Die Thüringer Gemeinde Hellingen verweigert ihrem CDU-Bürgermeister den Abriss eines revolutionären Denkmals
Hellingen ist eine kleine Gemeinde im äußersten Süden von Thüringen. Direkt an der Grenze zu Franken im Freistaat Bayern gelegen, ist das Dorf mit seinen etwas mehr als 1.000 Einwohnern bis heute ländlich geprägt. Vielleicht sind die Bewohner auch etwas stur. Jedenfalls gibt es in Hellingen etwas, was es in diesem unseren Lande kaum noch gibt: ein Denkmal für Wladimir Iljitsch Lenin. Und dieses Denkmal bleibt stehen. Das ist jedenfalls das Ergebnis einer Abstimmung am Dienstag im Gemeinderat.
Bürgermeister Christopher Other (CDU) hatte sich in den vergangenen Wochen dafür stark gemacht, das Lenin-Denkmal abreißen und an seiner Stelle aus Anlass des 210. Todestages von Friedrich Schiller sowie »im 110. Jahr der Taufe des Schillerplatzes an der Schillerstraße« und »in Anbetracht des 25jährigen Jubiläums der Deutschen Einheit« ein Denkmal für den Dichter errichten zu lassen.
Doch die Bürger von Hellingen wollen ihren Lenin behalten. Wie der MDR berichtete, unterschrieben 265 Einwohner einen Appell gegen den Abriss des 1970 aus Anlass des 100. Geburtstags des russischen Revolutionärs errichteten Steins mit dem Appell »Lernen, lernen, nochmals lernen«. Dabei herrscht in dem Örtchen keineswegs die Sowjetmacht. Die Linkspartei oder etwas noch roteres ist im zwölf Sitze umfassenden Gemeinderat gar nicht vertreten, die Plätze teilen sich CDU, SPD, Freie Wähler und Freiwillige Feuerwehr. Doch für die Menschen ist Lenin Teil ihrer Geschichte, das Denkmal war immer Teil ihrer Umgebung und Treffpunkt der Jugendlichen. Zur Jugendweihe oder zu anderen Feierlichkeiten wurden dort Fotos geschossen. Ganz nebenbei haben die Bürger zudem keine Lust, Tausende Euro für eine Umgestaltung des Schillerplatzes auszugeben, während es – wie ein Einwohner auf der Homepage des MDR kommentierte – in Hellingen keinen öffentlichen Spielplatz gibt und sowohl das einzige Gasthaus als auch das einzige Lebensmittelgeschäft in den vergangenen Monaten schließen mussten: »Hier gibt es wesentlich wichtigere Baustellen, denen sich der Bürgermeister annehmen sollte.«
In einem vierseitigen offenen Brief an sein Volk hatte Other vor der Gemeinderatssitzung geschrieben: »Die Willensbekundung vieler Einwohnerinnen und Einwohner Hellingens, zugunsten einer Erhaltung des bestehenden Denkmals, wird mit Sicherheit nicht unter den Tisch fallen, sondern vielmehr als beachtenswerter Punkt bei der Entscheidungsfindung einfließen. Allerdings gehört es in einer Demokratie zu den Wesenselementen, dass die vom Volk gewählten Gremien Entscheidungen mit Mehrheitscharakter treffen müssen. Und das ist auch gut so, denn irgendwann muss eine Entscheidung gefällt werden! Deshalb wird in der nächsten Gemeinderatssitzung ein entsprechender Aufhebungsbeschluss zum Denkmalerhaltungsbeschluss aus dem Jahr 1999 eingebracht, der dann zur Diskussion und Abstimmung stehen wird. Entweder findet sich dann eine Mehrheit für die Erhaltung des bestehenden Denkmals oder eine Mehrheit für die Entfernung desselben. Die dann getroffene Entscheidung wird in jedem Fall eine ausgewogene und gerechtfertigte sein. Eben diese ist dann auch vollumfänglich und von allen zu akzeptieren!«
Der MDR hat auf seiner Internetseite eine Umfrage gestartet, ob man Lenin ebenfalls stehen lassen würde. Am Donnerstag mittag lag des Votums bei 60 Prozent für und 40 Prozent gegen Lenin. Aber die Abstimmung ist natürlich nicht repräsentativ.
André Scheer / Junge Welt vom 11. Juni 2015