SEXARBEIT – TEIL III Verfestigungen oder Verschiebungen in den Geschlechterverhältnissen finden auch mit den Debatten um Sexarbeit statt. Im dritten Teil unserer Serie werfen wir Blicke auf die vielschichtigen Auseinandersetzungen rund um Sexarbeit.
(fk) Die Geschichte der Hurenbewegungen zeigt, dass Sexarbeiterinnen in Europa auch Teil der Frauenbewegung waren. Bereits 1980 tauchten Forderungen nach einer Anerkennung der Prostitution als Beruf auf, die ein selbstbewusstes Bekenntnis zur Prostitution als legitime Form sexueller Dienstleistungen enthielten. Diese Forderungen provozierten Debatten in der bürgerlichen Öffentlichkeit und in feministischen, linken Bewegungen.
In europäischen Frauenbewegungen können wir historisch, neben vielen anderen Betrachtungsweisen, von zwei polarisierten Positionen sprechen. Eine, welche Prostitution im Zusammenhang mit sexuell weiblicher Verfügbarkeit und Gewalt im Patriarchat diskutiert. Diese kritisiert vor allem auch die «sexuelle Revolution» der 70er Jahre, die ihrer Meinung nach die sexuellen Spielräume nur für Männer erweitert hat. Und eine andere, welche Sexarbeit als Arbeit und als Raum für potenzielle Selbstermächtigung betrachtet. Diese Position ist auch verbunden mit der Debatte über Lohn für Hausarbeit, die eheliche Sexualität als unbezahlten Dienst am Mann kritisierte und für die häusliche Reproduktionsarbeit Lohn forderte. Eine langandauernde Diskussion in der Frauenbewegung wurde ausgelöst. Innerhalb dieser Auseinandersetzungen zu Sexarbeit sind Verschiebungen festzustellen, von moralischer Verurteilung und fürsorglichem Paternalismus hin zu einer Anerkennung der Lebenssituation von Sexarbeitenden und einer Stärkung ihrer sozialen und rechtlichen Positionen.
«Wir sind Frauen wie andere auch»
Mit dieser Parole der Hurenbewegungen der 70er Jahre traten die Betroffenen selbst auf die Strasse, ergriffen das Wort und definierten sich und ihre Arbeit selbst. Sie sahen sich als kämpferische und selbstbestimmte Arbeiterinnen und nicht als Opfer. Gekämpft wurde um rechtliche Anerkennung und arbeitsvertragliche Regelungen, sowie um Gewährung von Arbeitnehmerinnenschutz und Sozialversicherungsschutz. «Prostituierte brauchen Rechte – nicht für den Ausstieg aus der Prostitution, sondern zu ihrer Ausübung unter menschenwürdigen Umständen» und «Prostitution ist ein Menschenrecht», so endet Doña Carmen e. V. in ihrem Positionspapier, eine Organisation für Sexarbeitende, die in den 80er Jahren neben zahlreichen anderen selbstorganisierten Projekten entstand.
Feminismus und Konservatismus Hand in Hand
Konservativer Feminismus sieht Prostitution durchwegs als patriarchal, frauenverachtend und als eine Form der sexuellen Gewalt. Diese Position wurde 2013 durch den «Appell gegen Prostitution» von Alice Schwarzer wieder neu aufgelegt und löste eine internationale Debatte aus. Schwarzer fordert ein Prostitutionsverbot als Feldzug gegen die «moderne Sklaverei» und eine Rücknahme des Prostitutionsgesetzes in Deutschland von 2002, welches die Prostitution zivilrechtlich als reguläres Gewerbe kodifiziert und ihre Ausübung damit in einigen Bereichen liberalisiert. Dadurch sei «Deutschland zu Europas Drehscheibe für Frauenhandel und zum Paradies der Sextouristen aus den Nachbarländern geworden», so der Appell. Die Position provoziert, dass Frauen in jeder Hinsicht als Opfer gesehen werden. In diesem Klima setzte die grosse Koalition ganz aktuell in Deutschland das «Gesetz zum Schutz der in der Prostitution Tätigen» um, wobei es mit dem Schutz jedoch weit her ist. Das Gesetz zielt auf Kontrolle ab und fördert durch den Registrierungszwang die Ausgrenzung und Stigmatisierung der Sexarbeitenden. Früher waren es die bürgerlichen Frauen der ersten Frauenbewegung gewesen, die sich nicht in die Beweggründe proletarischer Frauen, die Sexarbeit leisteten, hineinversetzen konnten. Sie forderten ein Verbot aus Empörung und Angst vor moralischem Zerfall der Familien als Kern der bürgerlichen Gesellschaft. Das im 19. Jahrhundert bestehende «Sexualitätskonzept» gestand dem bürgerlichen Mann aufgrund seines angeblich höheren Sexualtriebes den sexuellen Kontakt mit Prostituierten, bzw. proletarischen Frauen, zu. Um dies zu ermöglichen wurde ein hygienisches Konzept der «Reglementierung» entworfen. Diese institutionalisierte Prostitution mit den flankierenden hygienischen Massnahmen wurde um die Wende zum 20. Jahrhundert von bürgerlichen Feministinnen angegriffen. In Zürich entstanden 1888 zwei Vereine zur Hebung der Sittlichkeit. Die neue Sittlichkeitsbewegung wollte nicht eine Eindämmung sondern ein völliges Verbot von Prostitution durchsetzen. Diese Bewegung, mit ihren konservativen und christlichen Bildern von moralischer Sexualität im Sinne der Fertilität, sieht das Konzept Einheit von Sexualität und Ehe als fundamentalen Bestandteil ihrer Klassenmoral und sorgte damit für die Zementierung von alten Sexualnormen und Geschlechterverhältnissen. Nach Silvia Kontos, die in ihrem Buch die historische Entwicklung von Theorien über heterosexuelle Prostitution sowie deren politischen Regulierungen aufzeigt, wirken die Zementierungen von Sexualnormativen dem sozialen Aufstieg von proletarischen Frauen entgegen und verweisen sie immer wieder auf die «unteren» Plätze in der Gesellschaft. Die Debatte über Geschlechterverhältnisse wird auf ein «skandalträchtiges» Terrain verschoben, weil es dort mittels Empörung und Moral einfacher ist, Frauen auszuschliessen, abzuwerten und mit diesen Spaltungen Herrschaftsstrukturen aufrecht zu erhalten.
Zwischen Moral, Selbstausbeutung und Selbstbestimmung
In einigen Debattenbeiträgen ist zu lesen, dass gerade in modernen Gesellschaften, die auf ökonomisch erzwungener sozialer und geografischer Mobilität sowie beruflicher Flexibilität beruhen, die Vermarktung von Sexualität und das Angebot von käuflichem Sex nicht mehr weg zu denken sind. Es sind also auch die Bedürfnisse der Kapitalakkumulation, welche moralische Entrüstungen in den Hintergrund schieben und eine sexuelle Liberalisierung forcieren. Hier stehen die Interessen des Kapitals im Vordergrund, wie auch bei Teilen von konservativen Kräften, die eine Liberalisierung der Prostitution befürworten und so wenig staatliche Eingrenzungen wie möglich möchten. Das Geschäft soll der Markt regeln. Dem gegenüber stehen die Forderungen der Sexarbeitenden, das Arbeitsverhältnis ins Zentrum zu rücken, gewerkschaftliche Vertretungen und Anerkennung der Berufsprofessionalität zu erlangen, um Stigmatisierungen zu entschärfen und Selbstbestimmungen zu fördern. Eine Sprecherin dieser Position ist Stefanie Klee (Sex Arbeiterin und Coach), sie versucht die Diskussion auf ökonomischer Ebene zu führen: «Sexarbeit ist in erster Linie Arbeit. Menschen gehen gern oder weniger gern, professionell oder laienhaft, regelmäßig oder als Hobby diesem Beruf nach, verdienen damit ihren Lebensunterhalt…». P.C. Macioti zeigt in ihrem Debattenbeitrag «liberal zu sein reicht nicht aus», dass es für eine fortschrittliche Prostitutionspolitik notwendig ist, das Geflecht der unterschiedlichen Mechanismen und AkteurInnen aufzudecken. Sie betont die Notwendigkeit, Arbeitsrechtsforderungen und die Entkriminalisierung von Sexarbeit mit dem Kampf gegen Stigmatisierung zu verbinden. Dass bürgerliche Gesetze bezüglich Prostitution meist Ausgrenzung und Diskriminierung beinhalten, zeigt das Beispiel von Schweden, welches von bürgerlichen Feministinnen gern als positives Beispiel gegen Frauenunterdrückung hergeholt wird. Durch die Kriminalisierung von Freiern werden ebenfalls die Arbeiterinnen kriminalisiert und gesellschaftlich ausgegrenzt. Die gegenwärtigen Allianzen von konservativen Feministinnen und Staatsmacht erfolgt auf Kosten der Sexarbeiterinnen und zielt immer auch auf die gesellschaftliche Kontrolle der Sexualität der Frau und ihrer Reproduktionsfähigkeit ab.
Mein Körper – meine Entscheidung!
Dies zeigen auch die Debatten um den Schwangerschaftsabbruch seit den 70er Jahren, in denen diese Verhandlungen um den Frauenkörper heftig geführt werden. Denn wie und welche Frau sich fortpflanzt ist in Klassengesellschaften schon immer ein grosses Politikum gewesen. Im heutigen reaktionären Klima entstehen antifeministische und religiöse Bewegungen und treten diese offener auf, wie die jährlichen Aufmärsche fundamentaler ChristInnen und Seminare der AntifeministInnen zeigen. Wir betrachten es als Aufgabe von linken Frauenbewegungen, Positionen wie «My Body, My Choice», also ein Selbstbestimmungsrecht über unsere Körper, zu verteidigen oder durchzusetzen und die reaktionären Angriffe abzuwehren. Eine Solidarisierung und Verbindung der Kämpfe um Selbstbestimmung ist fundamental. In diesen Kämpfen um Selbstbestimmung über unser Leben sehen wir auch die Sexarbeitskämpfe. Im Wissen, dass sich eine vollständige Selbstbestimmung nur jenseits des Kapitalismus verwirklichen kann und wir dazu optimiert werden uns selbstbestimmt auszubeuten, brauchen wir einen geschärften Blick, um Analysen über Arbeit, Geschlecht, Macht und Sexualität zu entwickeln.