aufbau Nr. 31: Die SVP als neue Arbeiterpartei?

NATIONALRATSWAHLEN  Diesen Herbst sind wieder Nationalratswahlen. Nach den letzten Wahlen 1999 behaupteten Politologen und Journalisten, die SVP habe die SP als Partei der Arbeiterinnen abgelöst. Dafür sprachen vor allem zwei Argumente: Die Beobachtung, dass traditionelle Quartiere von Arbeiterinnen wie Schwamendingen in Zürich von der SP zur SVP wechselten, und die Ergebnisse der Befragungen, die jeweils nach den Wahlen durchgeführt werden, um die Wahlergebnisse vertiefter interpretieren zu können.

 

(az) Unbestreitbar hat die SVP 1999 bei proletarischen WählerInnen Boden gut gemacht. «Bei den Angestellten und Arbeitern mit Berufslehre ohne spezielle Zusatzausbildung oder Führungsfunktion war die SVP mit einem Anteil von 28% deutlich stärkste Partei» steht in einer offiziellen Auswertung. Einblicke ins Wahlverhalten proletarischer Schichten interessieren nicht nur die Bourgeoisie, sondern auch uns. Schnell einmal wird die Befürchtung wach, das Proletariat sei der ideologischen Mobilisierung durch die SVP erlegen und reaktionärer geworden. Man muss sich aber über eines im Klaren sein: Diese Aussagen geben vor, über einen Trend zu sprechen. Die zugrundeliegenden Daten sind aber nur eine Momentaufnahme.

Wer ist eine Arbeiterin?

Eine Aussage über einen Trend basiert auf einem Vergleich über mehrere Wahlen hinweg. Eine solche Aussage wird massiv erschwert, weil die verschiedenen Untersuchungen unterschiedliche Fragekategorien verwenden. Beispielsweise werden die RentnerInnen, die fleissig an die Urne gehen, einmal separat erfasst, das andere Mal werden sie auf die einzelnen Berufskategorien aufgeteilt. Ausserdem bezeichnen sich noch lange nicht alle Befragten, die wir zu den, ArbeiterInnen zählen würden, selbst so. 1987 gab es unter den Befragten extrem wenig ArbeiterInnen, dafür sehr viele Angehörige der sogenannten Neuen und der Alten Mittelschichten.1 Gleichzeitig verlor der Klassenkonflikt in der Wahrnehmung der Befragten an Wichtigkeit und die SP hatte einen historischen Tiefpunkt von ArbeiterwählerInnen. Wenn also‘ der Klassenkampf politische Aktualität hat, dann nimmt der Anteil der Befragten zu, die sich selber, als ArbeiterIn einstufen.

Die Aufschlüsselung der WählerInnen nach Klassen interessiert die Politologen zunehmend weniger. Die SVP hat in der letzten Wahl prägnant bei den TiefverdienerInnen zugelegt. Dazu gehören nicht nur die verschiedenen Schichten des Proletariats (ungelernte/gelernte ArbeiterInnen, einfache Angestellte), sondern auch Bauern und das Kleinbürgertum. Gerade hier wäre eine differenzierte Auswertung nötig, auch weil die proletarischen WählerInnen keineswegs als homogener Block wählen, sondern die verschiedenen Schichten des Proletariats in der Vergangenheit ein deutlich unterscheidbares Wahlverhalten an den Tag legten.

 

Bindung an eine Partei

Wahlen sind einmalige Akte. Wird von der SP als Arbeiterpartei gesprochen, so ist damit auch Vertretung mitgemeint: die gegenseitige Verbindung von Partei und Proletariat. Die Bindung von ‚WählerInnen an eine bestimmte Partei wird schon seit längerem bei Befragungen erfasst. Das ist nicht gleichbedeutend mit «Vertretung», gibt aber nützliche Hinweise darauf, wie es von Seiten der WählerInnen aussieht.

Aufgeschlüsselt nach den eigentlichen ArbeiterInnen zeigt sich ein klarer Trend: Diese fühlen sich der SP seit langem wenige’r verbunden. Im Gegenzug hat die SP bei den «ArbeitnehmerInnen» bezüglich der Parteibindung wieder zugenommen. Das weist darauf hin, dass die SP sich zunehmend und erfolgreich an die Angestellten gewandt hat. Dabei kann es durchaus sein, dass ArbeiterInnen, selbst wenn sie sich der SP im Der weniger verbunden fühlen, doch mangels Alternativen diese Partei wählen. Dem Verhlst an Parteibindung der ArbeiterInnen an die SP entsprach nämlich kein Gewinn auf Seiten der SVP.

 

Wer geht wählen?

Nicht nur die Wahlbeteiligung schwankt, sondern auch die Zusammensetzung der WählerInnen. Abgesehen davon, dass ArbeiterInnen unterdurchschnittlich wählen gehen (und damit in diesem Artikel hauptsächlich von den besser ins bürgerliche System Integrierten die Rede ist!), schwankt auch ihre spezifische Beteiligung an den Wahlen. Für 1987 kann von einern: eigentlichen Stimmstreik der einfachen Angestellten/Beamten, der FacharbeiterInnen und der ungelernten ArbeiterInnen gesprochen werden. In der Zwischenzeit hat die Beteiligung dieser Schichten wieder zugenommen, liegt aber immer noch unter dem Durchschnitt. SVP und SP kämpfen nun aber gerade um den Einfluss auf dem Feld der einfachen Angestellten ‚und der ArbeiterInnen. Zentral für diese Parteien ist allerdings, dass sie diese auch dazu mobilisieren können, überhaupt zur Urne zu gehen. Die SP hatte in den letzten Wahlen deutlich mehr treue WählerInnen als die SVP. Der Erfolg der SVP 1999 ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass sie WählerInnen mobilisierte, die zuvor nicht an die Urne gingen.

 

Partei der Arbeiterinnen?

Die SP ist schon lange nicht mehr die Partei, welche die Interessen der ArbeiterInnen gegenüber anderen Klassen vertreten würde. Trotzdem wurde sie noch länger überdurchschnittlich von ArbeiterInnen gewählt, und um diese ins bürgerliche System einzubinden, musste die Partei auch bis zu einem gewissen Punkt deren Anliegen aufnehmen. Mittlerweile wird sie eher von höheren Angestellten gewählt.

Vertretung ist nicht nur Interessensvertretung einer bestimmten Klasse, sondern beinhaltet eine bestimmte politische Ausrichtung. Es gab immer schon reaktionär denkende ArbeiterInnen, die die Autopartei oder die Schweizer Demokraten wählten. Wie es aussieht, hat die SVP diese beiden Parteien beerbt.

Die SVP ist eine Partei mit einem «neoliberalen» Wirtschaftsprogramm und «heimatlich-patriotischen» Inhalten, die sie an insgesamt untergeordneten Sachfragen konkretisiert. Mit ihrer permanenten Mobilisierung ist es ihr unbestreitbar gelungen, reaktionär gesinnte ArbeiterInnen für sich zu gewinnen. Man kann Vermutungen anstellen, dass es ihr auch gelungen ist, Schwankende zur Stimmabgabe -zu bewegen, während «heimatlose», der SP entfremdete ArbeiterInnen gar nicht mehr wählen gingen. Der Erfolg der SVP beruht also teilweise darauf, dass es schon lange keine Partei mehr gibt, die die ArbeiterInnen in irgendeiner Weise vertreten würde.

Die SVP selber tut es natürlich nicht, genauso wenig wie die SP, die in ihrer praktischen Politik ebenso für Privatisierungen und Sozialabbau eintritt. Eine wählender ArbeiterIn hat also bei den grossen Parteien nur die Auswahl zwischen dem bürgerlichen Angriff in seiner reaktionären bzw in seiner pseudoreformistischen Variante.

1 Wenn wir hier eine systematische Verzerrung durch die Auswahl der Befragten einmal ausschliessen.

aufbau Nr. 31 / 1.9.2003