Demonstrationen in Kroatien

Wir hatten vernommen, dass in Kroatien im Moment sehr heftig gekämpft wird, was aber hier in den Medien verschwiegen wird. Es handelt sich hauptsächlich um Streikbewegungen, die sich gegen die Privatisierung von Fabriken richten, aber auch um Strassenproteste gegen den EU-Beitritt. Während sich im Westen alle Medien über die Ereignisse in Nordafrika ereifern, ist von den Massenbewegungen aus dem ehemaligen Jugoslawien notorisch nichts zu hören, das war auch schon so im Falle der grossen Streikbewegungen in Serbien. Wir haben deshalb Kontakt zu einer Organisation vor Ort gesucht und das folgende Interview mit der jungen Organisation „Crvena akcija“ (Red Action) Im ersten Teil geht es um die Kämpfe der ArbeiterInnen, im zweiten Teil stellt sich die Organisation vor. (Interview AG Klassenkampf Zürich)

In Kroatien kämpfen die ArbeiterInnen gegen Privatisierung

Lasst uns über die aktuellen Proteste in eurem Land sprechen. In Blogs und international Zeitungen stand, dass Zehntausende auf der Strasse demonstrierten. Ist das wahr? Wie viele waren es?

In den letzten Wochen waren tatsächlich mehrere Zehntausend auf den Strassen. Allein schon in Zagreb beteiligten sich zeitweise mehr als 15’000 Menschen an einer unbewilligten Demonstration durch die Stadt. Es wurden Flaggen der herrschenden und oppositionellen Parteien wie auch die EU-Flagge verbrannt. Ähnliche Proteste wurden in mehr als zehn Städten in ganz Kroatien abgehalten.

Wir haben gehört, dass der Hauptgrund für die Proteste die Korruption der Regierung sei.

Die Korruption ist der Hauptgrund für die Wut der Leute. Es ist aber nicht die individuelle Korruption der einzelnen Politiker, sondern die des ganzen Systems. Die Politik der herrschenden Klasse dient offensichtlich den imperialistischen Interessen. Es ist eine Politik gegen die Mehrheit der Leute, das merken sie auch. Die Protestierenden sind äusserst wütend auf das ganze System und protestieren darum gegen Regierung und Opposition, gegen Privatmedien, ausländische Banken, Konzerne, Polizei, kapitalistische Assoziationen und Institutionen; kurz: gegen alles was dieses System repräsentiert.

Stimmt es, dass die Proteste insbesondere auch gegen die europäische Union (und den EU-Beitritt Kroatiens) gerichtet ist? Was haltet ihr davon?

Es gibt unter den Protestierenden eine starke Anti-EU-Haltung, hauptsächlich wegen der Abhängigkeit der lokalen Bourgeoisie vom EU-Imperialismus. Alle Repräsentanten der herrschenden Klasse befürworten einen EU-Beitritt Kroatiens. Diese Anti-EU-Haltung ist also ein Zeichen der Schwäche des Regimes.

Wir haben vernommen, dass bei den Protesten auch Rechtsextreme eine Rolle spielten. Was könnt ihr uns darüber berichten?

Es ist unwahrscheinlich, dass Rechtsextreme eine wichtige Rolle spielen werden. Es scheint, die sozialen Probleme der Leute können nicht einfach durch neue chauvinistische Programme überdeckt werden.

Einige Blogger verglichen die Proteste in Kroatien mit denen in Kairo (Ägypten). Was haltet ihr davon? Was sind die Gemeinsamkeiten / Unterschiede?

Der Hauptunterschied ist die Art und Weise wie die politischen Systeme in Ägypten und Kroatien funktionieren. Während in Ägypten Mubarak das System war, ist es in Kroatien einiges komplizierter. Es gibt verschiedene Parteien, welche alle eine Politik gegen die Mehrheit der Leute betreiben; es genügt also nicht zu sagen “Die Regierung muss weg”. In Kroatien müssen alle Parteien und ihre imperialistische Politik weg.

Die Gemeinsamkeit mit dem Aufstand in Ägypten ist die Breite der Proteste, was von einem Erwachen der Massen für ihre sozialen Rechte, insbesondere gegen die imperialistische Politik der Kompradorenbourgeoisie, zeugt.

Wir haben gelesen, dass die Proteste mehrheitlich friedlich waren und die Strassenkämpfe von Fussball-Hooligans ausgetragen wurden. Stimmt das? Gibt es auch politische Strassenkämpfe?

Die Riots wurden ausgelöst durch die Wut und den Hass der Leute auf die Polizei. Es ist denkbar, dass die Fussballfans mehr Gewohnheit haben, sich Strassenschlachten mit der Polizei zu liefern, das heisst aber nicht, dass der Rest der ArbeiterInnenklasse dies nicht auch lernen muss. Leider sind viele Leute nicht bereit für den Strassenkampf mit der Polizei und haben immer noch die Illusion vom friedlichen Protest. Diese Situation wird sich allerdings nicht allzu lange halten können. Es wird klar sein, dass der Kampf gegen die Politik auch mit Militanz geführt werden muss.

In einem Interview redet ihr über die Streiks in eurem Land und über die Ignoranz der Medien gegenüber dem Thema.

Die Streiks in Kroatien sind hauptsächlich von den ArbeiterInnen organisiert um Schliessungen zu verhindern. Es ist typisch für Kroatien, dass Fabriken in Zeiten der Privatisierung billig gekauft werden und dann alles ausgepresst wird in kurzer Zeit. Die Kapitalisten sind nicht daran interessiert eine Fabrik aufzubauen, sondern sind glücklich wenn sie ihre Gelder vor der Bankrotterklärung auf ausländische Konten transferieren können (zum Beispiel in die Schweiz). In so einer Situation haben nur die ArbeiterInnen ein Interesse daran, die Fabrik am Leben zu erhalten, die dann ohne Job und meist noch mehrere Monate ohne Lohn vor dem Bankrott dastehen.

Wie unterstützt ihr die Streikenden?

Unser Hauptziel ist die Unterstützung der ArbeiterInnen durch Aktionen, die sie nützlich/sinnvoll finden. Wir versuchen ihre Probleme der Öffentlichkeit aufzuzeigen und helfen ihnen bei Entscheidungen, indem wir Beispiele von anderen Streiks aufzeigen. Natürlich ist unsere Aktivität sehr beschränkt aber wir gewinnen auch Erfahrung dazu.

Wie steht es um die Gewerkschaften in Kroatien? Arbeitet ihr innerhalb oder mit ihnen zusammen?

Die kroatischen Gewerkschaften sind nicht nur Kollaborateure des Staates und der Kapitalisten sondern meist beschränkt auf den öffentlichen Sektor. Im privaten Sektor spielen sie aufgrund der starken Opposition der Kapitalisten fast keine Rolle. In Arbeitskämpfe sind sie also ein unwichtiger Faktor.

Red Action über sich und die Ziele

Ihr seid eine Organisation junger Leute, StudentInnen und ArbeiterInnen. Wer seid ihr politisch? Was für eine Organisation/Bewegung seid ihr?

Red Action ist eine revolutionäre marxistisch-leninistische Organisation. Unser unmittelbares Ziel ist die Bildung einer illegalen kommunistischen Partei, welche fähig ist das Proletariat und alle Unterdrückten im Kampf gegen den Imperialismus und die Kompradorenbourgeoisie zu führen.

Für uns ist es nicht immer einfach den kämpfenden Teil der ArbeiterInnenklasse mit den protestierenden StudentInnen oder den jungen Leuten aus der Antifa-Bewegung zu verbinden. Habt ihr damit auch Schwierigkeiten? Wie löst ihr diese Probleme? Wie verbindet ihr die Kämpfe der verschiedenen Teile der Klasse?

Die Verbindung zu den Massen und das Führen der Kämpfe ist das schwierigste für eine revolutionäre Organisation. Wir müssen sehr aufpassen, dass wir uns nicht Ziele und Aktivitäten setzen, die wir gar nicht erfüllen können. Wir müssen geduldig sein und von den Leuten lernen und bereit sein das Grösstmögliche zu machen, aber nicht nur um der Interessen und unmittelbaren Ziele der ArbeiterInnen willen. Erst wenn wir diese Art von Revolutionären werden, sehen die Leute eine Alternative zum heutigen System und dann können wir die Massen im Kampf führen. Eine Revolution ist ein steiniger Weg und eine Kunst, die wir noch erlernen müssen.

Was sind eure nächsten Schritte? Was ist euer aktuellstes Projekt?

Momentan hat unsere Bewegung nicht allzu grossen Zulauf. Egal ob sie bald scheitern wird, es ist klar, dass dies eine extrem wichtige Lektion für die ArbeiterInnenklasse war, bezüglich wie man sich organisiert und was getan werden muss. Wir hoffen dass diese Erfahrung helfen wird in der Bildung einer revolutionären Alternative zu diesem System.

Ihr seid eine kommunistische Bewegung in einem ex-sozialistischen Land. Glaubt ihr, das macht einen Unterschied? Was denken die KroatInnen über den Kommunismus? Gibt es noch Elemente eines Klassenbewusstseins oder eines sozialistischen Bewusstseins von der Tito-Zeit? Oder ist es für euch eher schwerer, da viele Leuten denken würden ihr wollt zurück zu alten Zeiten?

Es ist garantiert schwieriger für uns und eine schwere Last. Die Korruption des vorgängigen revisionistischen Regimes wie auch die grossen Unterschiede zwischen einfachen ArbeiterInnen und den “Direktoren” lassen den Sozialismus in einem schlechten Licht darstellen. Wir versuchen aufzuzeigen, dass das vorgängige Regime nicht wegen der sozialistischen Elemente sondern wegen der kapitalistischen scheiterte. Die rote Bourgeoisie des alten Regimes ist zu grossen Teilen auch die neue Bourgeoisie, das bedeutet, dass die Wut der ArbeiterInnen oft auch einen anti-kommunistischen Ton annimmt. Kommunismus wird gleichgesetzt mit Liberalismus und Marktreformen, es ist also schwierig, das Gegenteil zu beweisen. Wenn wir zeigen können, dass die heutigen Revolutionäre völlig anders sind als die Politiker des alten Systems, dann sind wir einen Schritt näher zum Aufbau einer Alternative zu diesem System.

Wann wurde eure Gruppe gegründet?

Unsere Gruppe wurde Ende 2008 gegründet, als erste revolutionäre Organisation in Kroatien seit mindestens 50 Jahren.

In welchen Städten seid ihr aktiv?

Momentan sind wir in Zagreb und in Osijek, einer Stadt im Osten Kroatiens aktiv. Wir haben allerdings viele Kontakte zu aktiven Einzelpersonen in den meisten grösseren Städten.

Was sind eure Ziele?

Unser unmittelbares Ziel ist die Schaffung einer illegalen revolutionären Partei, die die Organisierung und Führung der anti-imperialistischen Revolution und des Aufbaus einer unabhängigen sozialistischen Wirtschaft möglich macht. Dies muss natürlich in Zusammenarbeit mit anderen revolutionären Bewegungen im Balkan und Osteuropa geschehen. Unsere Perspektive ist die Abschaffung der Ausbeutung und die Errichtung einer klassenlosen Gesellschaft.

Wie wollt ihr eure Ziele erreichen?

Sozialismus und Kommunismus können nur durch Revolution erreicht werden; ein gewaltsamer Aufstand der Massen, geführt von einer revolutionären, kommunistischen Partei, gegen das System. In Halb-Kolonien wie Kroatien muss die Revolution eine anti-imperialistische sein und regionalen Charakter haben (Balkan und Osteuropa).

Wie unterscheidet ihr euch von anderen Organisationen in Kroatien?

Es gibt kaum etwas zu sagen über andere Gruppen, da wir momentan die einzigen sind, die eine revolutionäre kommunistische Partei aufbauen wollen.