Es ist das Neujahr in Köln im Kleinen. Das Aushängeschild der UNIA, Roman Burger, hat sich der sexuellen Belästigung schuldig gemacht und die verlogensten Blätter der Schweiz schwingen sich zu Beschützern der „Frau am Arbeitsplatz“ auf. Wir wagen zu behaupten, dass sie auf Burger schiessen, aber die ArbeiterInnenbewegung meinen.
Die WoZ hat ausführlich nachgewiesen, dass die UNIA im Fall Burger so ziemlich alles falsch gemacht hat, was sich falsch machen lässt. Vom Verschleppen der Vorwürfe, über das Nicht-Abschirmen der betroffenen Frauen bis hin zur väterlichen Protektion des Täters durch den Chef.
Das ist alles sehr problematisch, kritikwürdig, masslos dumm und der übliche patriarchale Umgang mit dem Vorwurf der sexuellen Belästigung – auch bei der UNIA! Erstaunlich ist es aber nicht. So ist seit Jahren allen – auch der WoZ – bekannt, welches hetzerische Arbeitsklima bei der UNIA herrscht und mit welchen selbstherrlichen Mitteln die Gewerkschaftsführung sich gegen ihre Angestellte und unliebsame BasisaktivistInnen durchsetzt. Wieso interessieren derartige SMS also alle so brennend und wieso gerade jetzt?
Burger war eine öffentliche Persönlichkeit, weil er für die UNIA am Fernsehen und in anderen Medien auftrat. Insofern stand er symbolhaft für eine kämpferische Tradition, beispielsweise der Bauarbeiter, die erfolgreich für einen soliden LMV und die Rente mit 60 einstehen. Die Sonntags-Zeitungen haben am Tag nach der riesigen AHV-Plus-Demonstration, an der beachtliche 20’000 Personen teilgenommen haben, kein Wort über letztere verloren, aber für Burger hatten alle Platz zur Verfügung. Das sagt eigentlich schon alles. Was die Mitglieder machen, braucht nicht zu interessieren. Dass ein Funktionär im April übergriffige SMS versendet hat, scheint vier Monate später, zwei Wochen vor dem Abstimmungstermin, sehr viel wichtiger zu sein. Und schon ist jeder politische Inhalt vom Tisch!
Wir kritisieren den Gewerkschaftsapparat und seine Funktion als Co-Manager des Kapitals gerne und immer wieder. Es scheint auch, dass die UNIA dermassen in die sozialpartnerschaftliche Logik verwickelt ist, dass sie nicht realisierte, dass die andere Seite der Feind ist. Dass dieser jedes Fehlverhalten genüsslich ausschlachten und nutzen wird. Die UNIA hat durch ihren stümperhaften Umgang für diese Schlammschlacht Hand geboten. Es ist auch nicht verblüffend, das selbstherrliche Machtmenschen wie Burger im Gewerkschaftsapparat erfolgreich sind. Der revolutionäre Aufbau weint ihm keine Träne nach. Doch können wir nicht in den Chor jener einstimmen, die immer dann das Thema „sexuelle Belästigung“ entdecken, wenn damit reaktionär mobilisiert werden kann. In Köln gegen „die Araber“, in Zürich gegen die ArbeiterInnenbewegung.
Über Burger lässt sich nun ein orchestriertes Gewerkschafts-Bashing betreiben. Was die ArbeiterInnenbewegung braucht, ist Kritik von links mit dem Ziel der Stärkung der Kampfkraft. Diese Kritik hätte früher beginnen müssen bei den unzähligen konkreten Fällen, die in der Gewerkschaftsbewegung bekannt sind, sie hätte praktisch organisiert werden müssen und sie hätte eine konsequente und radikale Orientierung bieten müssen.
So bleibt aus revolutionärer Perspektive festzuhalten, dass Burger – neben einem despotischen und makrigen Führungsstil – auch für eine widersprüchliche Erneuerung der Gewerkschaftsbewegung steht. Widersprüchlich, weil die Politik, für die er einstand sowohl progressive als auch konservierende Momente beinhaltet. Mit Organizing-Konzepten etabliert sich ein Wandel von der Gewerkschaft als reine Rechtsversicherungsorganisation hin zu einer konfliktorientierten Organisation mit realer Verankerung in Betrieb und Gemeinschaft. Wer sich an den SMUV erinnert, weiss um den Wert dieser kämpferischen Neuorientierung. Aber gleichzeitig steht diese gewerkschaftliche Erneuerung natürlich nicht nur im Dienst der ArbeiterInnen. Sie stützt auch die UNIA ganz allgemein als integrative sozialpartnerschaftliche Kraft in der ArbeiterInneklasse, was sich auch in einer aktiven Politik gegen revolutionäre Kräfte äusserte. Und im speziellen hilft diese Erneuerung auch einer bestimmen Fraktion innerhalb des Gewerkschaftsapparates (hier der Achse Nico Lutz – Roman Burger) in ihrem persönlichen Machtkampf innerhalb des Apparats. Diese linke Debatte wäre nötig gewesen und ist heute nötig. Verlogene Sonntagspredigten der bürgerlichen Medien hingegen braucht niemand – ausser jenen, die nicht über eine mögliche Verbesserung der AHV sprechen wollen und stattdessen bevorzugen, den Rentenabbau zu forcieren – beispielsweise. (az)