PSYCHIATRIE-PRIVATISIERUNG Der Kanton Bern wandelt seine drei psychiatrischen Kliniken per 2017 in Aktiengesellschaften um. Damit will er sich für anstehende Herausforderungen wie das FallpauschalenTarifsystem Tarpsy, das ab 2018 gelten soll, rüsten – auf Kosten von PatientInnen und Personal.
(fk) Der Grosse Rat des Kantons Bern beschloss 2013, seine psychiatrischen Kliniken – die Universitären Psychiatrischen Dienste Bern (UPD), das Psychiatriezentrum Münsingen (PZM) und die Psychiatrische Dienste Biel-Seeland-Berner Jura (PDBBJ) – müssten effizienter arbeiten. Ab 2017 sollen die drei Kliniken als private Aktiengesellschaften geführt werden, ohne kantonale Finanzunterstützung. Noch 2014 investierte Bern rund 255 Millionen Franken in die psychiatrische Versorgung. Zwar wird der Kanton nach der Privatisierung Alleinaktionär sein, jedoch ohne Mitspracherecht auf operativer Ebene. Die «Fit-for-Future»-Projekte sind nun in vollem Gang. Deshalb seien auch «einschneidende Massnahmen zur Sicherstellung nachhaltig ausgeglichener Rechnungen notwendig», wie es die Gesundheitsund Fürsorgedirektion nennt.
Konkret soll die «Ergebnisverbesserung» von insgesamt 34,5 Millionen Franken zu 60 Prozent durch Ertragssteigerung und zu 40 Prozent durch Kostensenkung erzielt werden. Laut Gesundheitsund Fürsorgedirektor Philippe Perrenoud (SP) sind Tariferhöhungen sowie Mehreinnahmen durch die Erhöhung der Aufnahmekapazität erreichbar – die Kostensenkungen durch «Optimierungen, Reorganisation und Stellenaufhebungen». In der UPD betrifft dies vor allem den Bereich Facility Management: Insgesamt werden dort 57 Stellen gestrichen, 39 davon durch «natürliche Fluktuation» bis Ende 2016. Im PZM betrifft der Stellenabbau 41 Personen.
Unmut bei den Psychiatrie-Angestellten
Besonders schwierig ist die Situation für die Angestellten der Klinik Bellelay, das Mutterhaus der PDBBJ. Während UPD und PZM je 12 Prozent einsparen müssen, sind es bei PDBBJ gar 22 Prozent. Mitte Oktober letzten Jahres wurden dort die ersten 16 Kündigungen ausgesprochen, bis 2017 sollen insgesamt 60 Vollzeitstellen gestrichen werden – ein Fünftel des Personalbestands. Während Perrenoud bei UPD und PZM «mit gutem Gewissen» davon ausgeht, dass sie den Weg in die Privatisierung meistern, anerkennt er die Sparmassnahmen für die PDBBJ als Herkulesaufgabe und bietet mit einer «sozialverträglichen Lösung» Hand. Konkret könne dies darauf hinauslaufen, dass der Betrieb auch nach der Privatisierung im Rahmen kurzzeitig defizitär sein dürfe – selbstverständlich im Rahmen eines verbindlichen und realistischen Plans.
Die Verunsicherung bei den Angestellten der drei Kliniken ist gross, es regt sich (leiser) Widerstand. In Bellelay haben die Angestellten als Zeichen des Protests für jede der 16 ausgesprochenen Kündigungen ein schwarzes Stoffband auf dem Areal angebracht. Die Gewerkschaften VPOD, sbk, vsao und bspv lancierten zudem gemeinsam eine Petition, in der sie eine qualitativ hochstehende Psychiatrie für Alle, faire Anstellungsbedingungen, ausreichende Finanzierung und Sozialpläne fordern. Rund 200 Personen waren dabei, als die Petition am 16. November 2015 auf dem Berner Rathausplatz dem Grossen Rat übergeben wurde.
Fit für den wirtschaftlichen Wettbewerb
Ob die Psychiatrie-Angestellten damit Gehör finden, sei dahin gestellt. Denn die Privatisierung der Kliniken ist nur ein weiterer Schritt in der Verwirtschaftlichung der Psychiatrie – der nächste wird bereits 2018 folgen. Dann soll Tarpsy, ein einheitliches Fallpauschalen-System für die stationäre Psychiatrie, schweizweit eingeführt werden. Dies soll mehr Transparenz und Vergleichbarkeit der erbrachten Leistungen schaffen und die Basis für Betriebsvergleiche und fairen Wettbewerb schaffen, beschloss das Bundesparlament 2007. Eine Pflegefachfrau, die in der UPD arbeitet, findet die Entwicklungen höchst bedenklich: «Mit der Privatisierung und der Einführung von Tarpsy wird der Druck für alle immer grösser. Es geht nicht mehr um das Individuum, sondern um eine Normierung. Um in unserer leistungsorientierten Gesellschaft funktionsfähig zu sein, muss mensch in möglichst kurzer Zeit fit gemacht werden. Ich befürchte, dass die Behandlung zukünftig noch stärker medikamentenbasiert ist.»
Auch eine Psychologin, die in einer grossen Psychiatrie im Kanton Luzern arbeitet, findet Tarpsy «für den Arsch». Für die PatientInnen bedeutete es, dass nicht mehr der Mensch, sondern die Krankheit im Vordergrund stehe und der sozialpsychiatrische Aspekt ausgeblendet werde. Für die Teams bringe dies zudem einen viel grösseren Verwaltungsaufwand, schnellere Wechsel und damit weniger Beziehung mit sich. Aktuell würden die Evaluationssysteme bereits auf eine «Heilung» der Diagnose umgestellt und der Fokus tendenziell verändert, damit sich die Psychiatrie-Angestellten daran gewöhnen. Der wirtschaftliche Wettbewerb, der nach der Spitalpflege auch in der Psychiatrie Einzug hält, bedeutet demnach eine wesentliche Verschlechterung der Arbeitsbedingungen der Angestellten sowie der Situation der PatientInnen.
(aus aufbau 84)