Alle Register gegen den VBZ-Streik

Zürich stand nicht still am 20. Mai. Aber der erste Streiktag der VBZ-FahrerInnen dürfte für rote Köpfe und Chaos in der Leitstelle gesorgt haben. Die mediale Hetze zumindest läuft auf Hochtouren.

Die VBZ-KollegInnen müssen sich dieser Tage einige Beleidigungen gefallen lassen. Nicht so sehr von den KundInnen – wie die VBZ-Bosse es wohl gerne hätten – sondern vor allem vom zuständigen Stadtrat Andres Türler und seiner Medienhetze. Die FahrerInnen haben sich auf ihre ArbeiterInnemacht besonnen und allen in Erinnerung gerufen, dass Zürich still steht, wenn sie das wollen. Dieses Selbstbewusstsein ist für Türler, aber auch für Politiker mit Sparambitionen und Unternehmer, ein Politikum und wird deshalb mit aller Härte attackiert. Streik sei eine Erpressung und verfassungswidrig. Hier zeigt sich, dass in Krisenzeiten jeder Widerstand der ArbeiterInnen eine politische Dimension in sich trägt. (Wieso nur in Krisenzeiten?)

Hintergrund des Kampfes ist, dass der VPOD, welche etwa 400 VBZ-KollegInnen organisiert, nach 7 Monaten Mediationsverfahren ohne Fortschritte den „runden Tisch“ verlassen hat. Denn der Stadtrat ist nicht nur nicht auf die Forderungen der Belegschaft eingegangen, sondern er hat am 7. April noch einen drauf gesetzt und bekannt gegeben, die tägliche Zeitgutschrift für eine bezahlte Pause von 14 Minuten zu streichen. Dies hat das Fass zum Überlaufen gebracht. 

Türler schaltet auf Stur

Die KollegInnen drohten mit Streik und wollten darüber am 10. Mai abstimmen. Nicht unerwartet, bewegte sich erst auf diesen Druck hin bei der VBZ etwas und der Direktor Guido Schoch versuchte, die Angestellten am Morgen der Abstimmung mit plötzlicher Verhandlungsbereitschft und Kompromissvorschlägen von Kampfmassnahmen abzubringen. Die Rechnung ging teilweise auf. 

An der mit 300 KollegInnen gut besuchten Versammlung vom VPOD waren etwa ein Viertel der FahrerInnen. Dort wurde ein eher bescheidener Forderungskatalog fast einstimmig verabschiedet.Dieser sollte bis zum 19. Mai von der VBZ und dem Stadtrat  als Ganzes unterschrieben werden, um einen Streik abzuwenden. Bei der für die KollegInnen wichtigsten Forderung – nämlich den bezahlten Pausen – wurden dabei schon Abstriche gemacht. Nur noch 14 statt 30 Minuten wurden gefordert. Andere Kritik, wie z. B. die am Betriebsklima und den defizitorientierten Leistungsbeurteilungen, wurde in eher schwammige Forderungen nach paritätischer Mitbestimmung und Verbesserungen umgemünzt. Bemerkenswert insbesondere, da der VPOD derzeit die komplette Abschaffung genannter Leistungsbeurteilungen für die städtischen Angestellten fordert. Die letzte Forderung nach einem Gesamtarbeitsvertrag auf kantonaler Ebene soll die Folgen der Privatisierung und der Streckenausschreibungen im öffentlichen Verkehr mildern. Allgemein orientieren  sich die Forderungen dabei stark an Kompromissvorschlägen von Schoch oder an den eigentlich gesetzlich schon verbrieften Ansprüchen, welche die VBZ schlicht nicht einhält. Umso grösser ist der Affront, dass Türler nicht auf das Ultimatum eingegangen ist. 

Solidarisch? Nur am Verhandlungstisch

Die sture Haltung Türlers ist kaum auf die finanziellen Aspekte des Kampfes zurückzuführen, diese fallen nicht sehr ins Gewicht. Vielmehr könnte Türler die Streikbereitschaft des VPOD unterschätzt haben. Auch kämpferische KollegInnen haben nach der Erfahrung des kurzfristig durch die VPOD-Führung abgesagten Streiks 1999 eher mit Skepsis auf die Streikdrohung durch den VPOD reagiert. Ganz nach dem Motto: „Daran glaube ich erst, wenn ich es sehe“. 

Als Stadtrat hat Türler aber vor allem einen Auftrag: Das Modell der Sozialpartnerschaft als Unterwerfungsinstrument verteidigen. Konsequent verfolgt er die Strategie des Zuckerbrots und der Peitsche. Willfährig haben sich die christlichen Angestelltenverbände Transfair und Syna, welche zusammen noch ca. 300 KollegInnen organisieren, dazu herabgelassen, die Kompromissvorschläge von Schoch als ihren Verhandlungserfolg zu verkaufen. Die Solidarität – zum Chef – ging so weit, dass sie in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit der VBZ die Streikmassnahmen verurteilten und den VPOD an den Verhandlungstisch  kommandieren wollten. Diesem Votum schloss sich später dann auch die SP an.

Die Spaltung der Belegschaft scheint aber nur hier Punkt zu gelingen. Die Kampfbereitschaft der VPOD-KollegInnen dürfte unter den kämpferischen Tram- und BusfahrerInnen wieder mehr Vertrauen geschaffen haben. Diese haben sich nämlich vor einiger Zeit an die UNIA gewandt, da sie sich wohl nicht vom VPOD vertreten fühlten. Für die Zürcher UNIA-Führung ist diese Bewegung eine gefundene Manövriermasse, um die Ambitionen von Roman Burger auf den nationalen Führungsposten zu stillen. Der aktuelle Kampf könnte die kämpferischen KollegInnen der VPOD und der UNIA wieder näher zueinander bringen und so die Spaltung auf Ebene der Gewerkschaftsführung über eine Einheit in der Belegschaft aufheben. Diese ist vor allem jetzt sehr wichtig, denn Türler zieht alle Register der Repression und Diffamierung. Nicht nur wird den Streikenden juristisch gedroht, auch wird ihnen ein Maulkorb für die Medien verpasst. Natürlich gilt dieser nicht für FahrerInnen, welche nach dem Mund der Leitung schwafeln. Türler  behauptet sogar, der VPOD wisse gar nicht, für was er streike, und die Forderungen seien an die falsche Adresse gestellt. Natürlich wird auch die Blockade als Akt einer Nötigung von KollegInnen portiert. Damit gelingt es Türler im Moment in der politischen und medialen Öffentlichkeit die Kämpfenden zu isolieren. Dass dies aber nicht vollumfänglich gelingen muss,  wissen wir aus dem Kampf der GDL-Lokomotivführer in Berlin. Auch dort versuchten die Medien, die KundInnen gegen die Streikenden aufzuhetzen, – und mussten irgendwann anerkennen, dass die arbeitende Bevölkerung durchaus Verständnis und Solidarität für Klassenkämpfe  in den Verkehrsbetrieben empfindet. Die nächsten Tage werden weisen, ob das die VBZ-KollegInnen auch schaffen.

Dieser Artikel erschien ebenfalls in der vorwärts-Zeitung vom 26. Mai 2011: www.vorwaerts.ch