmosphäre wie in einer Panzerdivision sei zu befürchten, meinte er.

Der Unterschied zwischen ZuS und Stichkontrollen ist markant: ZuS haben vier Aufgaben: An erster Stelle steht der Kundendienst, sie sollen Fahrplanauskünfte geben und kleine Hilfeleistungen erbringen, also „für die KundInnen da sein“. Sie sollen Präsenz markieren, damit sich die Passagiere sicher und aufgehoben fühlen, ausserdem sollen sie den Abfall wegräumen. Die Billet-Kontrolle hingegen, kommt erst als letzte Priorität. Im Prinzip können die ZuS (wenn sie das wollen) ihren Arbeitsauftrag so auslegen, dass die Vermeidung von Konflikten wichtiger sei als das Einfahren einer Busse, obwohl der ZVV das bestimmt nicht so gemeint hat. Die Handhabung ist aber natürlich von ZuS zu ZuS anders, weshalb gewisse das Ticket sehr nachsichtig kontrollieren, andere hingegen sehr pedantisch. Die Erfahrung zeigt, dass keineswegs alle ZuS der Billet-Kontrolle gegenüber ein entspanntes Verhältnis pflegen.

Dennoch: Das direkte Interesse der ZuS ist es, Konflikte zu vermeiden. Und das führt viele von ihnen dazu, beim ZVV immer wieder gegen den Nachtzuschlag auf den Nachtzügen zu protestieren, was klar auch dem Interesse der Fahrgäste entspricht. Viele haben zwar ein Ticket, vergessen aber den Nachtzuschlag zu lösen oder weigern sich das zu tun. Die Abschaffung wäre durchaus machbar und ist eine rein politische Frage, die Stadt Basel beispielsweise tut es einfach. Im ZVV-Bereich wurde aber bei der Einführung der Nachtzüge entschieden, diese hätten selbsttragend zu sein, also braucht es den Nachtzuschlag, buchhalterisch betrachtet. Tatsächlich könnten diese Züge genauso wie alle anderen Züge subventioniert werden und das Problem wäre gelöst.

Zugbegleitung muss bleiben

Genauso könnte und sollte das Problem der ZuS gelöst werden. Auch der Erhalt dieser Arbeitsplätze gegen die Militarisierung der S-Bahnen ist ein politischer Entscheid.

Und diesen Entscheid durchzusetzen sind einige ZuS gewillt, obwohl das sicher nicht einfach wird. Nach der Informationsveranstaltung waren die ZuS wütend. Es wurden Kontakte geknüpft, ein Blog eingerichtet (zusforever.blogsport.de) und einige diskutieren seither miteinander auf Facebook. (Der Link ist auf dem Blog). Jetzt sind sie einen Schritt weiter: Das Aktionskomitee Zugbegleitung verfasst Flugblätter für die PendlerInnen und mobilisiert auf nächsten Mittwoch zu einer Demo vor dem Verwaltungsgebäude in Oerlikon.

Ein erstes Ziel ist es sicher, möglichst schnell einen entschlossenen Widerstand zu entwickeln. Diesem Interesse steht die Gewerkschaft SEV im Weg, wenn sie wie bisher die Abschaffung akzeptiert und sich auf sozialverträgliche Sterbebegleitung beschränkt. Einige ZuS wollen den Arbeitsplatzabbau aber nicht kampflos hinnehmen und das neue Konzept verhindern. An der Gewerkschaftsversammlung vom Montag wird sich zeigen, inwiefern der SEV seiner Basis folgt.

Der Widerstand wird wohl nicht überall gleich stark ausfallen. Es gibt Depots in Zürich, Winterthur, Brugg, Rapperswil, Schaffhausen, Zug und Ziegelbrücke, also überall, wo die S-Bahn hinfährt. In einigen Depots arbeiten die meisten ZuS seit sieben Jahren, seit dem Anfang. In diesen herrscht eher eine geschlossene, solidarische Kultur unter den KollegInnen. In anderen gibt es viele Wechsel und das Arbeitsklima ist unsolidarischer. Da werden die KollegInnen aufgefordert sich gegenseitig zu verpfeifen, z.B. wenn einE ZuS bei der Arbeit unerlaubterweise hinsitzt und Pause macht. Tatsächlich hört man von solchen Anschwärzungen. Offensichtlich haben sich die SBB bei Neueinstellungen darum bemüht, eine unsolidarische Kultur einzuführen, was ihnen in gewissen Fällen auch gelungen ist. Aber nun stellt sich eine neue Situation und es wird sich zeigen, ob diese ZuS erkennen, dass sie besser daran tun auf der Seite ihrer KollegInnen zu stehen, als auf der Seite jener, die ihren Arbeitsplatz streichen.

Die Entlassenen

Viele ZuS üben diesen Beruf aus, weil ihnen die Arbeitszeiten am Abend passen: Sie haben tagsüber Zeit für die Kinder und abends übernimmt der Partner oder die Partnerin. Einige jobben bei der SBB, um das Studium zu finanzieren, andere haben sich in zwei Jobs eingerichtet. Eine grosse Gruppe von Leuten wurde von der SBB gezielt rekrutiert, besonders in Ostdeutschland. Ihnen wurde eine sichere Arbeitsstelle bis und mit 2013 versprochen, was ganz klar nicht eingehalten wird.

Jetzt soll die Arbeit Ende 2011 fertig sein, dann erfolgt der Eintritt ins NOA (Programm Neuorientierung und Arbeit). Dies ist ein SBB eigenes Arbeitsvermittlungsprogramm, den entlassenen SBB-Angestellten werden drei Jobs angeboten, sofern man nicht darauf eintritt, fliegt man raus. Nichts desto trotz ist es ein vergleichsweise sehr guter Sozialplan, denn es können bis zu zwei Jahre beansprucht werden, zu vollem Lohn. Allerdings nur, sofern dieses NOA nach den GAV-Verhandlungen der SBB, die anfangs 2011 stattfinden werden, noch bestehen sollte. Denn erklärtes Ziel der SBB ist es, dieses teure Programm, das als Kündigungsschutz wirkt, los zu werden.  

Die Ersatz-Arbeitsstellen

Die SBB behaupten, es würden zwar 320 Personen entlassen, doch gäbe es für alle eine passende Ersatzstelle. Am nächsten an der jetzigen Arbeit wäre wohl die Aufgabe der PräventionsassitentInnen, von denen auch einige geschaffen werden sollen. Mobile SozialarbeiterInnen, die Konflikte vorauseilend verhindern sollen, ansonsten sie die Polizei rufen. Doch sind das nicht viele Stellen.

Den ZuS wird dementsprechend angeboten, jetzt zu den Securitas oder der Bahnpolizei zu wechseln, dort werden Arbeitsplätze geschaffen. Allerdings: Wer möchte das schon? Die ZuS sind zwar angestellt worden, um ein Gefühl der Sicherheit zu vermitteln, den Nahkampf meiden sie aber nach Möglichkeit, viele finden ihn sogar kontraproduktiv. Wahrscheinlich würde die Securitas auch nicht alle vorbehaltlos einstellen. Alter und körperliche Fitness wären für viele jetzige ZuS ein Problem. Noch schlimmer bei der Bahnpolizei, die erklärtermassen eine Altersbegrenzungen hat und körperliche Eignungsprüfungen macht. Ausserdem stellt sie keine Ostdeutschen ein, ein Schweizer Pass wäre notwendig. Weitere Stellen sind im Fernverkehr, also über die Schweiz verteilt, viele davon in Basel. Wer als Kontrolleurin bei der SBB arbeitet, tut das im Schichtbetrieb und muss zwei Fremdsprachen beherrschen, was einige nicht tun. Insbesondere die ostdeutschen KollegInnen sprechen kaum Italienisch oder Französisch, also wiederum kommen sie für diesen Job nicht in Frage. Und bei allen drei Möglichkeiten würden sich die Arbeitszeiten ändern, wäre zeitliche Flexibilität gefragt. Die meisten haben aber die Arbeit als ZuS genau deshalb gewählt, weil die Arbeitszeiten fest sind und sie so ihre Familie, ihren zweiten Beruf oder ihr Studium organisieren können. Also stellen die Stellenangebote keine wirkliche Alternative dar. 

Wie auch immer man es dreht: Nicht nur die Behauptung, das Konzept diene der Sicherheit, auch die Behauptung, es gebe Ersatzarbeitsstellen, sind glatte Lügen. Aber beides sind gute Gründe für den Kampf.

Solidarität mit den ZuS!

Gegen die Militarisierung der Billet-Kontrolle!