Aus »Räubern« wurden »Freiheitskämpfer«

Albert Ettinger zeichnet die Interessen des Westens an Tibet nach
Eine umfassende Geschichte Tibets legt Albert Ettinger vor. In seinem Buch »Kampf um Tibet. Geschichte, Hintergründe und Perspektiven eines internationalen Konflikts« zeichnet er Begehrlichkeiten nach, die Tibet unter den imperialistischen Staaten des Westens hervorrief und heute noch weckt – stets im Verhältnis zu China.

  
Als »Kuchen auf dem Speiseplan gefräßiger Kolonialmächte«, schreibt Ettinger, fiel das chinesische Reich am 15. August 1900 unter das Joch ausländischer Invasoren. Japan, Russland, Großbritannien, die USA, Frankreich, Deutschland, Österreich und Italien stellten ein Heer, das der deutsche Kaiser Wilhelm II. die »vereinigten Truppen der zivilisierten Welt« nannte. Der deutsche Kaiser sprach vor Soldaten die hässlichsten Sätze, wie »Pardon wird nicht gegeben, Gefangene nicht gemacht.«

1903 brachten die Briten die »Zivilisation« nach Tibet. Die Regierung Großbritanniens schickte eine Militärexpedition in Richtung Lhasa auf den Weg. Auf ihrem Feldzug töteten die 3.000 britischen Soldaten etwa 2.700 Tibeter und erzwangen ein Abkommen, das Tibet zu Handelsbeziehungen mit dem sogenannten Britisch-Indien verpflichtete. Das Abkommen sollte Tibet zu einem britischen Protektorat machen, auf Kosten Chinas.   

Ab den 1950ern wurden im Zuge des Kalten Krieges die tibetischen Khampa-Kämpfer von den USA zu Insurgenten ausgebildet. Aus »Räubern« wurden »Freiheitskämpfer der CIA«, heißt es bei Ettinger. Auf der damals noch unter US-Verwaltung stehenden japanischen Vulkaninsel Okinawa diente ab 1957 der CIA ein Stützpunkt zur Ausbildung von antikommunistischen Spionage-, Sabotage-, Folter- und Terrorspezialisten aus Tibetern, Taiwan-Chinesen, Koreanern und Thailändern. Sie sollten dort »für den beginnenden verbrecherischen Krieg in Indochina trainiert werden«, schreibt Ettinger. Neben vielen anderen Verbündeten des Dalai-Lama porträtiert der Autor auch dessen »Nazifreunde«. Unter ihnen befanden sich der »österreichische Bergsteiger« Heinrich Harrer, der es bis zu einer »spirituellen« Hollywood-Verfilmung gebracht hat, und der »Rassenforscher« und SS-Hauptsturmführer Bruno Berger.

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion verschärfte sich Washingtons Ton gegenüber China erneut. Der US-Senat verabschiedete am 23. Mai 1991 eine Resolution, nach der Tibet ein besetztes Land sei, dessen wahre Repräsentanten der Dalai-Lama und die tibetische Exilregierung seien. Die chinesische Regierung wurde daraufhin aufgefordert, ihre Streitkräfte aus Tibet zurückzuziehen. Die Kampagnen dazu, wie etwa anlässlich der olympischen Spiele 2008 in Peking, stellt Ettinger dar. Auch die »Freunde«, von Heinrich Harrer bis John McCain, sind im Buch abgelichtet – stets umarmt vom fröhlich grinsenden Dalai-Lama. (sz)

Albert Ettinger: Kampf um Tibet. Geschichte, Hintergründe und Perspektiven eines internationalen Konflikts. Zambon-Verlag, Frankfurt am Main 2015, 368 Seiten, 25 Euro

Am Dienstag, dem 17. März, stellt der Autor sein Buch um 19 Uhr in der jW-Ladengalerie vor (Torstraße 6, 10119 Berlin).

Junge Welt vom 16. März 2015