INTERVIEW Kämpfende Frauen sind ein wichtiger Bestandteil der Revolution und deren Verteidigung in Rojava. Wir hatten die Möglichkeit mit einer kommunistischen Kämpferin des Internationalen Freiheits-Bataillon zu sprechen, welche den Aufbau eines Frauen-Teams vorantreibt.
Wie bist du nach Rojava gekommen?
Ich war Studentin als ich mich der revolutionären Bewegung anschloss. Alle Bereiche der Gesellschaft in der Türkei haben ein Freiheitsund Gerechtigkeitsproblem. Sich zu diesen Problemen nicht zu verhalten, zu schweigen, hätte geheissen, dieses faschistische System mitzutragen und die Unterdrückung zu akzeptieren. Ich bevorzugte jedoch ein freies und ehrbares Leben – so wurde ich zur Revolutionärin. Zuerst arbeitete ich in der Studentenbewegung, beteiligte mich dann aber auch in anderen politischen Kämpfen. Als die Revolution in Rojava begann, beschloss ich dahin zu gehen, wo ich dann auch an verschiedenen militärischen Operationen teilnahm.
Ihr baut ein Frauen-Team in einem Bataillon auf. Kannst du uns erklären, welche Überlegungen dahinter stehen?
Der Kampf für die Befreiung der Frauen braucht organisierte Willenskraft, das ist wie bei allen Kämpfen. Frauen sollten sich mit ihrer eigenen Willenskraft und ihrem Selbstbewusstsein bewegen und gegen die männliche Dominanz kämpfen, aus denselben Gründen, wegen denen sie sich dem Klassenkampf angeschlossen haben. Um als Frauen eine angemessene Stellung in der Gesellschaft zu erlangen, müssen wir das revolutionäre Bewusstsein der Frauen organisieren. Erst dann wird es möglich sein, die gesellschaftlichen Mechanismen, welche Frauen unterdrücken, abzuschaffen. Wenn wir stärker gegen die männliche Dominanz ankämpfen wollen, sollten wir uns auch als Frauen organisieren.
Wozu braucht es denn ein Frauen-Team in der militärischen Konfrontation?
Genau, das Frauen-Team hat die Absicht die Frauen zu organisieren, welche sich an den militärischen Auseinandersetzungen beteiligen. Dies ist aus mehreren Gründen wichtig: Erstens wird auf der militärischen Ebene die männliche Dominanz oft reproduziert, da das Militärische als eine Angelegenheit der Männer gesehen und verstanden wird. Die Frauen können sich also ihren Platz nur dadurch verschaffen, indem sie sich organisieren und selber aktiv werden. Zweitens: Die Revolution in Rojava ist auch eine Frauen-Revolution. Die Frauen hier haben gezeigt, dass sie etwas können und die Revolution mitgestalten wollen. Dies war nur dank einem organisierten Kampf erfolgreich, welcher wiederum eine neue Front in diesem Prozess eröffnete. Dieser erfolgreiche Prozess war wichtig, um sowohl die Männer auf unserer Seite von unserer Kraft zu überzeugen, als auch den Kämpfern des Islamischen Staates zu zeigen, dass die Frauen die stärksten Subjekte der Revolution sind.
Ist es in den militärischen Kämpfen ein Vorteil, eine Frau zu sein?
Im Gegenteil. Eine Frau zu sein bringt sehr viele Nachteile mit sich, weil die Instrumente der Gewalt für lange Zeit nur in den Händen der Männer lagen. Die Gewalt wurde genutzt, um Frauen zu unterdrücken, zu diskriminieren und auszubeuten. Wie die Bourgeoisie die Armee dazu benutzt, die Ausbeutung des Proletariats aufrechtzuerhalten, so benutzten Männer ihre Mittel, um ihre Dominanz gegenüber Frauen zu sichern. Wenn wir mit den Männern zusammen kämpfen, kann das einen Bewusstseinsprozess bei ihnen auslösen. Deshalb kämpfen wir als Frauen, nehmen mehr Anteil und versuchen mehr Frauen teilnehmen zu lassen, um so das Bewusstsein unserer Genossen zu beeinflussen.
Ihr kämpft militärisch für die Revolution und arbeitet zugleich als unermüdliche Frauenkämpferinnen. Wie ergänzen sich diese Felder im Kampf?
Wenn Frauen gegen den Kapitalismus kämpfen, kämpfen sie auch immer gegen die Dominanz der Männer. Kein Kampf kann den anderen ersetzen. Sowie sich Arbeiterinnen mit Arbeitern gegen die Bourgeoisie verbünden, müssen sich die Arbeiterinnen gegen die männerdominierte Politik und Praktiken vereinen. Diese zwei Formen der Organisierung gehen miteinander einher, sind untrennbar und beziehen sich aufeinander. Der Kampf gegen Diskriminierung aufgrund des Geschlechts darf nicht nur als Teilaspekt des Klassenkampfes verstanden werden. Aus einer solchen Sicht wird die Männerdominanz reproduziert. Frauen dürfen ihren eigenen Befreiungskampf nicht aufgeben.
Das ist wahrscheinlich nicht immer einfach. Wie geht ihr mit den Unterschieden und Widersprüchen um?
Wir versuchen, den Frauenkampf in den Alltag zu integrieren. In der Klarheit, welcher der Krieg schafft, ist auch dieser Kampf viel offensichtlicher und klarer. Wenn du das Wissen und ein hohes Bewusstsein hast, ist es einfacher, das männerdominierte Verhalten zu bekämpfen. Zudem nutzen wir unsere Rechte, welche formell von der Partei abgesichert sind. Wir kritisieren falsches Verhalten an kurzen Sitzungen, welche wir täglich im Rahmen unserer militärischen Organisierung abhalten.
Kannst du uns etwas mehr über die Strukturen erzählen, in denen ihr geschlechtsspezifische Themen diskutieren könnt?
Wir nutzen dazu die täglichen kurzen Sitzungen. Sie dienen dazu, den Tag zu evaluieren und mögliche Kritik aufzunehmen. Diese Sitzungen finden in jedem Team separat statt und in regelmässigen Zeitabständen finden Gesamtsitzungen statt, in welchen wir uns mit den anderen Teams austauschen. Dadurch können wir auch Frauenfragen diskutieren und herausfinden, wie wir Veränderungen organisieren. Wir diskutieren alle Formen patriarchalen Verhaltens und überlegen politischideologisch sowie lösungsorientiert.
Wie sieht das tägliche Leben in der Guerilla aus?
Was sind die grössten Schwierigkeiten? Disziplin ist hier das allerwichtigste. Der ganze Tag ist bis auf die Minute genau geplant. Vor Sonnenaufgang stehen wir auf, räumen das Schlafzimmer auf und bereiten uns auf die gemeinsame Sitzung vor. Da bestimmen wir einen Verantwortlichen für den Tagesablauf und bestimmen den Koch. Dieser bereitet das Essen für alle vor, auch wenn wir versuchen, dies kollektiv zu machen. Danach plant der Kommandant zusammen mit den Team-Kommandanten den Tagesablauf. Die Arbeiten, die verrichtet werden müssen,reichen von Holz sammeln, Brotbacken bis hin zur Aushebung neuer Schützengräben und logistischer Arbeit. Jedes Team übernimmt bestimmte Aufgaben am Tag und erledigt diese mit den Genossen und Genossinnen seines Teams. Wenn Schulungen stattfinden, egal ob politisch-ideologische oder militärische, wird der Zeitplan danach ausgerichtet. Falls es Angriffe oder Operationen an der Front gibt, sind alle anderen Aktivitäten mit diesen abgestimmt.
Ganz egal unter welchen Bedingungen, wir befinden uns ständig in Bewegung. Sicherheit ist, egal ob tagsüber oder nachts, sehr wichtig. 24 Stunden ist ein Genosse oder eine Genossin als Wache aufgestellt und für die Sicherheit des Camps und der Genossen verantwortlich.
Die Schwierigkeiten im Umgang mit der Situation hier unterscheiden sich von Person zu Person. Man kann Schwierigkeiten mit den Bedingungen oder dem Training haben. Am Ende ist alles eine Frage der Gewohnheit. Da wir alles selber organisieren und produzieren, lernst du jede Minute etwas Neues. In diesen Lernprozessen kann es natürlich Schwierigkeiten geben. Normalerweise gewöhnt man sich aber daran und lernt schnell.
Ihr arbeitet jetzt an einem Frauen-Team im Internationalen Freiheits-Bataillon. Gibt es Bestrebungen, langfristig ein Frauen-Bataillon aufzubauen?
Kurzfristig nicht. Als Perspektive hingegen gewiss. Dies würde bedeuten, dass der Krieg nicht eine Angelegenheit der Männer bleibt. Dies wäre eine Entwicklung vorwärts und würde mehr Frauen in dem Kampf miteinbeziehen – ohne Grenzen und Schranken – die die Notwendigkeit zu kämpfen sehen und die Revolution vorantreiben.
(aus aufbau 84)