Afrika, Zentralasien, Mittelmeer: Die deutsche Bundeswehr sieht die Welt wieder als ihr Feld an
In den jüngsten deutschen Krieg griffen Soldaten der Bundeswehr erstmals in der Nacht vom 15. zum 16. Dezember ein. Ein Airbus A 310 der Luftwaffe habe Kampfbomber der Internationalen Allianz gegen den »Islamischen Staat« (IS) betankt, als sie Angriffe auf die Gruppierung flogen, berichtete das Bundesverteidigungsministerium stolz. Während der Airbus seinen ersten Einsatz absolvierte, sollten darüber hinaus schon zwei der sechs Tornados, die im Verlauf des Januars im syrisch-irakischen Kriegsgebiet Aufklärung betreiben und Zieldaten für die Kampfflieger liefern sollen, auf der NATO-Basis im türkischen Incirlik für erste Orientierungsflüge bereitgestellt sein. Zum dritten Mal nach Jugoslawien (1999) sowie Afghanistan (bis 2014) starten deutsche Militärs um die Jahreswende 2015/16 nicht nur in einen neuen Einsatz, sondern direkt in einen Krieg.
Das Jahr 2015 hat für die Bundeswehr einige wichtige Weichenstellungen gebracht. Nicht, dass die diversen »Missionen« und »Operationen«, an denen sich deutsche Soldaten in 14 Ländern auf drei Kontinenten beteiligen, in absehbarer Zeit zu einem Ende kämen. Paradebeispiel ist das Kosovo. Seit 1999, also bereits seit 16 Jahren, hat Berlin dort Einheiten stationiert – die Einwohner fliehen inzwischen in Scharen, weil die Lage dort immer hoffnungsloser wird. Weitere Beispiele bieten die deutschen Beteiligungen an den UN-Interventionen im Sudan (UNAMID) und im Südsudan (UNMISS). Erst im November sind die Mandate für beide zum wiederholten Male verlängert worden. Hintergrund für die Einsätze war ursprünglich die Absicherung der vom Westen durchgesetzten Abspaltung des Südsudan 2011. Man kann nicht behaupten, dass die Separation wirkungslos geblieben wäre: Seit gut zwei Jahren versinkt der Südsudan in einem der gewalttätigsten Kriege der Welt.
Ausgebaut wurden 2015 unter anderem die Bundeswehr-Interventionen in vom Kabinett in Berlin als strategisch wichtig erachteten Seegebieten. Die deutsche Beteiligung an der »Operation Active Endeavour« der NATO im Mittelmeer etwa ist kurz vor Weihnachten verlängert worden. Sie wird immer noch mit dem sogenannten Bündnisfall des Militärpaktes begründet, der nach den Anschlägen vom 11. September 2001 ausgerufen wurde und bis heute gilt. Deutsche Kriegsschiffe verfügen damit über ein Mandat für Operationen in einem Gebiet, in dem die russische Marine inzwischen präsenter wird. Die Marine der Bundeswehr ist zudem im Rahmen von UNIFIL im östlichen Mittelmeer vor der Küste des Libanon aktiv. Vom Mittelmeer aus ist Anfang Dezember die Fregatte »Augsburg« durch den Suezkanal in Richtung Persischer Golf aufgebrochen, wo sie jetzt für Aufgaben im neuen Krieg gegen den IS zur Verfügung steht. Vorbeigefahren ist sie dabei an Dschibuti am Ausgang des Roten Meeres in den Indischen Ozean, wo die deutsche Marine einen Stützpunkt unterhält. Vor dem angrenzenden Horn von Afrika sind deutsche Kriegsschiffe ohnehin präsent – im Rahmen ihres Kampfes gegen Piraten (»EUNAVFOR Atalanta«).
Neu hinzugekommen ist in diesem Jahr die »Operation Sophia«, mit der die Flucht von Menschen aus Afrika nach Europa unter Kontrolle gebracht werden soll. Seit Juni sind deutsche Kriegsschiffe daran beteiligt. Wird der ursprüngliche Plan eingehalten, stünde 2016 eine unkalkulierbare Eskalation bevor: Besatzungen von EU-Kriegsschiffen würden dann nicht nur in libyschen Küstengewässern, sondern auch auf libyschem Territorium operieren, um Flüchtlinge vom Verlassen des afrikanischen Kontinents abzubringen. Die Pläne fallen mit Überlegungen zusammen, die libyschen Streitkräfte von der NATO ausbilden zu lassen, um die Ausbreitung des IS in dem Land zu stoppen und die stark eingeschränkte Ölförderung wieder ausweiten zu können. Libyen war jahrzehntelang einer der Hauptlieferanten der Bundesrepublik außerhalb Europas und ist ein wichtiger Standort der Kasseler BASF-Tochterfirma Wintershall.
In Afrika ist die Bundeswehr an weiteren Militärinterventionen beteiligt, der Kontinent entwickelt sich zu einem neuen Schwerpunkt der deutschen Aktivitäten. Mit einer je einstelligen Anzahl von Soldaten beteiligt sie sich an den UN-Einsätzen in der Westsahara (Minurso, seit 2013) und in Liberia (UNMIL, seit 2015). Damit zeigt Berlin Präsenz und hält sich über die Entwicklung aus erster Hand auf dem laufenden. Transportflüge nach Mali wickelte die Luftwaffe zeitweise über die senegalesische Hauptstadt Dakar ab. Dort befindet sich immer noch die Einsatzwehrverwaltungsstelle für die deutsche Beteiligung an der UN-Intervention Minusma in Mali.
Mali wird in diesem Jahr wohl ein Schwerpunkt der deutschen Interventionstätigkeit. Bisher konzentriert die Bundeswehr sich auf die Ausbildung der malischen Streitkräfte im Rahmen von »European Union Training Mission Mali«. Die Maßnahmen finden im vergleichsweise ruhigen Süden des Landes statt. Bald jedoch wird die Bundeswehr aber wohl im Norden umfassender intervenieren. Dort soll die UN-Truppe Minusma einen ziemlich fragilen Waffenstillstand überwachen. Der Konflikt dort ist äußerst komplex. Bei bewaffneten Angriffen kamen bereits mehr als 50 UN-Soldaten zu Tode, zudem protestieren Teile der Bevölkerung gegen die Militärs. Berlin will bis zu 650 Soldaten in Malis Norden senden.
Eine Wende hat es 2015 beim Afghanistan-Einsatz gegeben. Wollte Berlin vor einem Jahr mit der Umstellung von ISAF auf die sogenannte Trainings- und Beratungsmission »Resolute Support« den endgültigen Abzug vom Hindukusch einleiten, so hat spätestens die jüngste Taliban-Offensive eine Kursänderung bewirkt. Kurz vor Weihnachten hat der Bundestag beschlossen, das Kontingent am Hindukusch auf bis zu 980 Soldaten auszuweiten. Das Verlassen Afghanistans sei wohl »zu schnell« eingeleitet worden, heißt es in Berlin – rund 14 Jahre nach Einsatzbeginn.
Jörg Kronauer / Junge Welt vom 2. Januar 2016