USR III: Die Sonntagspredigt des Ueli Maurer

Von aufbau 88 (erhältlich ab März 2017)

Die Schlacht ist geschlagen. Sie ist ein Lehrstück für die Turbulenzen, welche die unumkehrbare allgemeine Krise des Kapitals bei den Herrschenden auslöst.

Nach dem Blick-Interview von Evelyne Widmer Schlumpf am 22.01.2017 ist in den Chefetagen der Schweiz AG die Panik ausgebrochen. «Alle Mann auf Deck» wurde für das angeschlagene /untergehende Schiff Unternehmenssteuerreform III (USR III) ausgerufen, das mit Steuergeschenken an die Multis und ihren Briefkastenfirmen in der Schweiz überladen worden war. Der seinerzeitige reaktionäre Chefhetzer der SVP und heutige Finanzdirektor Ueli Maurer wandelte sich zum Sonntagsprediger, der seine Schäflein unmittelbar vor der Tagesschau Hauptausgabe vor der Sünde eines Neins zur USR III warnen musste. Nachdem der Pulverdampf der Schlacht verzogen ist, lohnt es sich auch für uns, die wir der Beschäftigungstherapie an Abstimmungssonntagen fernbleiben, eine genauere Analyse, worüber es da gegangen ist und weiterhin gehen wird.

Weltmeister im Einheimsen ausländischer Mehrwerte

Die Schweizer Bourgeoisie hat es in den letzten 150 Jahren meisterhaft verstanden, anderswo produzierten Mehrwert für sich abzuschöpfen und an der gewaltsamen Ausplünderung der Kolonial- und Postkolonialmächte zu partizipieren, scheinbar ohne sich die Hände schmutzig zu machen. Die wichtigsten Instrumente dafür waren zu heiligen Kühen geworden: die Neutralität, der «Schutz der Privatsphäre», sprich des Privatbesitzes, das Bankgeheimnis und die Steueroase. Das hat die Konkurrenten auch immer wieder gestört – am Ausgang des zweiten Weltkrieges war die Schweizer Regierung wegen ihrer Protektion nationalsozialistischer Interessen von den westlichen Siegermächten vorübergehend geächtet worden. Im Kalten Krieg liess man die die Schweiz wegen ihres stramm westlichen Kurses gewähren, und der Lange Aufschwung reduzierte die Konkurrenz zwischen den internationalen Kapitalfraktionen. Letzteres änderte sich, seit die chronische und sich verschärfende Kapitalüberproduktionskrise zur verschärften Konkurrenz zwang. Mit dem Untergang der wichtigsten ehemals sozialistischen Länder entfiel die disziplinierende Wirkung des gemeinsamen Feindes und erweiterte den Raum des Kampfes der verschiedenen Kapitalistenverbände gegeneinander. Davon blieb auch die Schweiz nicht verschont. In den 1990er Jahren wurde das Verhalten der Schweizer Regierung und der Banken im Zweiten Weltkrieg zur Waffe im Konkurrenzkampf der Finanzplätze. Seit den 2000er Jahren wurde das Bankgeheimnis zum Angriffsziel und führte dazu, dass innert weniger Jahre ein heiliges Nationalsymbol zur Altlast mutierte. Und in den 2010er Jahren verschärfte sich der Kampf um die Standorte, bei dem die Schweizer Behörden unter anderem schamlose Steuerprivilegien zum Einsatz gebracht hatten und bringen.

Vom Präventivkrieg

Anfänglich entschloss sich die Regierung zu einer Art Präventivkrieg. Mit der Unternehmenssteuerreform I, verabschiedet 1997, wurden Sondertarife für Holdinggesellschaften und ähnliche Konstrukte eingeführt, mit denen die Multis Profite ins Trockene bringen. Die Unternehmenssteuerreform II von 2007 war ein bunter Strauss von Steuergeschenken an Holdinggesellschaften, andere Unternehmen und private KapitalistInnen. In der Botschaft zur entsprechenden Volksabstimmung wurden die Mindereinnahmen für den Fiskus mit 80-90 Millionen Franken pro Jahr angegeben – eine gezielte Irreführung der StimmbürgerInnen, wie später das Bundesgericht in seinem Urteil vom 11. Dezember 2011 unmissverständlich festhielt. Die Kosten sind ungefähr zehn Mal so hoch. Die Annahme dieser Vorlage wird aber dadurch nicht tangiert – legal, illegal, scheissegal funktioniert auch für den bürgerlichen Staat.

… zum geordneten Rückzug

Die Unternehmenssteuerreform III hatte nun nichts mehr mit Präventiv-, sondern nur noch mit Rückzugsgefecht zu tun. Zunächst setzte die EU die Schweizer Regierung unter Druck, kantonale Steuerprivilegien für Holding-Gesellschaften und andere international mobile Kapitalverbände mit Auslandsbezug abzuschaffen. Sie verlangte für die ca. 24000 betroffenen Gesellschaften gleiche Steuersätze wie für inländische Unternehmen. Stärker wirkte der Druck der OECD, eine Pressure-Group der wichtigsten Metropolenländer, bei der die Schweiz Mitglied ist. Und was die Drohung der OECD mit schwarzen Listen bewirken kann, hat die Schweiz beim Bankgeheimnis durchexerziert: Die Stellung musste aufgegeben werden.

Die USR III bezweckte ursprünglich genau das: Einen geordneten Rückzug und den Bezug neuer Stellungen, um die mobilen Auslandunternehmungen dennoch in der Schweiz halten zu können. Als Kompensation für die verpönten Steuerprivilegien sollten weniger verpönte eingeführt werden: Steuerliche Begünstigung von Einnahmen aus Patenten und von Aufwendungen für Forschung und Entwicklung.

Der Bundesrat erarbeitete eine entsprechende Vorlage, die aber vom so genannten neuen bürgerlichen Schulterschluss im Nationalrat mit zusätzlichen Steuergeschenken aufgestockt wurde: Gesellschaften mit überschüssigem Eigenkapital können einen fiktiven Zins darauf von den Steuern abziehen, und die Dividenden von Grossaktionären sollen nicht zusätzlich besteuert werden, wie es zur Kompensation von Steuerausfällen zwingend wäre.

Steuern sind Abzüge vom Mehrwert

Steuern müssen aus Mehrwert bezahlt werden; entweder direkt oder auf dem Umweg über höhere Löhne, wenn ArbeiterInnen für direkte und indirekte Steuern zahlungsfähig bleiben sollen. Die Krise drückt auf die Mehrwertproduktion und die Akkumulation des Mehrwerts, also auf den einzigen Zweck der kapitalistischen Produktion; der Konkurrenzdruck erzwingt eine Spirale immer niedrigerer Steuern. Deshalb «hat der Staat kein Geld», obschon krisenbedingt Milliarden an überschüssigem Geldkapital nicht «vernünftig» verwertet werden können. Das gehört zur fundamentalen Unvernunft der kapitalistischen Produktionsweise.