Syrien – Mobilmachung im Mehringhof

Am 2. August 2013 veröffentlichte der Hamburger Strafrechtler und Rechtsphilosoph Reinhard Merkel in der FAZ einen Text zum damals seit zwei Jahren in Gang gehaltenen Krieg in und gegen Syrien. Der Westen sei «schuldig«, meinte der Jurist, weil er die Wandlung des Widerstands gegen die syrische Regierung »zu einem mörderischen Bürgerkrieg ermöglicht, gefördert, betrieben hat«. Diese Strategie sei eine Variante dessen, was seit der Invasion des Irak im Jahr 2003 »demokratischer Interventionismus« heiße. Das sei die verwerflichste Spielart: »Nicht so sehr, weil sie neben dem Geschäft des Tötens auch das Risiko des Getötetwerdens anderen zuschiebt. Eher schon, weil sie die hässlichste, in jedem Belang verheerendste Form des Krieges entfesseln hilft: den Bürgerkrieg.«

Das Erschleichen einer »Aura des Moralischen« (Merkel) gehört zur Grundausstattung imperialistischer Kriegspolitik – und linker Bellizisten. 1914 war der Krieg in Russland für die SPD mit einer zivilisatorischen Befreiungsmission verbunden. Gegen die Sowjetunion und speziell die DDR war den linken Antikommunisten der Bundesrepublik, speziell den Grünen, jede Form der Einmischung recht. Die Stiftung von Massenarbeitslosigkeit, Massenauswanderung, Niedrighalten von Löhnen und Renten für mehr als 16 Millionen Menschen nach 1990, fand – um es zurückhaltend auszudrücken – unter den meisten westdeutschen Linken keine besondere Resonanz. Gleichgültigkeit, vor allem aber Erpichtsein auf moralische Überlegenheit herrschten vor. Der 1989 in die DDR übergesiedelte Autor Ronald M. Schernikau klärte seine Kollegen im DDR-Schriftstellerverband auf dessen letztem Kongress Anfang März 1990 auf: »Der Westen hat, und das ist ein so alter Trick, die Moral eingeführt, um über Politik nicht reden zu müssen. (…) Einen Vorgang moralisieren heißt, ihm seinen Inhalt nehmen.«

Auch am syrischen Bürgerkrieg lässt sich das studieren. Er wurde vom ersten Tag an von außen angeheizt und lockte die linken »demokratischen Interventionisten« aller westlichen Länder an, als deren Bodentruppe Dschihadisten verschiedenster Nationen fungieren. Eine Analyse, wie sie Reinhard Merkel vorlegte, wurde in der deutschen Linken und Friedensbewegung nie Grundlage einer Debatte. Statt dessen erfreuen sich Initiativen wie »Adopt a Revolution«, die ihre Einmischung in den syrischen Krieg als »Solidarität« deklariert, des Interesses von Linken. Das zeigte eine Veranstaltung am vergangenen Mittwoch im Berliner »Mehringhof«, zu der die »Interventionistische Linke« (IL) u. a. einen Vertreter von »Adopt a Revolution« und auch jW-Korrespondentin Karin Leukefeld eingeladen hatte. In einem Text auf der IL-Facebookseite hieß es dazu in schönstem Bürgerblattstil, »der Bürgerkrieg« habe Hunderttausende Tote und Millionen Flüchtlinge »produziert«. Die »Militarisierung des Konflikts« habe »die Opposition gegen Assad« geschwächt. Wer von Interessen, Waffenlieferungen und Finanzen nicht reden will, sollte vom Krieg schweigen.

Folgerichtig wäre statt des Veranstaltungstitels »No Exit? Syrien im Jahr vier nach dem Aufstand« angebracht gewesen: »Mobilmachung im Mehringhof«. Karin Leukefeld – laut einem Eintrag auf der IL-Facebookseite eine »Assad-Apologetin« – hatte gegen die Interventionswilligkeit auf dem Podium und im Publikum keine Chance.

Ein Rekrutierungsbüro der Bundeswehr oder der »moderaten Dschihadisten«, die von den USA zur Zeit für den Kampf in Syrien in der Türkei trainiert und ausgestattet werden, war am Mittwoch im Mehringhof, im Kalten Krieg Westberliner Treff linker Antikommunisten, noch nicht eröffnet. Deutsche »Revolutions«helfer werden allerdings nach dem Attentat in Suruc auch nicht mehr benötigt. Der Befehl an Ankara, noch offener als bisher in den syrischen Krieg einzugreifen, ist erteilt – moralisch sauber.

Der Krieg in Syrien wurde vom ersten Tag an von außen angeheizt und lockte die linken »demokratischen Interventionisten« aller westlichen Länder an, als deren Bodentruppe Dschihadisten verschiedenster Nationen fungieren.

Arnold Schölzel / Junge Welt vom 25. Juli 2015