Brexit – Sieg für Berlin

Wahlen können historische Bedeutung haben. Das Votum für einen EU-Austritt von 52 Prozent der Teilnehmer am britischen Referendum zählt dazu. Die Krise des Staatenkonstrukts, die Kluft zwischen Regierenden und Regierten liegt so offen zutage wie selten zuvor. Die EU wurde seit 1990 zum wichtigsten Instrument im Kampf von internationaler Finanzoligarchie und Industriekapital zur Aushebelung der parlamentarischen Demokratie. Eine Legitimation in der Bevölkerung hat sie spätestens seit dem Nein bei den Referenden Frankreichs und der Niederlande 2005 zum sogenannten Verfassungsvertrag und der damals gezeigten souveränen Verachtung für den Wählerwillen nicht mehr.

Die Diktatur der Finanzoligarchen bleibt von einem Ergebnis wie dem vom Donnerstag fast unberührt. Der größte Investmentfonds der Welt, Blackrock, ließ am Freitag erklären, der EU-Austritt »ändert nichts am Umgang mit Investitionen und Kunden in Europa«. Das Votum werde zwar für »eine lange Periode der Unsicherheit in Politik, Wirtschaft und an den Märkten« sorgen, andererseits eröffneten sich neue »Möglichkeiten«. Das ist zwar Spekulantensprech, die realen Wirtschaftsströme zwischen Großbritannien und den übrigen EU-Staaten dürften allerdings tatsächlich kaum berührt werden. Von Grenzen lässt sich das Großkapital wenig beeindrucken, siehe Norwegen und Schweiz.

Unmittelbar betroffen von dem Ausscheiden ist der »polnische Klempner«, den schon der Front National in Frankreich als Symbol für Lohndrückerei und die Verdrängung einheimischer Arbeiter für seine soziale Demagogie nutzte. Das britische Referendum wurde, wie der Morning Star formulierte, »von Rechten einberufen«. Dementsprechend rassistisch war deren Kampagne. Es gab dennoch sehr gute Gründe dafür, dass Sozialisten und Kommunisten für den EU-Austritt stimmten. Ein wichtiges Hindernis für mehr Demokratie unter kapitalistischen Verhältnissen wurde aus dem Weg geräumt.

Strategisch gesehen ist das Referendumsergebnis ein Sieg für Berlin, zumindest ein weiterer Schritt hin zur Stärkung des deutschen Imperialismus in der EU und darüber hinaus. Mit Großbritannien verlässt eine Nuklearmacht die EU, gleichzeitig kündigt Angela Merkel an, die deutschen Rüstungsausgaben nicht nur auf die von der NATO geforderten zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu erhöhen, sondern an die 3,4 Prozent der USA anzunähern. Das geschieht zu einem Zeitpunkt, da die Hamburger Zeit ankündigt, auf dem Warschauer NATO-Gipfel am 8. und 9. Juli werde das Thema Atomwaffen »nach oben rücken«. Die »Abschreckung«, also die westliche Angriffsstrategie, wird wieder offiziell Doktrin. Auch in Großbritannien, einer – wie Afghanistan, Irak, Libyen, Syrien zeigen – der aggressivsten imperialistischen Mächte der Gegenwart. Den Willen des Kriegspaktes zur Weltherrschaft hat das Referendum nicht geändert, nach gegenwärtigem Stand der Dinge könnte es ihn sogar befördert haben. Die Deutschen rüsten jedenfalls ökonomisch und militärisch verstärkt auf.

Arnold Schölzel / Junge Welt vom 25. Juni 2016