Brexit: Die Linke im Dilemma

Brexit: Die Linke im Dilemma

Am 23.06.16 stimmt das Stimmvolk von Grossbritannien über den Verbleib in der EU ab. Nachfolgend versuchen wir darzulegen, warum sich die britische Linke schwer tut mit einer Positionierung in dieser Frage.

(Agkkz) Die Auswirkungen der Mitgliedschaft Grossbritanniens in der Europäischen Union (EU) auf die arbeitende Klasse sind zweierlei: Einerseits ist die EU ein mächtiges Instrument der herrschenden Klasse um ihre Interessen gegenüber den ArbeiterInnen durchzusetzen – dies ist dann auch das Wesen der EU. Die Aggressivität, mit welcher sie diese Interessen ohne die geringste Rücksicht auf die Auswirkungen auf die arbeitende Klasse zu vertreten bereit ist, wurde an ihrem Gehabe gegenüber Griechenland sichtbar. Andererseits gewährt die EU den mehr als drei Millionen migrantischen ArbeiterInnen, welche EU-Bürger sind, eine weitgehende rechtliche Gleichstellung, welche auch einen Schutz gegen eine rassistische und diskriminierende Praxis durch den Staat beinhaltet, sprich Schutz gegen Abschiebung und Zugang zum nationalen Sozial- und Gesundheitssystem; dies, aber ist nicht Ausdruck einer allfälligen antirassistischen oder internationalistischen Grundhaltung der Union, sondern entspringt deren Interesse, möglichst freien Zugriff auf günstige Arbeitskräfte zu haben.

Rassistische Kampagne

Die Kampagne für den Austritt Grossbritanniens aus der EU (Brexit), freilich, ist gegen die migrantischen ArbeiterInnen und ihrer rechtlichen Gleichstellung, und nicht etwa gegen den kapitalistischen Charakter der EU gerichtet. Dominiert wird die Brexit-Kampagne von rechtsnationalistischen Partei wie die United Kingdom Independence Party, und durch Vertreter der national ausgerichteten Kapitalfraktion innerhalb der Conservative Party. Dazu gesellen sich offen faschistische Parteien wie Britain First oder die English Defense League. Die Stimmungsmache trägt offen rassistische Züge: Die Migration wird als Grund allen Übels heraufbeschworen, und die Priviligierung der Inländer, also des „heimischen“ Proletariats gegenüber dem migrantischen ProletarierInnen, gefordert.

Dilemma der Linken

Die Linke befindet sich in einem Dilemma. Der kapitalistische Charakter der EU ist offensichtlich: Die EU, als Instrument des Kapitals, dient dazu, Märkte zu öffnen, Liberalisierungen durchzusetzen und damit die Arbeiterinnenklasse zu schwächen. Als solches ist sie natürlich zu bekämpfen. Ein Austritt der EU zum jetzigen Zeitpunkt würde aber, so eine weitverbreitete Meinung innerhalb der radikalen Linken, der ArbeiterInnenklasse schaden: Wesentlich ist, dass Grossbritanniens konservative Regierung den Brexit für eine Machtverschiebung von der international ausgerichteten Kapitalfraktion, darunter die Banken und die exportorientierte Industrie, hin zur national ausgerichteten Kapitalfraktion, wie die für den heimischen Markt produzierende Industrie, nutzen würde. Zeitgleich würde ein Brexit drastische Auswirkungen auf migrantische ArbeiterInnen haben: die Klasse würde gespalten in inländische und ausländische. Die rechtliche Gleichstellung und damit auch ein gewisser Schutz vor rassistischer Willkür würde aufgehoben werden. Bereits jetzt hat die konservative Regierung den Wunsch geäussert (und teilweise sogar durchgesetzt), MigrantInnen vom staatlichen Sozialsystem auszuschliessen. MigrantInnen wären so alleine billige Arbeitskräfte, welche – sollten sie einmal den KapitalistInnen nicht mehr nützlich sein – auch wieder problemlos abgeschoben werden könnten. Ein Austritt aus der EU, würde er zum jetzigen Zeitpunkt stattfinden, wäre also ein Austritt nach rechts, nicht nach links.

Pest oder Cholera

In der Widersprüchlichkeit zwischen Feindschaft gegenüber der EU als kapitalistisches Instrument und dem momentan reaktionären Charakter der Forderung, die EU zu verlassen, eine progressive Position zu erarbeiten, ist für die Linke in Grossbritannien schwierig. Vor allem von revisionistischen Parteien wird die Ansicht vertreten, für einen Austritt der EU zu stimmen, so von der Communist Party of Britain. Andererseits werben insbesondere nordirische und schottische linksnationalistische Gruppen, wie die Sinn Feín, für einen Verbleib in der EU.

Aus der Einsicht, dass eine progressive Position nicht möglich ist, stellt sich die revolutionäre Linke hingegen mehrheitlich auf den Standpunkt, die kommende Abstimmung zu boykottieren oder zu ignorieren, wobei aber auch in der revolutionären Linken Abweichungen in beiden Richtungen vorhanden sind. Vor die Frage gestellt nach Beherrschung durch nationale oder internationale Bourgeoisie, ist die Antwort nicht „Leave“ oder „Remain“, sondern: Revolution.

So schreibt etwa die Cardiff Marxist Group:

„Ein Verlassen der EU ist vollkommen berechtigt, gäbe es eine genuin militante, wirkliche ArbeiterInnenbewegung (…). Die EU ist eine reaktionäre kapitalistische Institution, aber ausserhalb der EU sind wir immer noch innerhalb einer reaktionären kapitalistischen Institution, dem Vereinigten Königreich. (…) Als Kommunisten sollten wir uns dem nationalistischen Charakter des Referendums entgegenstellen mit der Idee, auf eine Organisation und Koordination einer Europa-weiten militanten ArbeiterInnenbewegung hinzuarbeiten. (…) Dies ist die reale proletarische Alternative zu solch einem niederträchtigen und korrupten Referendum.“

Denn eins ist sicher: Würde die Möglichkeit bestehen, dass die ArbeiterInnenklasse sich ein Bewusstsein der EU als kapitalistisches Instrument erarbeitet hätte und in diesem Bewusstsein für einen Austritt kämpfen würde, wie es in Griechenland der Fall war, so würde die britische Regierung diese Frage bestimmt nicht zur Abstimmung unterbreiten.