aufbau Nr. 37: Wie lange lohnt sich ein GAV?

ARBEITSKAMPFSTRATEGIEN Die Gewerkschaft comedia hat dem neuen GAV bereits zugestimmt. Damit akzeptiert sie das Scheitern ihrer Kampagne für einen besseren GAV.

(az) Wenn nicht die Delegierten des Arbeitgeberverbandes Viscom noch Nein sagen, dann wird der neue GAV (Gesamtarbeitsvertrag) Realität. Der Viscom wird erst Ende Jahr darüber befinden. Die Gewerkschaft comedia und auch ihr christliches Pendant Syna haben bereits zugestimmt. Die Delegierten der comedia stimmten allerdings erst nach hitziger Diskussion zu, ein Drittel der Delegierten votierte dagegen. Die Frage, ob das vorliegende Ergebnis im Vergleich mit dem alten GAV besser oder schlechter sei, wurde unterschiedlich beurteilt. Von einer Verwirklichung der ursprünglichen Forderungen kann keine Rede sein.

Ein schwieriges Umfeld
Die grafische Branche steckt in der Krise. NZZ und Ringier haben ihre Zeitschriften- und Auftragsdruckereien zusammengelegt, und natürlich denken sie dabei auch an Kapazitätsabbau. Die Tamedia hat die Mschine für den Zeitschriften- und Auftragsdruck schon vor einem Jahr an den Konkursgangster Wenkebach verkauft. Dieser musste ein JAhr lang die alten Arbeitsbedingungen beibehalten und macht sich nun daran, die Löhne massiv zu senken. Das wiederum kommt der Tamedia (Tagesanzeiger) zugute, die von der Lohndrückerei profitieren kann, ohne selber als Lohndrückerin in Erscheinung treten zu müssen. Die grossen Drcukmaschinen in der Schweiz sind zwar alle mit Aufträgen gefüllt, aber die Preise sind tief und alle warten darauf, dass die Konkurrenten aufgeben. Zusätzlich existiert eine Konkurrenz im nahen Ausland.
Der Arbeitgeberverband Viscom wollte deshalb gar keinen GAV mehr, das heisst er wollte nur einen neuen „GAV“, der alle wichtigen Fragen auf die Betriebsebene geschoben hätte.

Eine Kampagne scheitert
Am Anfang gab sich die Gewerkschaft comedia sehr kämpferisch. Unter der Parole „Mut zum Druck“ wurden fünf Hauptforderungen lanciert, die Verbesserungen in allen wichtigen Fragen bringen sollten: Automatischer Teuerungsausgleich, Erhöhung der Mindestlöhne, Allgemeinverbindlichkeitserklärung des GAV plus Ausdehnung auf das technische Personal; Massnahmen gegen Kündigungen und Lohngleichheit für Frauen und Männer. Um diese Forderungen zu bekräftigen, liess sich die comedia-Führung in einer Urabstimmung zu Kampfmassnahmen ermächtigen.
Für den 17. Juni rief die Comedia zu einem Warnstreik mit Kundgebung vor der Delegiertenversammlung des Viscom in Solothurn auf. Diese war ein Erfolg, offenbarte aber auch Schwächen. Über 1000 Demonstrierende, ein grosser Teil von ihnen auch als Streikende, erschwerten den Delegierten den Zugang zu ihrem Lokal. Doch letztlich kamen weniger als erwartet, und die St. Galler organisierten eine separate Versammlung. Die Mobilisierung führte aber doch immerhin dazu, dass der Viscom auf Verhandlungen einstieg, nachdem er vorher in ewigen Verhandlungsrunden nichts Konkretes hatte besprechen wollen.
Die Verhandlungsrunde vom 14. September endete in einer Niederlage. Der Viscom drohte damit, die Verhandlungen platzen zu lassen und es auf einen vertragslosen Zustand ankommen zu lassen. Dem hatte die Gewerkschaftsführung offensichtlich nichts entgegenzusetzen, denn sie akzeptierte nicht nur die Nichtverwirklichung ihrer Forderungen sondern auch einen Abbau bei den Zulagen für Nacht- und Samstagsarbeit. Einzig bei den Mindestlöhnen holte sie eine leichte Verbesserung raus, die als Beitrag zur Lohngleichheit interpretiert wurde, da Frauen im allgemeinen zu den tiefsten Löhnen arbeiten.

Angst ist ein schlechter Ratgeber
Dieses Ergebnis sorgte für scharfe Kontroversen innerhalb der comedia. Der Präsident und der welsche Zentralsekretär des Sektors Druck plädierten für Ablehnung, die Mehrheit der Gewerkschaftsführung hingegen für Zustimmung. Das Argument, in der Krise lieber einen schlechten GAV als gar keinen zu haben, setzte sich gegen das Argument durch, dass eine Gewerkschaft, die solche Niederlagen einfach wegsteckt, irgendwann unglaubwürdig wird.
Die Stimmung in den Betrieben ist geprägt von der Angst vor Arbeitslosigkeit. Und tatsächlich gibt es viele arbeitslose Drucker und Hilfsarbeiter, ein weiterer Stellenabbau in verschiedenen Betrieben scheint unausweichlich. Das Kräfteverhältnis präsentiert sich also sehr ungünstig. In einer solchen Situation ist die kollektive Entscheidungsfindung das Wichtigste. Nur gemeinsam ist es möglich, die verschiedenen Seiten herauszuarbeiten und abzuwägen. Ohne das regiert die Angst. Die Führung der comedia hat dies von vornherein unterlassen. Sektionsversammlungen, zu denen niemand kommt, sind kein Ersatz dafür. Die angekündigte Konferenz, die nächsten Frühling Bilanz ziehen soll, ebensowenig. An der direkten Mobilisierung der Arbeitenden führt kein Weg vorbei, denn ohne sie gibt es keinen Kampf und damit auch kein gutes Resultat.
Unter diesen Umständen ist ein GAV nicht mehr das Mittel der kollektiven Verteidigung oder Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Allzu leicht kann er umgangen werden, wenn er nicht auf kollektiver Stärek beruht, sondern nur eine schwache juristische Konstruktion darstellt, die vor den Angriffen der Kapitalisten keinen wirklichen Schutz bietet.

 

Dez. 2004