Flugblatt der Roten Hilfe zu den Gefangenen

Dieses Flugblatt (pdf) hat die Rote Hilfe Schweiz an den Demos am 29.9.2012 in Basel und am 6.10.2012 in Zürich verteilt.

Teil I: Wie ist der aktuelle Stand?

Seit dem 2. Juni 2012 sitzt P., ein Genosse des Revolutionären Aufbau Winterthur, im Knast in Basel. Vorgeworfen wird ihm die Beteiligung an einem Gerangel mit einem zivilen Polizisten anlässlich einer temporären Besetzung des ehemaligen NT-Industrieareals in Basel. Dieses wurde als Zeichen gegen die „Aufwertung“ Basels für einen Abend symbolisch besetzt. Er sitzt wegen „Gewalt und Drohung gegen Beamte“ in Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft argumentiert mit der „Wiederholungsgefahr“ und nennt dabei seine politische Zugehörigkeit zur klassenkämpferischen Linken als Faktor. Damit wird die politische Tätigkeit des Genossen kriminalisiert.

Nach den Verhaftungen von zahlreichen Genossen am 10. Juli wegen dem vergangenen 1. Mai in Zürich, sitzt mittlerweile nur noch ein Genosse in Untersuchungshaft. Die anderen sind nach ungefähr sechs Wochen aus der Haft entlassen worden. Haftentlassungsgesuche wurden unter anderem mit der Begründung abgelehnt, dass die vielen solidarischen Briefe und Postkarten ein Indiz dafür seien, dass sie Angehörige einer „verschworenen und loyalen Gemeinschaft“ seien. Das wird verwendet, um ihre Zusammengehörigkeit zu begründen, wie auch um zu behaupten, dass wenn sie rauskommen würden, dann würden diese ihnen bei der Verdunkelung helfen. So wird eine einfache Form der Solidarität kriminalisiert.

Wir setzen die positionsübergreifende Solidarität den Versuchen entgegen, die Benutzung des öffentlichen Raums zu verhindern. Nehmen wir uns den Raum weiterhin, nutzen und verteidigen wir ihn!

Teil II: Interview mit den (Ex-)Gefangenen

K. und U. waren nach Festnahmen wegen dem vergangenen 1. Mai in Zürich in Untersuchungshaft. Die Antworten von P. sind aus einem Brief von ihm an die Gefangenen vom 1. Mai.

Rote Hilfe (RH): Ihr wurdet am 10. Juli früh am morgen von der Stadtpolizei Zürich abgeholt. Ihr wurdet dem Haftrichter zugeführt und in Untersuchungshaft gesetzt. Wie habt ihr diese Situation erlebt?

U.: Ich dachte eigentlich, dass ich nach einigen Stunden wieder rauskommen würde. Als ich danach „U-Haft“ hörte war ich ziemlich erstaunt. Ich wusste nicht recht was machen, wusste nur, dass ich auf alle Fälle keine Aussagen machen würde. Als ich dann beim Staatsanwalt war, sass ein Anwalt dort, der von der Roten Hilfe organisiert war. Das war ziemlich erleichternd.

P.: „Wahrscheinlich erlebt am Anfang jeder die Situation ein wenig anders. … Ich machte mir nie zu grosse Sorgen, da ich weiss, dass die Leute draussen ihr Bestes geben.

RH: Könnt ihr uns sagen, was von der Polizei, der Staatsanwaltschaft wie auch dem Richter für Fragen gestellt wurden?

K.: Sie stellten die klassischen Fragen, ob ich am 1. Mai war und so. Sie fragten auch, ob ich Mitglied der RJZ oder des Aufbaus sei. Sie fragten, ob ich die politische Gesinnung dieser Gruppen teile und weiter verbreite. Interessiert hat sie auch, ob ich Gewalt anwenden würde für diese Politik.

U.: Der Jugendanwalt nahm beim Verhör das Buch „ABC des Kommunismus“ hervor, welches bei der Durchsuchung beschlagnahmt wurde und fragte, wieso ich solche „Scheisse“ lese. Ich fragte ihn am Ende, ob er mir das Buch zum weiterlesen geben würde.

RH: Es war eure erste längere Verhaftung. Was war euch wichtig als ihr in der Zelle wart?

K.: Mir war wichtig, dass es die Leute draussen möglichst schnell erfahren. Hilfreich war dann das Gespräch mit dem Anwalt, um die Situation einzuordnen und zu wissen, dass es länger gehen wird.

RH: Wir sagen immer, dass die Solidarität für uns wichtig ist. Sie überwindet Mauern und verbindet Kämpfe. Könnt ihr einige Worte zur Bedeutung der Solidarität für euch sagen?

U.: Sie ist sehr wichtig! Ich hörte das Feuerwerk vor dem Gefängnis und es hat mich sehr gefreut. Mein Mithäftling fand es super und ging jeweils ans Fenster, um rauszuschreien.

K.: Sie versuchen dich ja immer völlig abzuschotten. Wenn du die ersten Briefe bekommst, dann gibt das enorm Kraft, sie sind wie kleine Geschenke. Man hängt sie auf, um die Zelle zu verschönern. Auch die internationale Solidarität, Unterstützung von Personen, die man kaum oder gar nicht kennt.

P.: „Es gibt natürlich Stimmungshochs und –tiefs. Extrem aufgemuntert und gestärkt werde ich immer durch die grosse Solidarität von draussen. Denkt immer daran, ihr seid nicht alleine. Draussen seid ihr extrem präsent, in Diskussionen oder an den Wänden. Ich wünsche euch viel Kraft und Durchhaltewille. Uns trennen zwar Mauern, aber meine Gedanken und meine Solidarität sind bei euch.“

RH: Was würdet ihr anderen empfehlen, die in diese Situation kommen könnten?

U: Aussage verweigern und niemandem dort drin trauen, der nicht dein Anwalt ist. Auch in der Zelle nicht einfach drauflos plaudern.

K.: Nicht darauf warten, dass man rauskommt. Einfach zurücklehnen, die Situation akzeptieren und weiter kämpferisch bleiben. Und vor allem: Sich so lange man draussen ist auf solche Situationen vorbereiten, also sich organisieren und schulen.

Teil III: Politische Einschätzung

Weltweit beobachten wir einhergehend mit der wachsenden Kapitalismuskritik ein Anziehen der Repression mit präventivem Charakter. Präventiv heisst vorwegnehmen, was aufgrund der wachsenden Perspektivenlosigkeit an Klassenbewegungen, Widerstand oder revolutionärer Organisierung sich bereits entwickelt und/oder explosionsartig ausbrechen kann.

Zur Zeit beobachten wir eine zunehmende Repression gegen alle Formen der Aneignung des öffentlichen Raumes, ob kulturell, politisch oder sozial. Zurecht fürchten sich die Herrschenden davor, was sich in der selbstbestimmten Aneignung ausserhalb der staatlichen Kontrolle an Widerstand entwickeln, mit anderen Inhalten und Formen verbinden kann.

Deshalb erstaunt es uns letztlich auch nicht, dass der politische Charakter dieser Repression (sei dies bei der Verhaftung oder Begründungen langer Untersuchungshaft im Zusammenhang mit dem NT Areal in Basel oder den Verhaftungen rund um den 1. Mai in Zürich) ins Zentrum rückt.

Die politische Gesinnung, bei der Hausdurchsuchung gefundene Flugblätter, Aufkleber usw. und die konkrete Solidarität mit den Verhafteten werden als Indiz explizit erwähnt, wenn es darum geht, „Täter“ zu identifizieren oder die lange U-Haft zu rechtfertigen. In den Verhören geht es immer wieder um politische Fragen, wie im Interview klar wird.

Wir sagen, dass der Gefangene vom NT-Areal längstens aus der Untersuchungshaft entlassen wäre, wenn er nicht politisch wäre. Von Seite der Repression wird versucht mittels eines harten Durchgreifens anderen zu signalisieren „Wagt es nicht, euch zu bewegen. Sonst werden wir euch hart bestrafen.“ Dieses Muster des Verhaltens zieht sich durch verschiedenste Fälle der politischen Prozess wobei dieser Fall lediglich der aktuellste ist.

Wir sind also für einmal mit dem Staatsanwalt einig, wenn er politische Gründe für die Haft nennt: Es geht einzig und alleine um eine politische Konfrontation zwischen jenen, die aus einer grundsätzlichen Kritik am Kapitalismus heraus nach Wegen und Formen suchen, um da wo sie sind, gemeinsam mit anderen revolutionäre Alternativen zu erkämpfen…