In Winterthur hat heute ein politischer Prozess wegen der verhinderten Tanzdemo „StandortFUCKtor“ stattgefunden. Dabei liess man sich nicht auf die Anklage des Gerichts ein, sondern drehte von Anfang an den Spiess um und machte der Stadtaufwertung den Prozess.
Um 7.30 Uhr versammelten sich rund 70 Leute vor dem Bezirksgericht. An der Gerichtsverhandlung verweigerte der Angeklagte von Anfang an sämtliche Aussagen, auch zur Person, weil er seine Einsprache stellvertretend für alle von der Repression Betroffenen weitergezogen hatte. Obwohl der mit der Situation sichtlich überforderte Richter ihn mehrfach zu unterbrechen versuchte, liess der Angeklagte sich nicht davon abhalten, eine politische Erklärung zu verlesen. Sie wurde von mehreren ZuschauerInnen fortgesetzt. Zudem wurde ein Transparent mit der Parole „Der Stadtaufwertung den Prozess machen!“ im Saal entrollt. Nach dem Verlesen der Prozesserklärung wurde der Gerichtssaal unter der Parole „Eusi Stadt, eusi Quartier, weg mit de Richter, weg mit de Schmier!“ wieder verlassen.
Damit war der Prozess geplatzt. Denn alle wissen, was am 21. September 2013 geschah. Die Stadt machte damals und auch bei folgenden Aktionen deutlich, was sie unter einer aufgewerteten Stadt versteht und wie sie mit Kritik an ihrer Politik umgeht. Es braucht kein Gericht, das diese Ereignisse beurteilt, denn die Gerichte sind keine neutrale Instanz sondern dienen nur den Herrschenden. Am 21.9. war es die Polizei in Kampfausrüstung, die der Tanzdemo gegenüberstand, heute war es deren administrativer Arm, die Juristerei.
Diese Form der Verweigerung und der Umkehrung der Anklage wurde gewählt, um deutlich zu machen, dass wir heute wie auch in Zukunft der Stadtaufwertung dadurch den Prozess machen, dass wir uns weiterhin gegen die Stadtentwicklung von oben wehren. Während der anschliessenden Demo durch die Innenstadt bis zu den Archhöfen wurden zahlreiche Kleber mit dem Kampagnenlogo „Der Stadtaufwertung den Prozess machen!“ sowie ein Wandbild zum Thema „Aufwertung ist Verdrängung“ beim städtischen Departement Bau am Neumarkt angebracht.
Der heutige Tag mit der grossen solidarischen Unterstützung, der Umkehrung der Anklage vor Gericht, die anschliessende Demo und die Aktionen zeigen nochmals deutlich, dass es trotz der Einschüchterungsversuche durch die Repression notwendig und möglich ist, sich gemeinsam gegen die Aufwertung und Verdrängung zu organisieren und zur Wehr zu setzen.
Das Bezirksgericht hat diese eine weitergezogene Einsprache schliesslich in Abwesenheit des Angeklagten gutgeheissen und ihn freigesprochen. Eine Farce, die den klar politischen Charakter der Justiz aufzeigt. Im Wissen darum, dass die allermeisten Betroffenen ihre Einsprache aufgrund des hohen finanziellen Risikos wegen des unsicheren Ausgangs zurückgezogen und ihre Busse bezahlt haben, versucht die Justiz mit diesem einen Freispruch (von über 100 Strafbefehlen!) die Wogen zu glätten und sich als neutrale, unvoreingenommene Instanz darzustellen. Währenddessen wurden Betroffene in anderen, schwereren Fällen (Landfriedensbruch, Gewalt und Drohung gegen Beamte) auf der Grundlage von vagen Indizien zu hohen Geldstrafen und Bewährungsauflagen verurteilt. Der heutige Freispruch ist also ganz nach dem Motto „mal Zuckerbrot, mal Peitsche“, je nach politischem Nutzen, zu verstehen.
Kurzer Überblick zum Stand der Bussen und Verfahren im Zusammenhang mit „StandortFUCKtor“:
Die Einsprachen gegen die Bussen wegen „Teilnahme an einer unbewilligten Demonstration“ sind grösstenteils von den Betroffenen zurückgezogen und bezahlt worden. Die Einsprachen gegen schwerere Vorwürfe wie „Landfriedensbruch“ oder „Gewalt und Drohung gegen Beamte“ sind teilweise noch hängig oder die Betroffenen vor Bezirksgericht zu hohen Bussen verurteilt worden.
Zu den Einsprachen wegen der Kundgebung „Bring your noise“ :
Der Pilotfall wurde vom Betroffenen nach einem Schuldspruch vor Bezirksgericht ans Obergericht weitergezogen, solange bleiben alle weiteren Verfahren dazu sistiert.
Nach wie vor ist im Fall der einen schweren Augenverletzung einer Demonstrantin offen, ob es zu einem Prozess gegen Stadt- und Kantonspolizei kommen wird. Ebenso steht die versprochene „rasche und unabhängige Untersuchung“ des überaus gewalttätigen Polizeieinsatzes bei „StandortFUCKtor“ auch eineinhalb Jahre danach noch aus. Die Kosten der Bussen, Verfahrensgebühren und Anwaltskosten übersteigen bereits 80’000 Franken. Die Betroffenen sind daher weiterhin auf solidarische Unterstützung durch Spenden angewiesen.
Die Kampagne „Der Stadtaufwertung den Prozess machen!“ wird weitergeführt.
StandortFUCKtor-Soli-Gruppe, 9. Januar 2015