Strategie der eisernen Faust

Zensur, Verhaftungen, Morddrohungen: Um die Pressefreiheit in der Türkei ist es schlecht bestellt

Das historische Zentrum der Kurdenmetropole Diyarbakir (kurdisch: Amed), der Stadtteil Sur, ist seit mehreren Monaten Schauplatz eines brutalen Belagerungskrieges. Sur, umgeben von alten Befestigungsmauern, ist durch zwei größere Straßen in vier Wohnviertel geteilt. Diejenigen östlich der Gazi Caddesi, der Hauptstraße des Bezirks, stehen unter Ausgangssperre. Sie sind umstellt von Soldaten und Sondereinsatzeinheiten der Polizei, die sich improvisierte Stellungen gebaut haben und schweres Gerät einsetzen.

Wir waren Anfang Januar angereist, um den brutalen Feldzug der türkischen Regierung gegen die kurdische Bevölkerungsmerheit in Städten wie Diyarbakir, Cizre, Silopi oder Nusaybin zu dokumentieren. Was vom Regime um Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan und seinen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu unter »Pressefreiheit« verstanden wird, erfuhren wir bereits am zweiten Tag unseres Aufenthalts in den kurdischen Gebieten.

»Komm her, komm!«

Am Nachmittag des 16. Januar gegen 16.30 Uhr spazieren wir am südlichen Rand von Sur in Richtung der zum Weltkulturerbe gehörenden Hevsel-Gärten. Wir laufen auf eine Polizeiabsperrung zu, an der eine der Sondereinsatzeinheiten ihren Dienst tut. Schon als wir uns noch im nicht zum eigentlichen Ausgangssperrengebiet gehörenden Bereich aufhalten, bemerken uns die Uniformierten. Es gibt einen kurzen Augenkontakt aus der Ferne, wir drehen um, wollen eine unangenehme Begegnung vermeiden. »Gel buraya, gel!« hören wir einen rufen. »Komm her, komm!« Wir aber gehen weiter in die entgegengesetzte Richtung, wollen weg. Die Polizisten fangen an zu schießen – mit scharfer Munition. Ein mit MG ausgestattetes Polizeifahrzeug und mehrere Cops bewegen sich schnell auf uns zu. Flankiert werden sie von Spezialkräften in voller Kampfmontur und Kalaschnikows, die in Gefechtsstellung aufmarschieren. Weglaufen macht keinen Sinn, wir nehmen die Hände hoch, drehen uns um und werden verhaftet.

Was dann folgt, ist ein Lehrstück über die Mentalität der hier vom türkischen Staat eingesetzten Milizionäre. Man nimmt uns unsere technischen Geräte ab, zwingt uns, Passwörter einzugeben und beginnt uns zu beschimpfen. Presseausweis und die beiden Dokumente von junge Welt und Neues Deutschland, die uns als im Auftrag zweier deutscher Zeitungen tätige Journalisten ausweisen, interessieren nicht. Viel mehr will man wissen, für welchen Geheimdienst wir hierher gekommen sind, um der endlich zu sich selbst findenden türkischen Nation zu schaden. »Das ist nicht Deutschland. Das ist die türkische Republik«, brüllt einer immer wieder in schlechtem Englisch. Die Situation ist durchaus bedrohlich. Zumindest einer der Offiziere will uns nicht so einfach gehen lassen; mehreren der hier anwesenden Polizisten merkt man ihre islamistische Überzeugung an.

Doch nach eineinhalb Stunden Beschimpfungen und Durchleuchtung unserer privaten Telefondaten kommt uns der Zufall zur Hilfe: Die Einheit muss zu einer »Operation«, und der dem Augenschein nach höchstrangige Kommandierende hat im Unterschied zu dem Gruppenführer, der uns verhaftet hat, keine Lust, mit uns »etwas zu machen«. Wir können gehen, aber man gibt uns noch eine Warnung mit auf den Weg: »Das türkische Volk und der türkische Staat erwachen! Wir werden den Verrätern im In- und Ausland den Schädel regelrecht zertreten. Wir haben viel gesehen. Hier treiben sich alle möglichen Verräterhunde rum; PKK, MLKP, der ganze Dreck. Wir werden sie alle auslöschen.« Der Polizist brüllt noch: »Erzählt das genau so der deutschen Presse!«

Journalisten vor Gericht

Das war nur das extremste Beispiel einer Reihe unangenehmer Begegnungen, die wir mit den Sicherheitskräften in der Türkei während unserer Kurdistan-Recherchereise hatten. Von einem Einzelfall lässt sich weder aus unserer Perspektive noch hinsichtlich der Arbeitsbedingungen für Journalisten in der Türkei überhaupt reden: Repression der nicht auf Linie gebrachten Medien ist mittlerweile gang und gäbe. Die Methoden der Unterdrückung der Presse sind dabei vielfältig: von Anklagen wegen »Unterstützung des Terrorismus« oder »Beleidigung des Präsidenten« über die Sperrung von Facebook-Posts und Tweets bis hin zu befohlenen Entlassungen und physischer Drohung, ja sogar bis hin zu Angriffen reicht die Palette.

Die Repression ist mittlerweile so normal geworden, dass der letzte Quartalsbericht des unabhängigen Nachrichtenportals Bianet zur Situation der Presse in der Türkei für das Jahr 2015 »You Name the Title« (»Titel Ihrer Wahl«) heißt, weil den Mitarbeitern mittlerweile keine Überschriften mehr einfallen außer »Schlimm«, »Viel schlimmer« und dergleichen. Einige Eckdaten verdeutlichen die Dramatik der Situation: Allein im Jahr 2015 wurde 348 Journalisten oder Medienarbeitern gekündigt oder sie wurden mit anderen Mitteln zur Aufgabe ihrer Arbeit gezwungen. 120 wurden in Untersuchungshaft genommen, 31 verurteil und verhaftet, vier ermordet, 69 physisch attackiert und 62 bedroht oder verbal angegriffen. 73mal wurden Fernseh- und Radiostationen von dem Obersten Rundfunk- und Fernsehrat (RTÜK) verwarnt und 172mal zu Strafzahlungen in einer Größenordnung von insgesamt knapp drei Millionen Euro verurteilt. Der Zensur ausgesetzt waren unter anderem 118 Internetseiten, 353 Twitter-Accounts, 399 Nachrichtenartikel oder Kommentare, zwölf Videos, sieben Bücher, fünf Satirezeitschriften und vier Filme.

Diese Willkür im Umgang mit der Presse hat eindeutig System. Die Unterdrückung jedweder oppositionellen Nachrichtenproduktion gehört zum Medienkonzept der Regierungspartei AKP. Die Gegner, die hier mundtot gemacht werden, lassen sich dabei in drei Gruppen einteilen: die rechte Presse – d.?h. großteils diejenige, die der Bewegung des einflussreichen islamischen Predigers Fethullah Gülen nahesteht–, die links-kemalistische und linksliberale Presse und schließlich die linke, kurdische Presse.

Vor allem ein Fall hat großes Aufsehen erregt und ist als endgültige Warnung an alle irgendwie kritischen Journalisten zu verstehen: die Inhaftierung von Can Dündar und Erdem Gül im November 2015, dem Chefredakteur der (mittlerweile) links-liberalen Cumhuriyet und dem Verantwortlicher für die Berichterstattung über die Regierungspraxis derselben Zeitung. Can Dündar gehört zu den bekanntesten Journalisten der Türkei, und die Cumhuriyet lässt sich wohl als traditionsreichste Zeitung des Landes bezeichnen.

Das Blatt hatte im Mai 2015 Bilder und Videos von einem Lastwagenkonvoi des türkischen Geheimdienstes MIT vom Januar veröffentlicht, der Waffen und Munition an die islamistischen Rebellen in Syrien transportierte. Dafür wurden Dündar und Gül dann gleich direkt von Staatspräsident Erdogan und dem MIT verklagt. Sie sitzen derzeit im Hochsicherheitsgefängnis von Silivri. Die in der Anklageschrift erhobenen Vorwürfe der Staatsanwaltschaft lesen sich wie eine Zusammenschau der schwersten Verbrechen: Spionage, Verbreitung von Staatsgeheimnissen, zweckgeleitetes Bündnis mit der Fethullah-Gülen-Terrororganisation, Unterstützung einer bewaffneten Terrororganisation sowie Versuch des gewaltsamen Sturzes der derzeitigen Regierung bzw. Versuch der massiven Einschränkung der Ausübung ihrer Funktion. Konsequenterweise verlangt der Staatsanwalt gleich mehrmals lebenslänglich für beide Journalisten.

Auch die eher konservative Boulevardzeitung Hürriyet, die Anfang 2015 für türkische Verhältnisse noch einigermaßen wohlwollend über die prokurdische, linke HDP berichtete, bekam Repressionen zu spüren. Hier ging der Angriff von der Straße aus: Unter Führung des AKP-Parlamentariers Abdurrahim Boynukalin, der gleichzeitig die Jugendorganisation der Partei leitet, versuchten im September 2015 knapp 150 Anhänger der Regierungspartei die Hürriyet-Zentrale in Istanbul zu stürmen. Ein paar Wochen später wurde dann Ahmet Hakan, Journalist der Zeitung, auf offener Straße von vier Männern zusammengeschlagen, die seinem Auto bis vor sein Haus gefolgt waren. Danach berichtete die Hürriyet wieder kurdenfeindlich.

Was die rechte Presse angeht, konzentrieren sich die Unterdrückungsmaßnahmen mittlerweile auf diejenigen Medien, die dem Prediger Fethullah Gülen nahestehen. Mit der Gefolgschaft des im US-Exil lebenden geistigen Oberhaupts der gleichnamigen Bewegung war die AKP eine Allianz eingegangen, um die Dominanz des Militärs zu brechen und ein neues Regime in der Türkei zu installieren. Nach dem Gezi-Aufstand 2013 allerdings nahmen die Spannungen zwischen den beiden Staatsfraktionen zu, und Gülen-nahe Quellen ließen eine Reihe an Skandalen und Korruptionsfälle hochrangiger AKP-Regierungsmitglieder auffliegen, was zu einem regelrechten Krieg zwischen beiden Gruppen führte. Die Gülen-Fraktion wird seitdem von der AKP als »Parallelstruktur« und seit neuestem sogar in juristischen Anklageschriften unter der Abkürzung FETÖ auch als »Terrororganisation des Fetullah Gülen« bezeichnet.

Um nur die prominentesten Beispiele zu nennen: Mitte Dezember 2014 wurde Ekrem Dumanli, damals Chefredakteur der wohl wichtigsten und prominentesten Zeitung der Gülen-Gemeinde, Zaman, in Untersuchungshaft genommen. Der Vorwurf lautete auf Gründung einer »Parallelstruktur zur Unterwanderung des Staatswesens in der Türkei«. Kurz vor den Neuwahlen am 1. November 2015 wurde dann gleich eine ganze Holding, die Gülen-nahe Koza-Ipek, unter staatliche Aufsicht gestellt. Polizisten stürmten am 27. Oktober mit Kettensägen zum Aufbrechen der Türen die Konzernzentrale, die zur Unternehmensgruppe zählenden Fernsehsender Bugün TV und Kanaltürk sowie die Redaktionen der Zeitungen Bugün und Millet. Daraufhin wurde ein staatlicher Administrator für die gesamte Holding eingesetzt, der sogleich die Redakteure und Mitarbeiter austauschte. Seither berichten beide Blätter und beide TV-Stationen regierungsfreundlich.

Kurz nach den Wahlen wurden dann Cevheri Güven, Verleger der Gülen-nahen Zeitschrift Nokta, und Murat Çapan, Chefredakteur derselben Zeitschrift, unter dem Vorwand des »bewaffneten Aufstands gegen die türkische Republik« inhaftiert. Kurz zuvor hatte Nokta Dokumente veröffentlicht, die angeblich von einer AKP-internen Sitzung stammten und belegen sollten, dass es innerhalb der Regierungspartei knirsche.

Netz regierungstreuer Medien

Neben diesen allzu offensichtlichen und aggressiven Methoden, jeden nicht linientreuen Journalismus mundtot zu machen, wird eine zweite, subtilere Strategie verfolgt: die Schaffung eines Netzes loyaler Medien. Neben Neugründungen oder Neuausrichtungen von Zeitungen wie bei Yeni Safak und der Gülen-nahen Zaman wurden große Medienunternehmen staatlich übernommen und an regierungsnahe Unternehmer übertragen: So geschehen z.?B. mit Sabah und ATV im Jahre 2007, die den Großunternehmern Dinc Bilgin, dann Turgay Ciner gehörten. Der staatliche »Fonds zum Schutz der Spareinlagen« (TMSF) übernahm die beiden Zeitungen unter rechtlichen Vorwänden und verkaufte sie dann günstig an Çalik, eine regierungsnahe Holding. Schon 2003 wurde die gesamte Uzan-Holding, die der AKP feindlich gesinnt war, unter die Aufsicht des TMSF gestellt; darunter befand sich auch die wichtige Star-Mediengruppe. Und als die AKP den alten militärischen und bürokratischen Apparat angriff und die Dogan-Holding auf Oppositionskurs zur AKP ging, wurden ihr im Jahr 2009 steuerrechtliche Strafzahlungen von über drei Milliarden US-Dollar aufgedrückt, so dass der Konzern wichtige Medienunternehmen wie die Zeitungen Milliyet und Vatan sowie den Sender Star TV (wieder) verkaufen musste.

Das Ergebnis dieser eher langfristig angelegten Umstrukturierung und staatsgesteuerten Monopolisierung, die Gleichförmigkeit der Berichterstattung der großen Medien – Fernsehen wie Zeitungen – ist beachtlich. Es kommt mittlerweile oft genug vor, dass die vorderste Front der staatlichen Revolverpresse – Yeni Safak, Star, Aksam, Sabah, ATV, Show TV und andere – die jeweils gleiche Überschrift auf der Titelseite zeigt und sich teils identische Formulierungen in den Kommentarspalten der unterschiedlichen Medien finden lassen.

Trotz allem gibt es keine einheitliche Propagandafront. Das ist seit dem Ende des Gezi-Aufstands 2013 so. Im Grunde alle wichtigen und bekannten Medien, Fernsehkanäle wie Zeitungen, schwiegen sich zu Beginn über die Proteste aus. Der CNN Türk zeigte während der heftigsten Gefechte eine Pinguindoku. Mit Begriffen wie »Havuz medyasi« (Pool-Medien; eine Umschreibung des Vorgangs, dass sich diese Medien über einen Pool aus Geldern finanzieren, der durch Bestechung oder staatliche Zuwendungen zwecks regierungsfreundlicher Berichterstattung zustande kommt) oder »Yandas medyasi« (parteiische Medien) werden seitdem diejenigen benannt, die Teil dieser Propagandafront der AKP sind.

Aber nach dem Gezi-Aufstand kamen verstärkt alternative, in der Regel internetbasierte Medien auf. Linke oder linksliberale Onlinenachrichtenseiten wie Sendika.org, Ötekilerin Postasi (»Die Post der anderen«), Diken oder T24 etablierten sich als Alternativen zum Mainstream. Auch auf der rechten Seite, vornehmlich von der Gülen-Bewegung, und aus dem liberalen Lager wandten sich aus ganz unterschiedlichen Gründen Journalisten von der Regierung ab. Die AKP hatte in weiten Teilen der Bevölkerung ihre Hegemonie verloren, die sich mit gewaltfreien Methoden auch nicht mehr wiederherstellen lassen würde.

Ein wichtiges Element der Strategie der eisernen Faust ist der derzeitige Krieg in Kurdistan, der der AKP die Zustimmung breiter Teile der nationalistischen und faschistischen Rechten verschaffte und zugleich half, erneut ein – wenn auch fragiles – Bündnis mit den Militärs zu schließen. Ein wichtiger Aspekt des derzeitigen Feldzuges ist der Medienkrieg um die Deutungshoheit über das Geschehen. Während der Mainstream der Berichterstattung seine Informationen fast ausschließlich von der de facto staatlichen Agentur Anadolu Ajansi (AA) bezieht, die ausschließlich Regierungspropaganda betreibt, leisten zumeist linke und kurdische Journalisten Arbeit vor Ort und decken staatlichen Terror gegen die kurdische Bevölkerung auf.

Diese Journalisten zählen ohnehin seit langem zu den erklärten Feinden des Staates. Angesichts der Eskalation des Konfliktes im Südosten der Türkei arbeiten die Kolleginnen und Kollegen mittlerweile unter Lebensgefahr.

Folter und sexuelle Erniedrigung

Ein Mitarbeiter der kurdischen Nachrichtenagentur DIHA in Yüksekova (kurdisch: Gever) erzählt uns, dass er sich mittlerweile nicht mehr ins Stadtzentrum traut und nur noch in jenen Vierteln bleibt, die von den kurdischen Zivilverteidigungseinheiten YPS kontrolliert werden. »Polizisten haben mich auf meiner Privatnummer angerufen und mir gesagt: ›Wenn wir dich noch mal auf der Straße sehen, knallen wir dich ab.‹ Hier, hinter den Barrikaden, gibt es wenigstens ein bisschen Sicherheit.«

Ein anderer DIHA-Reporter, Nedim Oruç, war am 5. Januar in der kurdischen Stadt Silopi festgenommen worden. Er wurde in eine Sporthalle verschleppt und dort Augenzeugen zufolge gefoltert. Ein veröffentlichtes Polizeibild zeigt Spuren körperlicher Misshandlungen. Ähnlich erging es auch Murat Bay vom Nachrichtenprotal sendika.org. Am 28. Januar wollte er in Diyarbakir nach Sur-Iskenderpasa, als auch über die südwestlichen Viertel von Sur die Ausgangssperre verhängt wurde. Iskenderpasa war noch frei zugänglich. Bevor er ins Viertel ging, fragte er die Polizeikontrolle am Eingang, ob und wie er rein kann. Diese geben Auskunft: »Kein Problem, bis zur Melik Ahmet Caddesi.« Im Viertel wurde er dann von einer Sondereinsatzeinheit in eine Seitenstraße gezerrt und mit dem Tod bedroht: »Du kriegst jetzt eine Kugel in den Kopf«, sagten sie ihm.

Und wenige Tage nach unserer Abreise trifft es dann eine Kollegin von uns, Duygu Yildiz vom Nachrichtenportal Siyasi Haber, die aus Europa angereist war, um sich ein Bild von der Lage vor Ort zu machen. Am 12. Februar wurde sie in Nusaybin zusammen mit Gael Cloarec, einem freien Journalisten aus Frankreich, abgeführt. Sie wurden auf der Wache festgehalten, angeschrien, beschimpft, als französische Agenten bezeichnet und mit dem Tode bedroht. Im Unterschied zum männlichen Kollegen wird Duygu vollständig entkleidet. Sexuelle Erniedrigung, das haben die Spezialeinheiten auch im Falle getöteter Kämpferinnen und Zivilistinnen in den vergangenen Wochen und Monaten öfter demonstriert, gehört zum Repertoire dieses schmutzigen Krieges.

Faschistische Methoden

Das Vorgehen gegen jedwede zivile Opposition oder auch nur einigermaßen kritische Berichterstattung in den kurdischen Gebieten trägt durchaus faschistische Züge. Der türkische Staat tritt hier als Besatzungsmacht auf und bezeichnet jeden, der sich nicht unterwirft, als »Terroristen« und somit als legitimes Ziel für Verhaftung oder gar Tötung. So entsteht eine Atmosphäre permanenter Unsicherheit, die viele Reporter davon abhält, überhaupt den Weg nach Kurdistan anzutreten. Was bleibt, sind staatliche Medien, die der türkischen Bevölkerung ihre Version des Geschehens über Hunderte Kanäle, Magazine oder Zeitungen aufdrängen.

Dieses Propagandanetzwerk trägt so seinerseits dazu bei, den Krieg überhaupt zu ermöglichen, indem nationalistische und antikurdische Ressentiments verstärkt werden. Das wird durch das Schweigen jener »internationalen Wertegemeinschaft« flankiert, die dem »Partner« in Ankara freie Hand lässt. Sowohl die USA wie auch Europa dulden das Vorgehen Erdogans und Davutoglus, kritische Töne sind selten, Sanktionen stehen nicht in Aussicht. Das spiegelt sich auch in der Berichterstattung westlicher Leitmedien wider. Zwar erscheinen hin und wieder gute Reportagen, dem Thema wird aber bei weitem nicht die Bedeutung beigemessen, die es eigentlich hat. Die Massaker in Cizre Anfang Februar 2016, bei denen Dutzende Zivilisten getötet wurden, schafften es nicht auf die Titelseiten.

Anders als noch zu Zeiten des Kampfes um die syrische Kurdenstadt Kobani wird der türkische Angriff auf Nordkurdistan als Nebensächlichkeit präsentiert. Und anders als im Falle Syriens oder Libyens sucht man Leitartikel, in denen der Regime Change in der Türkei herbeigesehnt wird, vergeblich. Der offenkundige Skandal, dass eine Regierung, die mannigfaltige Beziehungen zur deutschen und US-amerikanischen unterhält, ihre »eigene« Bevölkerung massakriert, Hunderttausende aus ihren Häusern vertreibt und offen von einer anstehenden »Säuberung« spricht, erhält kaum Aufmerksamkeit. Auch das trägt dazu bei, dass Ankara verfahren kann, wie es möchte. Auf diese Situation machten vor kurzem kurdische Studenten in Marburg mit einem Transparent aufmerksam. Auf dem Banner stand: »Euer Schweigen bringt uns um.«

Alp Kayserilioglu und Peter Schaber / Junge Welt vom 18.02.2016

Alp Kayserilioglu und Peter Schaber waren im Januar mit einer Delegation in Kurdistan. Kayserilioglu schrieb bereits am 29.10.2015 zusammen mit Max Zirngast und Güney Isikara auf diesen Seiten über die Zustände in der Türkei. Schaber betreibt zusammen mit anderen den Blog Lower Class Magazine.