Hungerstreik: Andrea Stauffacher reagiert auf Ultimatum

Vom 30. Juni bis zum 6. Juli befanden sich Andrea Stauffacher und Marco Camenisch in Solidarität mit den internationalen Aktionstagen zu Georges Ibrahim Abdallah (ein libanesischer Kommunist, der seit fast 30 Jahren im französischen Knast sitzt) im Hungerstreik. Am vierten Tag des Streiks wurde Andi durch das kantonale Amt für Justizvollzug vor ein Ultimatum gestellt: Eindeutige und schriftliche Distanzierung vom Hungerstreik oder Verlegung in einen anderen Knast (http://bit.ly/15m6Rog). Sie wurde bis Ende des Hungerstreiks in das Bezirksgefängnis Zürich (BGZ) verlegt und am Mittwoch, 10. Juli, nach Winterthur zurückverlegt.

Die eindeutige und schriftliche Distanzierung vom Hungerstreik hätte nicht nur einen Abbruch des, sondern vor allem auch eine politische Distanzierung vom Hungerstreik bedeutet. Damit zeigt sich der Klassencharakter der schweizer Justiz. Es geht explizit um das Unterbinden einer politischer Initiative von Gefangenen. Als Antwort auf dieses Ultimatum hat Andi nach den sieben Tagen Hungerstreik aus Solidarität mit Georges Ibrahim Abdallah einen weiteren Tag als Reaktion auf das Ultimatum angehängt. Dazu hat sie eine eigenständige Erklärung verfasst, die wir unten publizieren.

Ähnlich verhält sich die Situation bei Mehmet Ergezen. Dieser befindet sich seit Montag, 8. Juli aus Protest gegen die fehlende Menschlichkeit gegenüber Migranten im Hungerstreik. Mehmet sitzt im Asylzentrum in Rheineck (St. Gallen), welches durch die ABS AG geführt wird. In seiner Hungerstreikerklärung beschreibt er die knastähnlichen Bedingungen im Zentrum (http://bit.ly/1btZi3G). Als Reaktion auf seinen Streik hat die ABS AG ähnlich wie das Amt für Justizvollzug reagiert: Entweder er bricht den Hungerstreik ab und stellt die Berichterstattung über seinen Fall ein, oder er erhält eine Strafanzeige.

Mittels dieser politischen Angriffe sollen Kampfmassnahmen, die Gefangenen offen stehen, verhindert und unterbunden werden. Vorgeschobene Argumentationen von „fürsorgerischen Pflichten“ werden als heuchlerisch enttarnt, wenn die getroffenen Massnahmen nur der Verschlechterung der Situation der Hungerstreikenden dienen.

Rote Hilfe Schweiz, 12. Juli 2013

„Keine Distanzierung im Klassenkampf – weder drinnen noch draussen!
Zusatzerklärung zum Hungerstreik vom 30.6. – 7.7.

Mitten im international und kollektiv laufenden Hungerstreik in Solidarität mit Georges Ibrahim Abdallah stellte der Sonderdienst des Amtes für Straf- und Massnahmenvollzug Zürich ein „Ultimatum“ (O-Ton): innert 24 Stunden müsse eine „eindeutige und schriftlich formulierte Distanzierung vom Hungerstreik“ (O-Ton) zuhanden ihrer Amtsstelle eintreffen – bei Weiterführung folge eine sofortige Verlegung in verschärfte Haftbedingungen bis Strafende! Später tauchte dann der ominöse Begriff „Erfüllung staatlicher Fürsorgepflicht“ auf – umso geschlossener und kontrollierter der Rahmen, desto garantierter die medizinische Versorgung, desto besser für die Gewährleistung staatlicher Fürsorgepflicht! Kurz: ich verbrachte den Rest des Hungerstreiks in einer U-Haftzelle im BGZ, musste nach Ablauf des Hungerstreiks zwei Tage auf einen Arzt warten, der feststellte: topfit!

Dank Intervention eines beherzten Anwaltes, der unter anderem auf verbrieftes Recht von Gefangenen auf Hungerstreiks hinwies, ging es danach zurück nach Winterthur. Die Drohung einer „unverzüglichen und dauerhaften Verlegung in verschärfte Haftbedingungen“ bleibt aber bestehen!

Die „Distanzierung“, welche ultimativ eingefordert wurde, hat nichts mit medizinischen Gründen, sehr viel aber mit Politik zu tun. Sie ist ein Angriff auf die politische Identität der Betroffenen, egal welcher revolutionärer Ausrichtung.
Ein Blick zurück in die Geschichte der Klassen-, Befreiungs- und revolutionären Kämpfe zeigt uns, dass es verschiedene Ebenen der Repressionsangriffe gibt: die offene, direkte, militärisch-polizeiliche und die politische, die zum Ziel hat, von innen her die Bewegung in ihrem Kern politisch anzugreifen, mit dem Ziel, von innen her einen Verunsicherungsprozess anzusetzen, zu zermürben, zu spalten und letztlich zu zerstören! Nicht nur die Bewegung Italiens blickt zurück in ihrer Geschichte als in einem Moment der grossen Schwäche solche Staatsschutz-Projekte sie mit diversen Facetten der gleichen Strategie durchzog: Distanzierung, Abschwörung bis hin zu Verrat… alles aktive Handlungen im Sinne und zugunsten staatlicher Repression.

Mitten in einer von uns initiierten und in Knästen diverser Länder (Griechenland, Marokko, Italien, Deutschland) getragenen Aktion zusammen mit den diversen Aktionsformen draussen (arabischer Raum, Kanada, Belgien, Italien, Deutschland, Frankreich, Schweiz…) auszusteigen und sich zuhanden des Staates davon zu distanzieren überschreitet eine Demarkationslinie. Ulrike Meinhof sagte treffend: „Den Widerstand zu brechen ist gleichbedeutend wie die Gesundheit zu zerstören.“

Mit dem zusätzlichen Tag Hungerstreik vom 7. Juli als Antwort auf das Ultimatum „in staatlich gut aufgehobener Fürsorgepflicht“ im BGZ mit eigenständiger Erklärung soll zum Ausdruck gebracht werden:

Kein Fussbreit den Distanzierungen!
Kollektive Klassensolidarität statt staatliche Fürsorge!
Solidarität aufbauen – Spiess umdrehen!

 

BGZ, 8.7.2013
Andi Stauffacher