Zur Kritik der RSO am Revolutionären Aufbau

Wir nehmen nachstehend auf das von der RSO verfasste Kritikpapier „Was will der Revolutionäre Aufbau Schweiz “ Stellung. Debatten innerhalb der revolutionären Bewegung sind leider rar geworden, umso mehr begrüssen wir diese Initiative der RSO.

Das Kritikpapier der RSO analysiert aufbau-Plattform setzt sich zuerst mit den verschiedenen Auffassungen über die ehemals sozialistischen Länder Sowjetunion und die VR China auseinander. Nicht nur in diesen Fragen unterscheiden sich unsere Auffassungen über den Verlauf des revolutionären Prozesses hin zum Kommunismus fundamental.

Die Aufarbeitung der Geschichte der Sowjetunion und der VR China sind zweifellos wichtige Aufgaben für uns KommunistInnen. Nur, für die Mitgliedschaft in unserer Organisation ist diese Frage nicht der ausschlaggebende Punkt, im Unterschied offenbar zur RSO.

Es gibt tatsächlich Differenzen in diesen Fragen, die können wir weiter unten auch teilweise ausführen. Massgeblich und gewichtig scheint uns aber vorauszuschicken, dass das grundsätzliche Verständnis-Problem zwischen unseren zwei Organisationen darin liegt, dass der Aufbau solchen Fragen nicht annähernd so viel Gewicht beimisst wie die RSO. Wir verstehen uns als Massenorganisation, in welcher nicht die akademische Debattierfreude das Aufnahmekriterium ist, sondern die gefestigte Klassenposition und der Wille, einen Beitrag im Kampf für den Kommunismus zu leisten.

Die RSO steht in der Tradition vieler trotzkistischer Gruppierungen, die sich aufgrund theoretischer Fachdiskussionen den Mund wund diskutiert haben und sich am Ende darob spalteten. Wir meinen aber: In der gegenwärtigen Situation, die keine revolutionäre ist und das leider weltweit nicht, können und sollen derartige Diskussionen geführt werden, sie sind aber keineswegs Dreh- und Angelpunkt im gegenwärtigen Kampf gegen den Kapitalismus. Es ist zwar sicher wahr, dass wir aus der Geschichte lernen, aber sie determiniert nicht unsere Zukunft. Dringlicher als Diskussionen über Bürokratie, erscheint es uns die Klasse in jenen wenigen gegebenen Kämpfen, zu begleiten, den Kampf anzuspornen und die Klasse überhaupt zum Kampf zu befähigen – wo dies möglich ist. Und besonders darum, ein minimales Bewusstsein darüber am Leben zu erhalten, dass der Kapitalismus nicht naturgegeben ist und die kommunistische Idee am Leben zu erhalten.

Die trotzkistische Tendenz, das marxistische ABC auf den Kopf zu stellen, wird von der RSO mit dem 3-Phasenmodell „Übergangsgesellschaft – Sozialismus – Kommunismus“ auf die Spitze getrieben. Natürlich sind „für uns“, wie auch für Marx, Engels, Lenin oder in dieser Frage selbst für Trotzki der Sozialismus und der proletarische Staat untrennbar miteinander verbunden. Zusammen mit den Klassikern halten wir also an der von der RSO kritisierten „unscharfen Terminologie“ bezüglich des gesellschaftlichen Prozesses hin zum Kommunismus fest. Nach der proletarischen Revolution, die, so zeigt es zumindest die historische Erfahrung, in einzelnen Ländern stattfindet, lösen sich die Klassen nicht einfach in Luft auf, wie dies die AnarchistInnen und jetzt offenbar auch gewisse trotzkistische Gruppen meinen. Auf die Gefahr hin, nun das trotzkistische Totschlagargument des Stalinismus auf uns zu ziehen: Daraus folgt auch zwingend, dass der Aufbau des Sozialismus durchaus in einzelnen Ländern möglich und notwendig ist. Ganz im Unterschied zum Kommunismus, der nur als weltweite Gesellschaftsformation durchführbar sein kann. Daher, und an diesem Punkt sind wir mit der RSO durchaus einverstanden: Es ist keineswegs eine Wortklauberei, sich über den Verlauf der Entwicklung zum Kommunismus ein paar Gedanken zu machen. Die Grundlage dafür bilden für uns die Theorien der marxistischen Klassiker und die historischen Erfahrungen sozialistischen Revolutionen, insbesonders natürlich die Sowjetunion und die Volksrepublik China.

Nicht neu ist die trotzkistische Ablehnung des sozialistischen Charakters der chinesischen Revolution im allgemeinen und der Kulturrevolution im speziellen. Die radikale Ablehnung der Kulturrevolution durch die RSO erstaunt dennoch: Eigentlich müsste doch der Kampf gegen korrupte Parteikader und Günstlingswirtschaft durchaus ins Konzept des vielbeschworenen Kampfes gegen die „Bürokratie“ passen. Offensichtlich geht es dabei aber einmal mehr eher um ein Totschlagargument denn einen ernstgemeinten Beitrag im Aufbau des Kommunismus. Der Grund für die radikale Ablehnung der chinesischen Revolution liegt woanders: Die chinesische Revolution wurde hauptsächlich von den Bauern getragen. Eine solche historische Erfahrung läuft dem proletarischen Purismus entgegen, daher besteht die Tendenz, die Errungenschaften dieser Revolution zu entwerten, um diesen Purismus nicht in Frage stellen zu müssen. Gerne „vergessen“ wird dabei die Tatsache, dass auch die russische Revolution durchaus bäuerlichen Charakter hatte.

Nur am Rande: Mit dem nicht konsequenten Auseinanderhalten der beiden gesellschaftlichen Kategorien „Proletariat“ und „ArbeiterInnenklasse“ befinden wir uns in guter Gesellschaft. Ein eigenständiger Beitrag zum Marxismus ist dies keineswegs, sondern orientiert sich an klassischen marxistischen Theorie. Wir empfehlen den GenossInnen der RSO, sich nicht nur an der trotzkistischen Sekundärliteratur und den eigenen Schriften zu orientieren, sondern von Zeit zu Zeit wieder einmal einen Blick in die marxistischen Klassiker zu werfen. Sie werden entdecken, dass aus guten Gründen dieser Übergang fliessend und nicht einfach zu fassen ist.

Aufhorchen lässt die generelle Kritik der RSO an unserem Verhältnis zur ArbeiterInnenklasse, das auf „Soliaktionen bei vor sich gehenden Konflikten“, die zudem „meist kurzfristig und sprunghaft“ seien. Ganz im Unterschied zur RSO, die sich auf eine „langfristig angelegte Arbeit in Grossbetrieben“ vorbereitet. Dumm nur, dass die kämpfenden ArbeiterInnen so wenig von dieser trotzkistischen Revolutionsstrategie mitbekommen. Vermutlich arbeiten sie nicht in den von den StudentInnen der RSO unterwanderten Fabriken. Wir können die RSO aber beruhigen: natürlich bauen auch wir kontinuierliche Kontakte in den Grossbetrieben auf. Wer Erfahrungen im Betriebskampf hat, weiss auch, dass diese Kontakte halt meistens über die konkreten Kämpfe geknüpft werden können. Unsere Präsenz dort, wo die ArbeiterInnen den Kampf aufgenommen haben, hat daher durchaus strategischen Charakter. Wir grenzen uns also keineswegs, wie es die RSO uns unterstellt, vom Betrieb als strategischem Ort im Klassenkampf ab.

Grosse Probleme bereitet der RSO auch unsere Analyse der Politischen Widerstandsbewegung PWB. Unsere Praxis im Sektor Betriebskampf zeigt zunächst zur Genüge, dass keine Rede davon sein kann, dass Arbeit in der PWB „nachhaltig und offensichtlich unwiderruflich“ die Bedeutung „traditioneller“ Betriebskämpfe relativiert. Auch in der Klassenanalyse sind „Tatsachen ein hartnäckig Ding“, weshalb es uns fern steht, um der vermeintlichen ideologischen Klarheit willen auszublenden, dass sich politisches Bewusstsein und entsprechende Praxis in den letzten Jahrzehnten stark dort gebildet haben, wo wir es als PWB bezeichnen.

Nicht nachvollziehen können wir, weshalb uns ein „Automatismus“ bezüglich der Bewusstseinsbildung in diesem Sektor unterstellt wird. Wir sind zwar Teil dieses Sektors, und die Mehrheit unserer Mitglieder hat sich dort politisiert, aber gleichzeitig halten wir eine intensive Praxis der Politisierung und Organisierung in diesem Bereich aufrecht, weil dies eben gerade nicht „automatisch“ passiert.

Der Aufbau hat bewusst entschieden eine Massenorganisation sein zu wollen und nicht eine Partei. Das bedeutet unter anderem auch, dass wir keine so strenge „Einheitsmeinung“ vertreten, wie das eine Partei tun müsste. Obwohl viele Mitglieder durchaus eine gefestigte Meinung zu den angesprochen Themen haben, bestehen wir nicht darauf, dass diese übereinstimmen. Die RSO empfindet das als Defizit, wir sehen darin unsere Stärke.

Dass um den Begriff „Massenorganisation“, womit wir den Revolutionären Aufbau Schweiz charakterisieren, Verwirrung entsteht, wundert uns nicht. Unter Masse müsste man sich ja mindestens Tausende vorstellen. Wir halten es da mit Lenin – dies ist kein eigenständiger Beitrag zur marxistisch-leninistischen Organisationstheorie – wonach die Masse ein qualitativer Begriff ist, der je nach Situation verschieden sein kann. In einer nicht revolutionären Situation können 100 Personen schon viele sein, in der entwickelten revolutionären Situation sind Zehntausend wenig. In der derzeitigen von der Schwäche der revolutionären Seite geprägten Situation ist es daher nur logisch, dass die „Masse“ der in kommunistischen Organisationen aktiv tätigen GenossInnen nicht gross ist.

Wichtiger als diese quantitativen Überlegungen ist die qualitative Seite unseres Massenbegriffes. Sie steht in dialektischem Gegensatz zu den Begriffen Avantgarde oder Partei. Die Parteifrage ist für uns weniger eine theoretische als eine praktische Frage: Welche gesellschaftlichen Bedingungen müssen gegeben sein, dass ein Gründungsprozess einer Partei mehr ist als die Kopfgeburt einiger fähiger und gutwilliger GenossInnen? Welchen Charakter muss sie haben, um als führende Kraft eine relevante Anerkennung und Überlebenschance zu haben? Diese Fragen können nicht in einem theoretischen Diskurs gelöst werden. Wenn wir zunächst den Aufbau einer Massenorganisation vorantreiben, möchten wir einen Betrag zum Heranwachsen der Bedingungen leisten, unter denen die weitere Perspektive eine Frage der Praxis werden kann.

Die Kritik, wir würden den proletarischen Internationalismus auf den Aufbau der Roten Hilfe International RHI beschränken, erscheint uns nun doch ein wenig zu polemisch. Weder in der Plattform noch in der Praxis beschränkt sich unser proletarischer Internationalismus auf die RHI. Ein Blick auf die RSO-Plattform erstaunt angesichts der heftigen Kritik an unserem Internationalismus-Verständnis. Wortreich beschränkt sich die RSO auf den Hinweis der Notwendigkeit der internationalen Organisierung der ArbeiterInnenklasse. Vergeblich sucht man die Konkretisierung, in welcher Internationale mit welchen Interventionen sich die GenossInnen zu engagieren gedenken. Nun, manchmal scheint uns der von der RSO als Allgemeinplatz kritisierte Vorgehen „vom Kleinen zum Grossen, von der Qualität zur Quantität“ halt doch besser als leere Phrasen, die in keiner Weise in die Praxis umgesetzt werden.

Einigkeit haben wir mit den GenossInnen der RSO in einem Punkt. Die vielbeschworene Einheit der revolutionären Linken – den von der RSO verwendeten Begriff radikale Linke halten wir für nichtssagend und verschwommen – kann nicht darin bestehen, zusammen eine Organisation zu gründen. In der Tat würde diese beim ersten kleinen Sturm aufgrund der inneren Widersprüche zusammenbrechen. Hingegen fänden wir es schon sinnvoll, in Aktionsbündnissen, geprägt von gegenseitiger Propagandafreiheit, gemeinsam zu arbeiten. In diesen Bündnissen haben wir die RSO in den letzten Jahren fast nie angetroffen. Das deutet auf einen aus unserer Sicht weiteren zentralen Widerspruch hin, die Umsetzung der revolutionären Theorie in die Praxis.

 

 

Revolutionärer Aufbau Schweiz, Januar 2011