aufbau Nr. 37: Reaktionäre Mobilisierung

RÜCKBLICK  Zehn Jahre seit der grossen AUNS-Demo in Zürich, ein Jahr seit der Wahl von Christoph Blocher in den Bundesrat: Wie steht es mit der reaktionären Mobilisierung, die wir damals diagnostizierten?

(az) Die Aufregung um das Hickhack zwischen Christoph Blocher und P,ascal Couchepin ist schnell abgeklungen. Auch die Diskussion um die Abschaffung der Konkordanz ist so sc,hnell verstummt, dass man beinahe vergisst, dass führende Kapitalisten sich seit Jahren I beklagen, das gegenwärtige Regierungssystem sei zu wenig tauglich, um ihre Interessen (Steuersenkungen, Privatisierungen) angemessen umzusetzen.

Olle Kamellen?

Am Abend nach dem letzten Abstimmungssonntag gerieten SIch drei Bundesräte in die Haare. Die SVP hatte sich als einzige Bundesratspartei gegen die erleichterte Einbürgerung von hier lebenden MigrantInnen stark gemacht und die Abstimmung auch gewonnen. Es war ein klassisches Thema ihrer reaktionären Hetze. Hetze gegen bestimmte AusländerInnen, Hetze gegen die NutznisserInnen des Sozialstaates und Berufung auf die traditionellen Werte des Schweizertums (Unabhängigkeit, Neutralität) sind die Stossrichtungen der reaktionären Mobilisierung. Diese Themen scheinen sehr rückwärtsgewandt, die Form ihrer Umsetzung ist es nicht. Zur Planung gezielter Provokationen werden Agenturen angestellt, die Werbung wird auf woWdefinierte Zielgruppen ausgerichtet und die Massenmedien lassen sich immer wieder dafür instrumentalisieren, die Themen der SVP kostenlos ins Land zu tragen.

Reaktionäre Hetze als Treibstoff

Doch mit dieser Feststellung ist weder der Zweck noch die Wirkung der reaktionären Mobilisierung erklärt. Die Bourgeoisie appelliert unterschwellig an die berechtigten proletarischen Ängste vor Konkurrenz und Lohndumping und biegt sie in eine reaktionäre Richtung. Ein gutes Beispiel ist die Umsetzung der bilateralen Abkommen mit der EU. Schon nach kürzester Zeit kommt es zu Lop.ndumping in der Baubranche, Bauarbeiter aus Deutschland und anderen EU-Ländern, die zu den dortigen Bedingungen arbeiten, sind mittlerweile keine Seltenheit mehr. Auch die Mischung zwischen Hetze gegen MigrantInnen und Hetze gegen IV-BezügerInnen ist kein ZufalL Das eine stachelt die Emotionen an, das andere kanalisiert sie so, dass es ein Anliegen der gesamten Bourgeoisie vorantreibt: den Abbau des Sozialstaates, um die Staatsausgaben zu senken.

Das Vorantreiben der reaktionären Mobilisierung ist mit dem Aufschwung der SVP verbunden. Dieser hat schon vor über einem Jahrzehnt begonnen. Er manifestierte sich gegen Aussen vorwiegend in der Abstimmungspropaganda und im Innern als Umbau der behäbigen Bauern- und Kleinbürgerpartei in eine schlagkräftige Kadertruppe. Vor knapp zehn Jahren machte dann eine der Frontorganisationen der SVP, die AUNS (Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz), den Schritt auf die Strasse. Sie mobilisierte nach Zürich und Scharen kamen. Frühere ‚Versuche der FDP sich die Strasse zu nehmen, endeten jeweils in Peinlichkeit. Im Na,chhinein erwies sich diese Mobilisierung als Scheitelpunkt. Die Hetze gegen Migrantlnnen und die Polarisierung innerhalb des bürgerlichen Lagers gingen zwar weiter wie zuvor. In der realen Mobilisierung beschränkten sich die SVP und die AUNS danach aber auf die Säle. Dafür konnte sie in den Parlamenten auf nationaler und kantonaler Ebene stetig zulegen, auf Kosten der FDP und der CVP und indem sie den reaktionären Parteien (Autopartei, Schweizer Demokraten usw.) das Wasser abgrub.

Mit dem Aufschwung der reaktionären Mobilisierung verspürten auch die Faschos Aufwind. Die mediale Aufmerksamkeit hat seither zwar nachgelassen, aber die Faschos konnten sich so weit verbreitern, dass sie Mobilisierungen wie am 1. August bestreiten können. Versuche der PNOS, der Partei national orientierter Schweizer, in den Parlamenten Fuss zu fassen, waren bisher allerdings wenig erfolgreich.

Hetzer in allen Parteien

Es ist nicht nur die SVP, die mit der Hetze gegen MigrantInnen Politik macht. Die früheren Justizminister Arnold Koller und Ruth Metzler, beide von der CVP, verschärften die Asylpraxis und passten später noch das Asylgesetz an – das übliche Vorgehen. Die jetzt in Kraft getretene erneute Verschärfung des Asylgesetzes geht noch auf Metzler zurück. Auch sozialdemokratische Exekutivpolitiker, z.B. der frühere zürcher Stadtpräsident Josef Estermann, machten damit Propaganda.

Daran hat sich auch nichts geändert. Die gleichen Parteien, die jungen MigrantInnen das schweizer Bürgerrecht erleichtert abgeben wollten, benutzen heute die Formen der reaktionären Hetze, um für den Beitritt zum Schengener Abkommen zu werben – einem Abkommen, das nichts anderes als ein Beitritt zum europäischen Polizeistaat ist!

Kurze Bilanz

Mobilisierungen sind für die Bourgeoisie immer eine zweischneidige Sache, weil sie Energien freisetzen, die nicht in jedem Fall in die gewünschte Richtung gehen. Dass die zürcher Grossdemonstration ein Einzelfall geblieben ist, ist also kein Zufall. Immerhin hat die SVP ihre stärkste Figur in den Bundesrat gebracht. Zweifellos sind damit (und mit der Wahl von Merz) die Gewichte im Bundesrat verschoben worden. 

Doch verglichen mit den Ankündigungen ist bisher wenig ‚geschehen. Der massive Sozialabbau findet vorwiegend auf kantonaler Ebene statt, und bei den Steuersenkungen ist der neue Abbauer Merz bei weitem nicht so weit gekommen, wie. es die Exponenten der Bourgeoisie erwarten. Doch das besagt noch wenig, denn längerfristige Änderungen brauchen normalerweise auch längere Zeit.


Kommentar

Reaktionäre Mobilisierung

Vor bald zehn Jahren haben wir den Begriff «Reaktionäre Mobilisierung» verwendet, um eine Entwicklung‘ zu charakterisieren, zu der der Vormarsch der SVP mittels hetzerischer Wahl- und Abstimmungspropaganda ebenso gehörte wie das, Erstarken der Faschos. Die SVP hat in der Zwischenzeit noch mehr zugelegt, indem sie das reaktionäre Potential, das es schon vorher gab, erfolgreich eingemeindet hat. Der Einzug von Christoph BIoeher in den Bundesrat vor einem Jahr erschien als Sinnbild für eine Veränderung des Kräfteverhältnisses innerhalb des bürgerlichen Lagers und einen Rechtsrutsch im Bundesrat.

Seit Jahren reden und schreiben wir über die Krise des Kapitalismus, der die Bourgeoisie zwingt, die Ausbeutung zu verschärfen und den Sozialstaat, der letztlich zulasten ihres Profites geht, mass,iv abzubauen. Und nun sitzen mit Couchepin, Merz und BIoeher drei Herren im Bundesrat, die angekündigt haben, diesen Abbau auch voranzutreiben, und was tun sie stattdessen? Sie streiten. Dabei sassen Blocher und Couchepin anfang der 80er Jahren einvernehmlich im Vorstand der damals wichtigen reaktionären Scharfmacherorganisation Redressement National. Ob dem Gekeife sollte man aber nicht übersehen, dass schon einige dieser «Reformen», z. B der Abbau bei der IV, in Fahrt gekommen sind. Und auf kantonaler und kommunaler Ebene Wird ebenfalls via Sparzwang ein massiver Abbau vorangetrieben.

Es mag erstaunen, dass wir keine einheitliche Auffassung über den Klassencharakter der SVP haben. Das ist aber nicht tragisch, weil man das Wesentliche übersieht, wenn man sich auf die Widersprüche im bürgerlichen Lager konzentriert. Die Stärke der Reaktion liegt nämlich in der Schwäche der Reformisten. Die SPS ist faktisch zu einer Partei mutiert, die die Interessen der imperialistischen schweizer Bourgeoisie mit sozialen Retuschen versieht und, damit deren Durchsetzung legitimiert. Und die Gewerkschaftep. können den Angriffen auf die Errungenschaften des Proletariats ebenso wenig entgegensetzen wie die verschiedenen Parteien und Gruppierungen, die eine Reform des Kapitalismus anstreben. Das Dilemma zeigt sich am deutlichsten bei den Gewerkschaften: Es gibt keine materielle Grundlage für den Reformismus, ihr Chef-Ökonom Gaillard kann deswegen auch immer nur mit der Hoffnung auf einen wirtschaftlichen Aufschwung winken. Vielleicht lassen wenigstens ihn diese schönen Träume ruhig schlafen.

Die Abstimmung über die erleichterten Einbürgerungen für MigrantInnen beleuchtet die Verknüpfung von Ökonomie und Reaktion. Schon kurz nach der Umsetzung der Bilateralen, das heisst der Öffnung des Arbeitsmarktes, wird auf den Baustellen wieder viel mehr (hoch-)deutsch gesprochen, weil die Baufirmen sofort auf die billigeren Arbeiter aus dem Norden zurückgegriffen haben. Die Abstimmungspropaganda der SVP war so erfolgreich, weil sie unterschwellig die berechtigten Ängste von ProletarierInnen vor billiger Konkurrenz anspricht, diese aber für ihre reaktionäre Scharfmacherei nutzt.

Diese Scharfmacherei hat auch den Faschos Auftrieb gegeben. Die reaktionäre Mobilisierung an und zu den Urnen übersetzt sich bei einigen Jugendlichen in aktive Mobilisierung. Das gibt Bestrebungen Auftrieb, als politische Kraft an die Öffentlichkeit zu treten und nicht nur die Rolle des Kettenhundes zu spielen, der linke Mobilisierungen angreift. Eine politische Gefahr sind diese Faschos nicht, weil ihre Stärke davon abhängt, inwieweit die Bourgeoisie selbst sie für nützlich hält. Auf der Strasse können sie allerdings sehr störend sein, weshalb der antifaschistische Kampf auch seine praktische Berechtigung hat. (az)

Was ist der Klassencharakter der SVP

DEBATTE Über die wichtigen ‚Punkte besteht im Revolutionären Aufbau Einheit: Die SVP ist zwar die reaktionäre Scharfmacherin und steht im Zentrum der medialen Aufmerksamkeit. Doch unser Hauptfeind ist und bleibt die imperialistische Bourgeoisie, denn diese ist der Motor der Ausbeuterklasse‘. Auch findet diese ihre willigen Helfer und vorauseilenden Mitdenker in der SPS und einem Teil der Grünen.

Im folgenden tragen wir zwei verschiedene Auffassungen darüber vor, was der Klassencharakter der SVP ist: die SVP als Vertreterin der zu kurz kommenden nationalen Bourgeoisie und die SVP als reaktionärer Flügel der imperialistischen Bourgeoisie. Mit unserer Schwierigkeit, die konkrete Situation auf den richtigen Begriff zu bringen, befinden wir uns in guter Gesellschaft. Man erinnere sich nur an die Schwierigkeiten und unterschiedlichen Einschätzungen in der Dritten Internationale darüber, was das Wesen des Faschismus sei.

Für beide hier vorgetragenen Auffassungen lassen sich Belege finden. Es läuft also darauf hinaus, nach welchen Gesichtspunkten man die Realität untersucht. Wenn wir vor allem diese Gesichtspunkte in den Vordergrund stellen, dann verstehen wir das auch als Beitrag zur politischen Debatte. Auch in ferner Zukunft und mit oder ohne Sägespäne wird man den rechten Symbolträgern gehörig eins an den Kessel knallen wollen.

Die SVP als reaktionärer Flügel der imperialistischen Bourgeoisie

(az) Der wichtigste Gesichtspunkt knüpft an einen Gedanken, des italienischen Marxisten Antonio Gramsci an: Es braucht einen ideologischen Kitt, der sowohl die Unterstützung der Beherrschten wie auch die Einbindung von unterlegenen Fraktionen der Bourgeoisie wie weiterer Klassen (Kleinbürgertum Bauern) sicherstellt. Letztlich geht das auf den Gedanken zurück, dass Herrschaft mehr als Repression und Manipulation ist, dass sie auf Dauer auf die mehr oder weniger aktive Unterstützung der Beherrschten angewiesen ist.

Die reaktionäre Mobilisierung auf den Themen Asyl und Neutralität hat nur den Zweck, die Einbindung auch in den Zeiten der Krise sicherzustellen, wenn das Versprechen auf zunehmenden Wohlstand und Teilhabe am unbegrenzten Konsum nicht mehr funktionieren kann. Eine solche ideologische Einbindung hat aber auch einen Preis: wenn sie glaubwürdig sein soll, muss sie bei symbolisch wichtigen Themen exerziert werden. Die Bekämpfung aller Kooperationsprojekte der imperialistischen Bourgeoisie auf ökonomischem und militärischem Gebiet (ausgenommen sind bezeichnenderweise die wirklich zentralen Projekte wie die bilateralen Abkommen mit der EU) soll dazu dienen, dass der Abbau des Sozialstaates schlanker durchrutscht.

Die (imperialistische) Bourgeoisie ist keine monolithische Einheit. Ihr. Klasseninteresse muss sich aus der Vielfalt der separaten Interessen herausschälen und teilweise gegen diese durchsetzen. Dass ‚da verschiedene Lösungsansätze in Form unterschiedlicher politischer Programme auftauchen, ist eine Konsequenz davon. Die SVP hat sich zum Kristallisationspunkt des reaktionären Ansatzes der imperialistischen Bourgeoisie, der in der Schweiz immer auch als meist minoritäre Position existierte gewandelt.

Ein so pointiert reaktionärer Ansatz kann nur mit glaubwürdigem Personal funktionieren. Wenn man gesehen hat, wie ungeschickt de Pury und Konsorten weiland in ihrem Weissbuch ihr ebenso scharfes Abbau-Programm in der Öffentlichkeit präsentierten, versteht man, warum kaum Exponenten der imperialistischen Bourgeoisie in der SVP selber anzutreffen sind. Das ist auch nicht nötig, solange Blocher, der selber zu dieser imperialistischen Bourgeoisie gehört, sie im Griff hat.

Die SVP als Sprachrohr der Bauern, des Gewerbes und des kleinen Kapitals

(rabs) Innerhalb unserer Organisation ist es nicht ganz unumstritten, welche Klasseninteressen die SVP in erster Linie vertritt. Klar, die in den SVP-Kampagnen geschaffenen SündenboÅNcke für die tiefe Krise des kapitalistischen Systems gefallen der imperialistischen Bourgeoisie genauso wie die Spaltung der ArbeiterInnenklasse. Hier leistet die SVP gewiss die Drecksarbeit für das imperialistische Kapital. Richtig ist auch, dass ein Teil des Bankenkapitals durchaus ein Interesse an einer protektionistischen Abschottung der Schweiz von der EU hat. Aus naheliegenden Gründen, die Stichworte sind der geschützte Finanzplatz und vor allem das Bankgeheimnis. Aus all dem nun aber den Schluss zu ziehen, die SVP sei zum Interessenvertreter des grossen Kapitals, der imperialistischen Bourgeoisie geworden, ist mehr als verfehlt.

Ein Grossteil des Kapitals, sei dies im industriellen wie im tertiären Sektor, bekämpft die von der SVP betriebene Fundamentalopposition gegen die EU vehement. Es sind die FDP, CVP und SP, die die Interessen des imperialistischen Kapitals und der mit diesem verbundenen KMU vertreten. Diese Parteien treten für das Europa des freien Kapital- und Personenverkehrs ein, ein Europa, das, optimale Profit- und Ausbeutungsbedingungen garantiert. Ein Europa also nach dem Gusto des Kapitals. Umgekehrt dazu vertritt die SVP das Gewerbe, die Bauern und das kleine und mittlere Kapital, die im Gegensatz zur imperialistischen Bourgeoisie nicht zu den Profiteuren der EU gehören. Eine für die kommunistische Politik nicht ganz unerhebliche Feststellung. Es ist zwar unbestrittenermassen immer wieder nötig, den rassistisch-braunen Kampagnen der Blocher-Bande die internationale Klassensolidarität entgegen zu setzen. Darob sollte aber keinesfalls vergessen werden, dass der Hauptfeind, das imperialistische Kapital, eben nicht durch die SVP, sondern durch die Achse FDP-CVP-SP tatkräftig vertreten wird. Tagtäglich wird uns dies durch die Kampagne für Schengen-Repression, die bilateralenAbkommen und die Eingliederung der Schweizer Armee in die imperialistische Kriegsführung im Ausland vor Augen geführt. Die bis weit in die Bourgeoisie hinein schnell gefundene Einheit gegen die SVP lässt‘ diese Tatsachen oft bis in die Linke hinein in Vergessenheit geraten.


Alter Wein in alten Schläuchen

EINBÜRGERUNGEN Warnung vor «Muslimisierung» der Schweiz hat scheinbar gewirkt.

(agaf) Am 23. September 2004 wurde in der Schweiz über die erleichterten Einbürgerungen abgestimmt. Die Vorlagen wurden abgelehnt. Leute aus dem Balkan kamen massiv unter Beschuss und wurden als Sündenböcke dargestellt. Einmal mehr wurde die Hetze aus dem SVP-Dunstkreis auf die Spitze getrieben. 

Auch vor dieser Abstimmung wurde mit rassistischen und hetzerischen Aussagen nicht gespart. Leuten aus Ex-Jugoslawien wurde vorgeworfen, aufgrund ihrer Mentalität Probleme mit Gewalt zu lösen und sie sollten deshalb nicht erleichtert eingebürgert werden. Ulrich Schlüer, SVP-Nationalrat, Ex-Sekretär der seligen Republikaner und Herausgeber der «Schweizerzeit», einem theoretischen Organ der Reaktion, beteiligte sich an der Hetzkampagne. Schlüer organisiert regelmässig reaktionäre Kampagnen; ob er auch als Geldgeber fungiert, ist unklar. Dieses Mal gründete er das «Überparteiliche Komitee gegen Masseneinbürgerungen». Mit Inseraten wurde von einer «Muslimisierung» der Schweiz gewarnt. Darin wurde grosszügig mit Zahlen jongliert, untermalt von Graphiken, die ein exponentielles Wachstum suggerierten. Schauen wir uns die Zahlen genauer an. Gemäss Inserat lebten im Jahr 2000 67 000 Leute muslimischer Glaubensrichtung in der Schweiz. Alle zehn Jahre würde sich gemäss Schlüer diese Zahl verdoppeln. Folgt man dieser Behauptung, würden Ende dieses Jahrhunderts allein 34 Mio. Menschen muslimischer Glaubensrichtung hier leben. Zur Erinnerung: Im Moment leben 7,5 Mio. Menschen in der Schweiz. Noch am, Tag des Abstimmungserfolgs schoss Schlüer gegen das Doppelbürgerrecht. Eine ideologische Forderung, die kaum Aussicht auf Erfolg hat. Doch darum geht es nicht. Vielmehr soll das reaktionäre Klima aufrechterhalten werden.

Das Spiel mit der Angst

Die Erfolge der SVP sind kein Zufall. Sie betreibt einen ständigen Wahlkampf, welcher sich durch permanente Agitation und Propaganda und Mobilisierungen auszeichnet. Allerdings begrenzen sich letztere auf die Wahlurne und Veranstaltungen. Seit Walter Frey, Verwaltungsratspräsident der Autohändler-Firma Emil Frey AG, als Geldgeber abgesprungen ist, sind die «Puurezmorge» allerdings viel seltener geworden. Hinter diesem Konzept steht ein eigentlicher Kampf um die Köpfe. Kleinbürgerliche und unzufriedene proletarische Leute sollen bei Laune gehalten werden. Dabei vollzieht die SVP jeweils einen Spagat. Auf der einen Seite werden grosszügige Steuergeschenke an die Reichen initiiert. Andererseits richtet sich ihr Augenmerk gegen die sozialen Errungenschaften. Ziel ist es, den Staat auszuhungern um damit den Spardruck zu erhöhen. Um solche Forderungen durchzudrücken, werden immer wieder SündenboÅNcke gesucht und diffuse Ängste geschürt. Entweder wird gegen die faulen Arbeitslosen gewettert, IV-BezügerInnen als Simulanten betitelt oder die angebliche Überfremdung als Bedrohung der Schweiz dargestellt. Mit letzterer Behauptung werden auch die bilateralen Abkommen mit der EU bekämpft, obwohl u.a. ExponentInnen der SVP als Teil der Bourgeoisie zugleich davon profitieren. Dieses Abkommen ermöglicht es EU-BürgerInnen in der Schweiz zu arbeiten, meist zu niedrigen Löhnen. Dies führt zu einer verschärften Konkurrenzsituation innerhalb des Proletariats. Mit diesen Hetzkampagnen wird von konkreten Ängsten wie Arbeitsplatzverlust oder Lohndrückerei abgelenkt. Die Spaltung in SchweizerIn/AusländerIn, ArbeiterIn/ArbeitsloseR oder, Junge/Alte führt zur Schwächung der proletarischen Klasse und somit zur Erhaltung der bestehenden Verhältnisse.

Perspektivloser Reformismus

Die Stärke der reaktionären HetzerInnen hat auch mit der Schwäche des Reformismus zu tun. Der zu verteilende Kuchen wird in der tiefen Krise des Kapitalismus viel kleiner, so dass es sogar für reformistische Politik und Vorhaben schlicht keinen Spielraum und Lösungen mehr gibt. Dies vor allem an  ihrer Machtsicherung interessiert, rückt immer mehr nach rechts. Sei es unter Blair, der Grossbritannien wi’eder zu einer kriegsführenden Partei machte, sei es in Deutschland unter Schröder,wo mit Hartz IV massiver Sozialabbau betrieben wird. In der Schweiz befürworten die SP und die Grünen das Schengen-Abkommen, das einem Überwachungsstaat Tür und Tore öffnet. Die Liste lässt sich beliebig fortsetzen. Leider wird die SP von vielen noch immer als Interessenvertreterin der ArbeiterInnen wahrgenommen, obwohl deren reformistische Politik für die Massen keine Perspektive bietet.

  

aufbau Nr. 37 / 1.11.2004