Krise und Krieg rütteln an den Grundfesten der EU. Selbst eine Auflösung oder eine Reduktion auf die ökonomisch starken Länder steht zur Disposition.
Die Krise der EU hat viele Facetten. Die Gemeinschaftswährung EURO ist ins Wanken geraten, die Ukraine-Krise hat die Welt an den Rand des dritten Weltkrieges gebracht, von der Griechenlandkrise spricht angesichts der Flüchtlingskrise kaum jemand mehr. Geflissentlich werden in der Flüchtlings-Debatte die Ursachen, die Expansions- und Kriegspolitik der USA und der führenden EU-Mächte, ausgeblendet. Ein Grundmuster in allen derzeitigen Erschütterungen der EU ist immer erkennbar: Von den Vereinten Staaten Europas kann nicht die Rede sein. Zu gross sind die Widersprüche zwischen den einzelnen Nationalstaaten, zu offensichtlich der Versuch der führenden imperialistischen Mächte Deutschland und Frankreich, die Gemeinschaft unter ihre Vorherrschaft zu zwingen. Auch ohne die regelmässig wiederkehrenden Austrittsgelüste gehörte Grossbritannien nie so richtig zur EU. Das alte Kolonialreich orientiert sich längst nicht nur militärisch an den USA.
Seit ihrer Gründung als Europäische Wirtschaftsgemeinschaft EWG in Rom im Jahre 1957 ist die heutige EU der Versuch der europäischen imperialistischen Mächte, ihre ökonomischen, politischen und militärischen Interessen gegen die USA durchzusetzen. Die militärische Komponente war übrigens bereits in den 50er Jahren angedacht und scheiterte schon damals. Der damalige französische Ministerpräsident René Pleven schlug seinerzeit erfolglos vor, eine europäische Armee mit einem europäischen Verteidigungsministerium zu schaffen. So blieb die EWG ein Zusammenschluss auf ökonomischer Ebene.
Zusammenbruch der UdSSR – die Karten werden neu gemischt
Der Zusammenbruch der sozialistischen Länder im Jahre 1989 erschütterte das seit dem zweiten Weltkrieg eingespielte Gleichgewicht zwischen den imperialistischen Mächten. Praktisch über Nacht fehlte der gemeinsame Feind und es galt, die Welt neu aufzuteilen. Zwar war die EWG inzwischen zur Europäischen Gemeinschaft EG mit 12 Mitgliedsstaaten gewachsen und in ökonomischer Hinsicht den USA keineswegs unterlegen. Den europäischen Mächten fehlten aber die politischen und vor allem die militärischen Strukturen, um dem zunehmend kriegerischen Expansionskurs der USA etwas entgegen zu setzen. Die Antwort auf ökonomisch-politischer Ebene war die Gründung der Europäischen Union EU im Jahre 1991, deren Grundlagen im Maastrichter Vertrag festgelegt wurden. Die Wiederaufnahme der Forderung des damaligen Bundeskanzler Kohls nach einer europäischen Armee stiess einmal mehr auf taube Ohren in den Machtzentren von Paris und London.
Die EU-Osterweiterung
Bereits ein paar Jahre später geschah 1999 das bis vor kurzem Undenkbare: Zusammen mit der NATO bombardierten und besetzten deutsche, französische und englische Truppen ein europäisches Land, die Bundesrepublik Jugoslawien und errichteten im Kosovo in kolonialem Stil ein bis heute existierendes Protektorat. Diese EU-Osterweiterung lag in erster Linie im Interesse des deutschen Kapitals, das in diesen Ländern sein „natürliches“ Hinterland sieht und in den letzten Jahren seine Präsenz kontinuierlich ausgebaut hat. Gleichzeitig mit dieser militärischen Osterweiterung wurde 1999 der Euro eingeführt, zuerst als Buchwährung und ab 2002 als Bargeld. Zur EU stiessen im Osten im Jahre 2004 Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen und die Slowakei, drei Jahre später, 2007, folgten Bulgarien und Rumänien.
Der jüngste Versuch der Osterweiterung, die Einverleibung der Ukraine in die EU und NATO, hat die Welt an den Rand eines dritten Weltkrieges gebracht. Massgeblich vorangetrieben wurde die Destabilisierung der Ukraine durch die USA aus geostrategischen Gründen und von Deutschland aus ökonomischen Interessen. Während die Osterweitung das Gefälle zwischen den imperialistischen Mächten Deutschland, Frankreich und Grossbritannien und den übrigen Ländern erhöhte, zementierte die Währungsunion diesen Zustand und erlaubte es Deutschland, Zug um Zug wieder zur stärksten ökonomischen Macht im europäischen Gefüge zu werden.
Vollends zum Durchbruch kam die deutsche Hegemonie innerhalb der EU während der sogenannten Griechenlandkrise, welche sich ganz grob in zwei Phasen unterteilen lässt. In der ersten Phase wurden die Gläubiger, in der Hauptsache deutsche und französische Banken (Deutsche Bank, BNP Paribas, Crédit Agricole, Société Générale) auf Kosten der Steuerzahler entlastet. In einer zweiten Phase wurden diese Gelder dann mit der Peitsche durch die sogenannte Troika, also die europäische Kommission, die Europäische Zentralbank und den Internationalen Währungsfond, eingetrieben.
Der Militarismus in der EU
Mit dem aggressiven Auftreten gegen Russland ist die Debatte um eine europäische Armee dieses Frühjahr durch den Präsidenten der europäischen Kommission, Jean-Claude Juncker, neu aufgerollt worden. Für den sicherheitspolitischen Thinkthank der Bundesregierung «Politik und Wissenschaft» ein saurer Apfel, in den man beissen muss, will man sich endlich von der Abhängigkeit vom US-Imperialismus in militärischen Fragen lösen. Eine Vorstellung, der die deutsche Bundeskanzlerin an einer Veranstaltung in Bern im September dieses Jahres eine klare Absage mit den Worten erteilte: «Ich sehe die vollständige Bildung einer europäischen Armee im Augenblick noch nicht, gerade aus deutscher Perspektive».
Der Vertrag von Lissabon im Jahre 2009 trug zur Militarisierung der EU mit der darin vereinbarten militärische Beistandspflicht und den Aufrüstungsvorgaben bei. Nach den Anschlägen in Paris hat der neue Napoleon, der ansonsten farb- und charakterlose Ministerpräsident François Holland, diesen Bündnisfall nach Art. 42.7 der Lissaboner-Verträge zum ersten Mal ausgerufen. Es bleibt das Geheimnis der imperialistischen Kriegsstrategen, was die Verlegung von Truppen nach Mali und die Entsendung von Tornados nach Syrien mit der Verteidigung von Paris zu tun hat. Doch seit es für die deutsche Sozialdemokratie klar ist, dass Freiheit und Demokratie am Hindukusch verteidigt werden, erübrigen sich solche Fragestellungen hierzulande.
Der EU-Krieg gegen die Flüchtlinge
Wenn auch bis anhin alle Bemühungen zur Schaffung einer europäischen Armee gescheitert sind: In einem Punkt läuft die Zusammenarbeit reibungslos, in der Abwehr der durch die EU-Politik mitverschuldeten Flüchtlingsströme. Im internationalen Wasser- resp. Luftraum zwischen Italien, Griechenland, Tunesien und Libyen werden die militärischen Einheiten, bestehend aus 1800 Soldaten aus 22 EU-Ländern, zur „Aufklärung von Schleusernetzwerken“ eingesetzt. Die Schiffe, Flugzeuge und Hubschrauber können auch „gegen Boote vorgehen, welche von Schleppern genutzt werden“. Mit dieser Aktion Sophia hat die EU militärisch noch einen Zacken zugelegt, in Ergänzung zur von den meisten Menschenrechtsorganisationen als brutal und unmenschlich kritisierten Politik der Frontex, der Europäischen Agentur für Aussengrenzen der EU. Eine grenzpolizeiliche Truppe, deren Befugnisse im Rahmen der Flüchtlingskrise nochmals ausgeweitet wurden. So kann diese Struktur beispielsweise eigenständig Abschiebungen vornehmen. An diesem Repressionsapparat beteiligt sich auch die Schweiz operativ und finanziell.
Die Flüchtlingsbewegung hat einer der Eckpfeiler der EU, den freien Personenverkehr teilweise ausser Kraft gesetzt und grundsätzlich in Frage gestellt. Auf auch auf militärischer Ebene schlagen die vom US-Imperialismus mit europäischer Unterstützung in Afghanistan, dem Irak, Libyen und Syrien angezettelten Kriege auf die Metropolen zurück. Militärisch mit terroristischen Anschlägen der IS und ihrer Helfershelfer in Europa. Bei aller berechtigten und notwendigen Empörung über diese barbarischen Akte sollte aber nicht vergessen werden, dass rechte Militär- und Geheimdienstkreise, eng verbunden mit der NATO-Geheimstruktur Gladio, mit den gleichen Mitteln vor nicht allzu langer Zeit Terror in Europa verbreiteten. 1980 starben 85 Menschen beim Bombenanschlag auf den Bahnhof von Bologna, im gleichen Jahr 13 Menschen beim Anschlag auf das Oktoberfest in München. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass die Kriegsführung der imperialistischen Mächte noch nie Rücksicht auf zivile Opfer genommen hat. Was die Barbarei der IS keineswegs beschönigen, den moralischen Aufschrei gewisser Kreise aber relativeren soll.
Gemeinsame Aussengrenzen, freier Personen- und Kapitalverkehr und eine gemeinsame Währung machen bis anhin die EU aus. Damit lässt sich aber kein Staat machen, wie die Erfahrung zeigt. Die einzige Einheit, die sich derzeit zwischen den EU-Staaten erzielen lässt, besteht in der Forderung nach der Schliessung der Aussengrenzen. Die auf militärischer Ebene geführten FRONTEX-Aktionen sind nur ein Vorgeschmack, in welche Richtung die Aussenpolitik der EU gehen wird.
In der Schweizer Politik scheint es nur zwei Positionen zur EU zu geben. Die Ablehnung mit oft recht stumpfsinnigen Argumenten durch die SVP und die mehr oder weniger offene Befürwortung durch die übrigen Parteien, allen voran die SP und der Freisinn. Naturgemäss findet keine kritische Hinterfragung dieser politisch-ökonomischen Struktur aufgrund ihres Charakters, nämlich des Zusammenschlusses von verschiedenen kapitalistischen Nationen zum Ziele der besseren Durchsetzung der eigenen Interessen statt. In Bezug auf die EU muss die kommunistische Politik alles daran setzen, um den wahren Charakter der EU fassbar zu machen: Ein Instrument der imperialistischen Mächte unter der Führung Deutschlands in ökonomischer und Frankreichs in militärischer Hinsicht zur Wahrung der eigenen nationalen Interessen. Ein Instrument, das wie die NATO oder ganz allgemein der bürgerliche Staat nicht reformiert oder für die Interessenswahrung der von der Lohnarbeit lebenden Klassen umfunktioniert werden kann.
Vorabdruck aus aufbau Nr. 84