Crowdfunding Seit einigen Jahren lässt sich ein anhaltender Trend zur Schwarmfinanzierung über das Internet beobachten. Statt grossen Investoren investieren dabei zahlreiche private Kleinanleger in aussichtsreiche Projekte. Von den daraus folgenden Veränderungen sind vor allem Kulturschaffende betroffen.
(agkkz) «Crowdfunding» heisst das neue Zauberwort, mit welchem die Märkte durch aktive Beteiligung der Investoren neu belebt werden sollen. Über verschiedene Internetplattformen lässt sich dabei in als innovativ vermarktete Projekte investieren. Vor allem Kleinanleger, die an den klassischen Finanzmärkten zu wenig Rendite einstreichen, dort das riskante Spiel um Profit und Verlust vermissen oder sich aber schlicht nach einem persönlichen Bezug zum investierten Produkt sehnen, lassen sich für die neuen Investitionsplattformen gewinnen. Dass diese längst mehr als ein Internethype sind, zeigen die letztjährigen Wachstums- und Investitionsraten. So sollen laut einer Studie 2014 rund 16.2 Milliarden Dollar über die 1›250 untersuchten Plattformen geflossen sein, was einer Wachstumsrate von 167% gegenüber dem Vorjahr entspricht. Davon entfallen erstens über 12 Milliarden Dollar auf «Lending» und «Equity» basierte Seiten, das heisst auf jene Plattformen, die eine monatliche Rückzahlungsrate für das investierte Geld versprechen beziehungsweise eine vom Erfolg des Produktes abhängige Zinsrate ausbezahlen. Ein kleinerer aber immer noch im Milliardenbereich anzusiedelnder Teil des Geldes entfällt zweitens auf bekannte Seiten wie «Kickstarter» oder «Indiegogo», die nach dem klassischen Spenden-Prinzip arbeiten und für das investierte Geld individuelle Geschenke und Dankesangebote, nicht aber Zinsen zurückbezahlen. Zwischen diesen beiden Prinzipien des Crowdfunding existiert drittens ein Angebotsbereich von hybriden Rückzahlungsformen, auf welche der restliche, kleinste investierte Betrag fällt.
Kleine Investoren, grosse Profiteure
Selbstverständlich horchen bei diesen Wachstumsraten immer mehr auch kapitalstarke Unternehmen und Investoren auf. Einerseits beginnen sie damit, selbst solche Angebote bereitzustellen. Beispielsweise lancierte Swisscom im letzten Jahr eine Serviceplattform speziell für Banken, welche es diesen wiederum ermöglichen soll, ihren Kunden eine eigene Plattform für Investitionen zur Verfügung zu stellen. Dabei geht es nicht nur um die Investition von brachliegendem Kapital, sondern auch um die eigene Imagekorrektur und die breitere Legitimation von Finanzgeschäften. So können Privatkunden in vertretbarem Ausmasse selbst entscheiden, welche Investitionen sie moralisch für akzeptabel halten oder wie viel Prozent von ihrem eigenen Geld sie in alternative Projekte investieren möchten. Der demokratische und moderne Anstrich von Crowdfunding färbt dabei auf das Finanzunternehmen selbst ab und präsentiert dieses öffentlichkeitswirksam im neuen, freundlichen Gewand.
Andererseits profitieren grosse Unternehmen davon, ihr eigenes Risiko bei Investitionen zu verringern. So müssen sich neue Produkte zuerst auf dem Markt durchsetzen, bevor sie das Interesse der Grossen wecken – und zwar sowohl im Ideenmarkt auf den entsprechenden Crowdfunding Plattformen als auch im Kampf um die Konsumenten nach der Produktlancierung. Schlägt ein Produkt hierbei fehl, dann verlieren die Kleinanleger ihr Geld. Setzt es sich jedoch durch, dann steht das Kapital rasch bereit, um sich entsprechendes Unternehmen einzuverleiben. Es erinnert an das vom Finanzmarkt bekannte Muster der Privatisierung von Gewinnen bei möglichst grosser Aufteilung von Verlusten.
Noch perfider läuft die Masche bei den oftmals im Kulturbereich anzutreffenden, spendenbasierten Angeboten. So häufen sich seit den vergangenen Jahren die Fälle, wo Einzelpersonen einem Projekt Geld zusprachen und Grossunternehmen danach den erzielten Profit einstreichen konnten. Besonders anschaulich lässt sich dies beim letztjährigen Kinoprojekt über die Fernsehserie «Veronica Mars» nachverfolgen. Fans der Serie wünschten sich seit langem einen Kinofilm über ihre heiss geliebte TV-Show. Die Inhaber der Produktionsrechte, das amerikanische Grossunternehmen Warner Bross, sahen darin aber wenig Erfolgschancen und weigerten sich nach einer durchgeführten Marktstudie selbst aktiv zu werden. Daraufhin schritten die Fans eigenhändig zur Tat und sammelten über Kickstarter fast 6 Millionen Dollar zur Realisierung des Filmes. Dieser konnte in der Folge dann auch produziert werden und spielte in den Kinos rund 3.5 Millionen Dollar ein. Selbstverständlich aber hat Warner Bross stets die Rechte am Filmmaterial behalten, so dass die Einnahmen schlussendlich in die eigene Kasse flossen, ohne dass dabei das Unternehmen selbst grosse Ausgaben hat tätigen müssen.
Folge für die KulturarbeiterInnen
Die weitaus grössten Auswirkungen von Crowdfunding aber betreffen die Werktätigen selbst. Vor allem im Kulturbereich führen die Veränderungen der Finanzierungsmöglichkeiten und der Distributionskanäle zu einem grundlegenden Wandel der eigenen Tätigkeit. Denn das Prinzip Crowdfunding verschärft in seiner Form jenes kapitalistische Prinzip der Konkurrenz und Verdinglichung, das für eine fortschrittliche und dynamische Kultur so verehrend ist. Betroffen sind vor allem jene Anbieter von Kulturleistungen, die auf einer externen Finanzierung ihrer Projekte angewiesen sind. Was bei weitem nicht nur vereinzelte kleinbürgerliche Lebensentwürfe betrifft, sondern beispielsweise auch alle Angestellten von Theater, Tanzbühnen oder sonstigen Kulturinstitutionen.
Will ein Kulturprojekt heute über Spender finanziert werden, muss es sich öffentlichkeitswirksam präsentieren. Und zwar von Anfang an. So wird selbst der Projektplan ästhetisiert und als medienwirksames Video veröffentlicht, wie auch jeder einzelne Schritt kommentiert und veräusserlicht wird. Dabei setzt sich jedoch am Ende nicht – dem dahinter steckenden Rational-Choice Ansatz zum Trotz – das beste oder schönste Projekt durch, sondern schlicht dasjenige, was sich am besten verkaufen kann, auf das grösste soziale Netzwerk zurückgreifen kann oder was den grössten Erfolg verspricht. Bekannte Kulturprojekte haben hier durch ihre sozialen Verbindungen ebenso einen Startvorteil, wie jene Projekte, welche über genügend Startkapital verfügen, um etwa professionelle Werbevideos drehen zu können.
So wird durch Crowdfunding letztlich jede Kunst- und Kulturproduktion zu einem öffentlichen Casting, bei dem jedoch nicht die oberflächlich demokratisierte Entscheidungsfindung zu einer Realisierung führt, sondern einzig der Markt. Dieser ideologische Wandel, bedingt durch die veränderten ökonomischen Verhältnisse für die Kunstproduktion als auch der Veränderung der medialen Distributionskanäle, betrifft aber nicht nur jene, die sich mit ihrem Projekt auf entsprechenden Crowdfunding Plattformen selbst verkaufen, sondern auch alle anderen, die in irgendeiner Form auf eine finanzielle Stütze angewiesen sind. Denn so setzt sich die Idee der öffentlichen Vergleichbarkeit immer mehr auch bei staatlicher Kulturförderung durch. Beispielsweise in der Bereitstellung von Geldern durch eine hybride Drittmittelfinanzierung: Kann ein Projekt zum Beispiel 10,000 Franken privat sammeln, dann verdoppelt die Kulturförderung diesen Betrag. Sammelt es hingegen zu wenig, und das heisst der Markt akzeptiert das Projekt nicht, unterlässt auch der Staat eine weitere Investition. Die Folge davon ist wiederum, dass die Realisierung eines kulturellen Beitrages vom Markt und vom anvisierten Erfolg abhängig gemacht wird.
Dialektik der Kunst
Dies führt zu einem zweiten Moment des Kulturverlustes durch das Prinzip Crowdfunding. Kunst und Kultur sind in ihrer Dialektik auf lang andauernde Lernprozesse angewiesen. Innovation und vollendete Werke bedingen die Praxis als Ort des möglichen Scheiterns und der folgenden Weiterentwicklung. Die Marktkonformität aber lässt ein solches Scheitern nicht zu. Will beispielsweise ein Folgeprojekt und damit das eigene Leben ebenfalls finanziert werden, so muss schon der erste Versuch ein Erfolg darstellen. Dies jedoch lässt sich nur durch Marktkonformität herstellen. Einer Kultur aber, die sich nicht durch Fehler entwickeln kann, sondern auf ständige Neubeurteilung und Finanzierung durch den Markt angewiesen ist, liegt eine Tendenz zur ständigen Nivellierung und Anpassung an die Anforderungen der Kulturindustrie inne. Dem zum Opfer fallen die Projekte der künstlerischen Avantgarde und die fortschrittliche Kunst, die sich nicht verkaufen lässt.
Das soll freilich nicht bedeuten, dass der Kultur eine Autonomie zugesprochen werden soll, in welcher sie sich jeglicher gesellschaftlicher Kritik und Auseinandersetzung über ihre Produkte entzieht kann. Doch die markttaugliche Finanzierung und der Wettbewerbscharakter darf nicht mit der Kollektivierung und Demokratisierung des Kunstbetriebes verwechselt werden. Vielmehr muss diese als Form einer gelebten Gegenmacht ausserhalb der Marktstrukturen vollzogen werden. Dass eine solche Erkenntnis bisher auch im Kunstbetrieb selbst auf wenig Anklang gestossen ist, liegt nicht zuletzt daran, dass die Crowdfunding Industrie es bisher erfolgreich bewerkstelligt hat, den ideologischen Schein einer angeblichen Demokratisierung über ihren eigenen Produkte schweben zu lassen.