aufbau 79: Die Wirtschafts-NATO

TTIP & CETA Frei­han­del mit den USA und Ka­na­da sol­len Eu­ro­pa Wachs­tum und Wohl­fahrt be­sche­ren. Doch die Sta­tis­ti­ken sind ge­schönt, die Ver­spre­chun­gen leer. Im Ge­gen­teil han­delt es sich um ein trans­at­lan­ti­sches Klas­sen­pro­jekt, das es zu be­kämp­fen gilt.

(az) Die ver­schärf­te Kon­kur­renz zwi­schen im­pe­ria­lis­ti­schen Staa­ten drückt sich in der Zu­nah­me von Krie­gen aus, aber nicht nur. Der wohl­klin­gen­de Be­griff „Frei­han­del“ ist ein wei­te­res Sym­ptom. Eric Gujer be­haup­te­te in der NZZ bei­spiels­wei­se, Frei­han­del sei das beste Mit­tel gegen Krieg und Mi­li­ta­ris­mus und auf eine ver­que­re Art und Weise hat er auch recht damit: Wenn die gros­sen im­pe­ria­lis­ti­schen Staa­ten den Frei­han­del am Ver­hand­lungs­tisch durch­set­zen kön­nen, ver­zich­ten sie mög­li­cher­wei­se auf den Krieg.

Wenn es ihnen aber, wie im Falle der Ukrai­ne, strit­tig ge­macht wird, dann ste­hen die Zei­chen auf Krieg. Ähn­lich ar­gu­men­tiert Guido Speck­mann, der in sei­nem Ar­ti­kel „Ein at­lan­ti­sches Klas­sen­pro­jekt“ die These auf­stellt, TTIP (Trans­at­lan­ti­sches Han­dels- und In­ves­ti­ti­ons­ab­kom­men) sei eine Kampf­an­sa­ge an China. Die bei­den alten im­pe­ria­lis­ti­schen Kräf­te USA und EU wol­len sich sei­ner An­sicht nach damit nicht nur In­ves­ti­ti­ons­mög­lich­kei­ten er­öff­nen, son­dern auch In­ves­ti­tio­nen aus China un­at­trak­ti­ver ma­chen.

TTIP ist neben CETA und TiSA ein wei­te­res Frei­han­dels­ab­kom­men, das ge­ra­de dis­ku­tiert wird. Die Schweiz ist an den Ver­hand­lun­gen nicht be­tei­ligt, wäre aber über die EU auf jeden Fall be­trof­fen.

CETA und TTIP sind wohl mehr oder we­ni­ger iden­tisch, CETA würde die Frei­han­dels­zo­ne zwi­schen der EU und Ka­na­da be­grün­den, TTIP zwi­schen der EU und den USA. Das Ziel von TTIP, Zölle und Schutz der na­tio­nal­staat­li­chen Öko­no­mi­en ein­zu­reis­sen, ist älter als die EU selbst, seit dem Ende des kal­ten Krie­ges lau­fen Be­stre­bun­gen in diese Rich­tung. Die Be­für­wor­ter be­haup­ten, das führe zu Wachs­tum und da­durch zu mehr Ar­beits­plät­zen. Doch ihre ei­ge­nen Sta­tis­ti­ken, die an sich schon un­glaub­wür­dig sind, sind den­noch so er­nüch­ternd, dass die so ge­nann­ten Ex­per­ten lie­ber keine kon­kre­ten Zah­len nen­nen. An­sons­ten müss­ten sie zu­ge­ben, dass von 0.5% Wachs­tum in zehn Jah­ren aus­ge­gan­gen wird und das würde sich am TV schlecht ma­chen.

Die Ver­hand­lun­gen führt die EU-Kom­mis­si­on, ein Gre­mi­um, das sogar für die­je­ni­gen, die den bür­ger­li­chen Par­la­men­ta­ris­mus als de­mo­kra­tisch be­zeich­nen, völ­lig aus­ser­halb des Rah­mens des Trag­ba­ren funk­tio­niert. Dass die Be­völ­ke­rung nicht in­for­miert wird, ist bei der­ar­ti­gen Ver­hand­lun­gen üb­lich. Aber die EU-Kom­mis­si­on ist noch nicht ein­mal ver­pflich­tet, die Re­gie­run­gen der ein­zel­nen eu­ro­päi­schen Län­der zu in­for­mie­ren. Mul­ti­na­tio­na­le Kon­zer­ne und Lob­by­is­ten sind hin­ge­gen häu­fig ge­la­de­ne Gäste. In wes­sen In­ter­es­se ver­han­delt wird, braucht man sich des­halb nicht zu fra­gen. Und fak­tisch ar­bei­tet die Kom­mis­si­on auch gegen die Par­la­men­te. Jür­gen Meier be­schreibt fol­gen­de Ab­sicht: „Lange bevor Par­la­men­te Vor­schlä­ge zu Ge­sicht be­kä­men, will man künf­tig der US-Re­gie­rung und Un­ter­neh­men gross­zü­gi­ge Ein­fluss­mög­lich­kei­ten ge­wäh­ren. Auf gut Deutsch: Die Kom­mis­si­on schlägt den USA eine weit­rei­chen­de Ent­mach­tung ge­wähl­ter Par­la­men­te und der Zi­vil­ge­sell­schaft vor.“


Der An­griff ist kon­ti­nu­ier­lich

TTIP reiht sich ein in die ver­schie­de­nen Li­be­ra­li­sie­rungs­vor­stös­se wie MAI und ACTA, die von einer star­ken Pro­test­be­we­gung ver­hin­dert wur­den. Auch bei TTIP nützt der Pro­test, zu­min­dest sieht es so aus, als würde das vor­ge­se­he­ne „Schieds­ge­richt“, in wel­chem Kon­zer­ne Staa­ten an­kla­gen kön­nen, im Mo­ment nicht durch­setz­bar sein. Es muss an­ge­fügt wer­den, dass In­ves­to­ren schon jetzt sehr um­fas­send ge­schützt sind. Das Neue wäre, dass „in­di­rek­te Ent­eig­nung“ ein­ge­klagt wer­den könn­te. Das wäre dann der Fall, wenn sich die Be­din­gun­gen für den In­ves­tor ver­schlech­tern und des­halb die In­ves­ti­ti­on nicht so viel Pro­fit ab­wirft, wie er sich ver­spro­chen hatte. Ein an­ony­mer Be­am­ter be­schreibt die Si­tua­ti­on in Ka­na­da, wo durch die NAFTA (Frei­han­dels­zo­ne von USA-Ka­na­da-Me­xi­ko) ein der­ar­ti­ges Ge­richt von den Kon­zer­nen an­ge­ru­fen wer­den kann, fol­gen­der­mas­sen: „Bei bei­na­he jeder neuen um­welt­po­li­ti­schen Mass­nah­me gab es von Kanz­lei­en in New York oder Wa­shing­ton Brie­fe an die ka­na­di­sche Re­gie­rung. (…) Na­he­zu jede neue In­itia­ti­ve wurde ins Vi­sier ge­nom­men, und die meis­ten haben nie das Licht der Welt er­blickt.“ D.h. al­lei­ne die Dro­hung eines Ver­fah­rens reicht schon aus, eine Mass­nah­me zu ver­hin­dern. Denn wie das Schieds­ge­richt ent­schei­den würde, steht schon vor der Ver­hand­lung fest. Man stel­le sich vor, Me­xi­ko würde das Ren­ten­al­ter sen­ken wol­len oder gar Min­dest­löh­ne fest­le­gen. Das würde vor Ge­richt ohne Um­schwei­fe für il­le­gal er­klärt und Me­xi­ko müss­te dem kla­gen­den Kon­zern die ge­fühl­te „Ent­eig­nung“ be­zah­len.

Der neu ge­schaf­fe­ne Be­griff der „in­di­rek­ten Ent­eig­nung“ ist nichts an­de­res als was man üb­li­cher­wei­se als Ver­ge­sell­schaf­tung der Kos­ten be­zeich­net, nur dass den Kon­zer­nen damit ge­lin­gen würde, sich als Opfer hin­zu­stel­len. Es würde dazu füh­ren, dass ein Staat schon ver­lan­gen dürf­te, dass um­welt­freund­li­cher oder zu bes­se­ren Löh­nen pro­du­ziert wird, die Mehr­kos­ten dafür müss­ten aber aus den Steu­er­gel­dern be­rappt wer­den. In die­sem Fall könn­te man dann von einem di­rek­ten Fall von Ent­eig­nung staat­li­cher Gel­der durch das Ge­richt spre­chen, doch wäh­rend die Konzer­ne su­pra­na­tio­nal Staa­ten an­kla­gen dürf­ten, ist die um­ge­kehr­te Rich­tung nicht vor­ge­se­hen.

TTIP

Die trans­at­lan­ti­sche Han­dels- und In­ves­ti­ti­ons­part­ner­schaft (TTIP) wird seit 2013 zwi­schen der EU und den USA ver­han­delt.
Die De­tails des Ab­kom­mens sind weit­ge­hend un­be­kannt, auch diese Ver­hand­lun­gen fin­den unter Aus­schluss der Öf­fent­lich­keit statt.
An der Ober­flä­che dreht sich TTIP um fol­gen­de Kern­punk­te:
– De­re­gu­lie­rung des Fi­nanz­sek­tors
– Ver­ein­heit­li­chung von Zu­las­sungs­ver­fah­ren, z.B. sol­len in den USA zu­ge­las­se­ne Me­di­ka­men­te au­to­ma­tisch in der EU ver­kauft wer­den dür­fen
– An­glei­chung der Le­bens­mit­tel-Richt­li­ni­en, die USA möch­ten bei­spiels­wei­se die Zu­las­sung gen­tech­nisch ver­än­der­ter Or­ga­nis­men er­wir­ken
– Ein­füh­rung einer su­pra­na­tio­na­len Ge­richts­bar­keit, wel­che es (nur) Un­ter­neh­men er­laubt, ein­zel­ne Staa­ten unter dem Vor­wand der „in­di­rek­ten Ent­eig­nung“ ein­zu­kla­gen

Im Wesen zielt TTIP dar­auf ab, die Kampf­mit­tel des im­pe­ria­lis­ti­schen Ka­pi­tals wei­ter aus­zu­bau­en. Das neu ge­plan­te „Schieds­ge­richt“ (das In­ves­tor State Dis­pu­te Set­t­le­ment ISDS) dient der Dis­zi­pli­nie­rung der Werk­tä­ti­gen.

Nicht zu Un­recht wird TTIP des­halb auch als „Wirt­schafts-NA­TO“ be­zeich­net.

TISA

In Ver­hand­lung seit 2012 wird das Ab­kom­men über Han­del mit Dienst­leis­tun­gen (TiSA) im klei­nen Kreis der „Re­al­ly Good Fri­ends of Ser­vices“ unter Fe­der­füh­rung von USA, EU, Japan, Aus­tra­li­en und Ka­na­da ver­han­delt.
Die Ver­hand­lun­gen fin­den unter Aus­schluss der Öf­fent­lich­keit in der aus­tra­li­schen Bot­schaft in Genf statt.
Mit TiSA soll eine Wei­chen­stel­lung er­fol­gen, wel­che nur noch wei­te­re Markt­öff­nun­gen, je­doch kei­ner­lei neue Re­gu­la­to­ri­en mehr er­laubt. Es be­zweckt einen Zwang zur per­ma­nen­ten Li­be­ra­li­sie­rung. Im Kern um­fasst das Ab­kom­men fol­gen­de Punk­te:
– Gleich­stel­lung pri­va­ter und öf­fent­li­cher Dienst­leis­tungs­an­bie­ter
Wer­den öf­fent­li­che Schu­len staat­lich sub­ven­tio­niert, muss zu­künf­tig eine Pri­vat­schu­le in den Ge­nuss der­sel­ben För­de­rung ge­lan­gen
– Still­hal­te­klau­sel bzgl. be­reits er­folg­ter Li­be­ra­li­sie­rungs­schrit­te: Be­reits pri­va­ti­sier­te Wirt­schafts­be­rei­che kön­nen nicht mehr re­gu­liert wer­den
– Rat­chet-Klau­sel: Auch zu­künf­ti­ge Li­be­ra­li­sie­rungs­mass­nah­men sind nicht um­kehr­bar
Mit TISA wer­den grund­sätz­lich alle Le­bens­be­rei­che au­to­ma­tisch der ka­pi­ta­lis­ti­schen Ver­wer­tung preis­ge­ge­ben. Le­dig­lich ex­pli­zit be­nann­te Aus­nah­men sol­len aus­ge­klam­mert wer­den.

Damit knüpft TiSA di­rekt an das 1999 in Se­at­tle dem Druck der Stras­se un­ter­le­ge­ne mul­ti­la­te­ra­le In­ves­ti­ti­ons­ab­kom­men MAI an.