Beispiel Frankreich – Zu Lust und Risiken des Kapitalverkehrs

Von den Franzosen kann immer noch gelernt werden. Sie mobilisieren gegen die neoliberalen Arbeitsgesetze, die vom »sozialistischen« Präsidenten François Hollande und seinem Ministerpräsidenten Manuel Valls durchs Parlament gejagt werden sollen. Das Ganze ähnelt nicht zufällig den Arbeits- und Arbeitslosengesetzen der Regierung des »Sozialdemokraten« Schröder aus dem Jahr 2003, die damals den angeblich verkrusteten Arbeitsmarkt flexibilisieren sollten und – das muss zu unserem Leidwesen gesagt werden – es auch taten. Die Lohnkosten wurden gedrückt, die heimischen Konzerne nutzten den Wettbewerbsvorteil und gewannen in aller Welt Marktanteile hinzu. Das wollen die französischen Kapitalisten auch. Valls liebt die Unternehmen, sagt er. Die Gesetzentwürfe sehen einen Abbau der Überstundenzuschläge, die Aufweichung der gesetzlich verankerten 35-Stunden-Woche, einfachere Kündigungsprozeduren und den Abbau von Strafen bei unrechtmäßigen Kündigungen vor. Am Donnerstag protestierten eine halbe Million Franzosen. Wenn das Gesetzeswerk am 5. April ins Parlament kommt, werden sie wieder auf die Straße gehen.

Bemerkenswert ist, dass sich die Gewerkschafter, Arbeiter, Schüler und Studenten weder von der wirtschaftlich schwierigen Lage, die den Konkurrenzdruck unter ihnen erhöht, noch von der massiven Bedrohungskampagne im Gefolge der Anschläge von Paris ins Bockshorn haben jagen lassen. Nachdem der Präsident mit der Einführung des Notstandsrechts und der Geste, verschärften Notstandsgesetzen auch noch Verfassungsrang zu geben, Beliebtheitspunkte im Wählervolk gesammelt hatte, ist er mit der Verfassungsänderung am rechts dominierten Senat gescheitert. Der Trick, sich als Retter des Vaterlandes darzustellen und damit die unsozialen Gesetze durchzuboxen, ging schief. Auch von den Erfolgen der ganz Rechten unter Marine Le Pen bei den vergangenen Wahlen haben sich die Linken nicht einschüchtern lassen.

Daraus lässt sich eine Lehre für die Verhältnisse in Deutschland ziehen. Das angeblich riesengroße Problem der Flüchtlinge verdeckt und dämpft die Auseinandersetzungen um befristete Arbeitsverträge, Leiharbeit und Werkverträge sowie die immer schwieriger werdenden Wohnverhältnisse der schlecht Verdienenden in den Städten. Große Teile der Linken beschäftigen sich vorwiegend mit der Frage, wie sie Pegida und AfD eindämmen können, und sind sogar bereit, dabei gemeinsame Sache mit den selbsternannten Demokraten von Union, SPD und Grünen zu machen. Gegen deren Kriege, deren Politik des sozialen Nichtstuns und deren Anbetung der schwarzen Null im Staatshaushalt muss sich der Zorn richten. Wenn eine Million Menschen aus vom Krieg verheerten Ländern ins Land kommen, bewirkt der von den Regierenden verehrte Markt fallende Löhne und steigende Mieten. Es wäre für die Regierung ein leichtes, dagegen mehr sozialen Wohnungsbau und mehr Stellen im öffentlichen Dienst zu setzen. Man muss es aber auch fordern – auf dem Papier und auf der Straße.

Lukas Zeise / Junge Welt vom 2. April 2016