Nach der Räumung der «Effy 29» und den darauffolgenden Strassenkämpfen haben wir uns mit einem Teil des Effy-Kollektivs getroffen und uns über Hausbesetzungen, Stadtentwicklung und Militanz unterhalten.
«Als wir die Effy 29 am 5. Dezember mit einer grossen Gruppe besetzten, ging es uns vorerst um Wohnraum. Einige von uns mussten aus einem besetzten Haus raus, weil es geräumt werden sollte. So suchten wir weiter eine solidarische Form des Zusammenlebens sowie die Möglichkeit, durch den erkämpften Raum neue Projekte umzusetzen und Forderungen zu stellen. Klar nehmen wir uns dadurch das Privileg raus, nicht systemkonform zu funktionieren und lehnen die heutigen Mietverhältnisse ab.» Es sei Konsens, so die BesetzerInnen, kein Geld bezahlen zu wollen und so nicht den Besitzenden weiter die Kassen zu füllen. «Dazu kommt, dass man einen Vollzeitjob braucht, wenn wir eine Miete bezahlen müssten, was uns die Zeit stiehlt, Projekte umzusetzen, die uns wichtig sind. Als Lohnsklave bleibt nebenbei nur wenig Spielraum für Aktivismus, Kunst oder halt all die Sachen, die sich nicht kommerziell verwerten lassen. Will man seinen Interessen folgen, setzt das voraus, dass man die Zeit dafür hat.»
Da das Kollektiv es ablehnt, nach den Regeln des Kapitals zu spielen, besetzten sie eine leerstehende Liegenschaft des Bundesamt für Logistik. Durch Hausbesetzungen werden die Eigentumsverhältnisse praktisch in Frage gestellt, doch sind sich die BesetzerInnen bewusst, dass sie sich lediglich eine Nische schaffen oder einen Kompromiss eingehen. Trotz Besetzung bleibt der Besitzer des Hauses der Besitzer. «Durch diesen Kompromiss haben wir die Möglichkeit, jene Dinge voranzutreiben, welche wir als nötig empfinden und die meist subersiv sind. Wir klauen dem System Zeit und nutzen sie für uns und unseren Kampf.» Klar ist gratis wohnen was Feines, aber in erster Linie geht es darum, über sich und sein Leben selber zu bestimmen.
Mehr als nur ein Dach über dem Kopf
Nach der Besetzung der Effy taten sie einiges mehr, als sich nur häuslich einzurichten. Sofort wurden Texte und Broschüren geschrieben, inhaltliche Videos gedreht und mit Veranstaltungen, einer Demonstration und Transparenten am Haus machte man auf politische Themen wie die Stadtentwicklung und Wohnungsnot aufmerksam. «Wir haben versucht, die Leute mit unseren Inhalten zu erreichen und mit ihnen unsere Gedanken zu teilen. Das führt insofern in einen Konflikt, da man möglichst viele Leute einbinden möchte, das Haus aber auch Wohnraum für uns darstellt. Es entstehen interessante, wenn auch nicht immer einfache Fragen. Wie gestaltet man einen unkommerziellen ,rechtsfreien Raum? Was heisst das, was duldet man, und wie geht man mit Konflikten um? Dazu kam, dass der Bund als Hausbesitzer von Beginn an mit der Räumung drohte. Bis zur eigentlichen Räumung dauerte es dann eine Weile, weil der Bund versuchte, uns mittels Gerichtsbeschlüssen aus dem Haus zu kriegen. Als es da um das Eigentum und den Besitz ging, war es klar, dass das Gericht nicht unsere Seite stützen würde.»
Trotz negativen Gerichtsentscheiden und verschiedenen Räumungsandrohungen hielt das Kollektiv daran fest, dass man im Haus bleibt und weiter an den eigenen Plänen arbeitet. «Dadurch gab es erneut Aufmerksamkeit. Leute aus dem Quartier kamen vorbei, wir diskutierten, informierten und konnten so unsere Inhalte erklären.» Das Effy-Kollektiv trat via soziale Medien an die Öffentlichkeit und nutzte die Bühne, um mit dem Bund zu kommunizieren. «Wir merkten, dass sie nicht auf Verhandlungen eingehen wollten und die ganze Sache verdammt kompliziert wird. Da der Hausbesitzer in dem Fall der Staat ist, fanden wir es richtig, diese Auseinandersetzung weiter zu politisieren. Während es einerseits eine Wohnungsnot gibt, lässt andererseits der Staat Liegenschaften leer stehen. Dieser Leerstand ist absurd.» Heute, mehrere Wochen nach der Räumung des Hauses, steht es weiter leer. Der Bund plant dort neue Bürogebäude, während der hohe Bestand an leerstehenden Büroflächen in der Stadt Bern längst kein Geheimnis mehr ist.
Die Absurdität von Leerstand trotz Wohnungsnot ist für das Kollektiv ein Grund, wieso der Kampf für ein besetztes Haus zugleich ein Kampf gegen den Kapitalismus sein sollte. «Wenn wir durch die Stadt Bern laufen, sehen wir öffentliche Plätze, die aufgewertet werden, sehen wir überall Baustellen, es entstehen neue Einkaufszentren, während dunkle Plätze verschwinden. Man versucht, einen neuen Stil zu etablieren, wo alles chic und überwacht ist. ArbeiterInnen müssen nicht mehr in der Innenstadt wohnen, öffentlicher Verkehr gibts ja nun genug. So soll in der Stadt nun wieder mehr Platz für finanzstarke Unternehmen und Reiche sein. Sie halten nicht einen Moment inne, bevor ein Haus umgebaut oder abgerissen wird. Angesichts ihres Baubooms kriegt man das Gefühl, wir hätten mehr als nur einen Planeten und unendliche Ressourcen zur Verfügung. Eigentlich sollte man einen der vielen Neubauten besetzen.»
Das wahre Gesicht der Zwischennutzungen
Hausbesetzungen sind eine Form von Widerstand, zugleich gibt es oftmals mehr oder weniger explizite Spielregeln, nach denen sie ablaufen. In Zürich wurde als Reaktion auf die Erfahrungen in den 80er- und 90er-Jahren, während denen Besetzungen sehr offensiv verteidigt wurden und geräumte Häuser oftmals schlicht wieder besetzt wurden, durch die Stadt und die Stadtpolizei ein Merkblatt erstellt, welches diese Regeln festhält. Das Merkblatt umschreibt die Bedingungen, unter denen eine Hausbesetzung geduldet wird, sowie die Bedingungen, unter denen eine Besetzung geräumt wird. Das Merkblatt war ein Teil einer Befriedungsstrategie, die zu einem gewissen Grad funktionierte.
Ein derartiges Merkblatt gibt es in Bern nicht, es gibt keine expliziten Spielregeln. Hausbesitzer können besetzte Liegenschaften jederzeit räumen lassen, es spielt keine Rolle, ob das Haus danach weiter leer steht oder nicht. Ein anderes Zürcher Exportprodukt scheint aber seinen Weg nach Bern zu finden, nämlich das Konzept der Zwischennutzungen. Zwischennutzungen sind temporäre Nutzungsvereinbarungen zwischen Hausbesitzern und -benutzerInnen, die offensiv als Mittel angepriesen werden, um Hausbesetzungen zu verhindern, und zugleich den Besitzern konstante Einnahmen versprechen, während ein leerstehendes oder besetztes Haus eben auch keine Mieteinnahmen bedeutet. Seit Richard Wolff von der Alternativen Liste in Zürich Bullenchef ist, steigt die Anzahl Zwischennutzungen inflationär.
Die Effy-BesetzerInnen haben eine klare Meinung zu Zwischennutzungen und für sie ist klar, dass sie sich nicht auf solche Spiele einlassen. «Die Thematik der Zwischennutzungen gibt es bei uns erst seit 2016. Sie versuchen so, politische Besetzungen anzugreifen, mögliche Besetzungen zu verhindern und den politischen Charakter der Hausbesetzung zu untergraben. Sie streben lukrative Zwischennutzungen an, die eigentlich einfach eine andere Form des Mietens darstellen. Es wird kaum kostenlose Zwischennutzungen geben, wo man nur Nebenkosten bezahlen muss, das ist eine Illusion. Viel mehr richtet sich das Projekt an das Kleingewerbe und die Gastronomie, die Profit generieren. Somit ist der Gang zu einem Vermittlungsbüro für solche Nutzungen keine Alternative zu einer Hausbesetzung, vielmehr würde das unser Vorgehen entpolitisieren.»
Die positive Wirkung von militantem Widerstand
Das Kollektiv der Effy musste also schnell einen Umgang damit finden, dass die Räumungsbedrohung sehr real war. Es war klar, dass man nicht ohne Widerstand aus dem Haus geht, schliesslich ging es nicht nur um das politische Projekt der «Effy 29», sondern auch um ihren Wohnraum. Aber das heisst nicht, dass von Anfang an klar war, was das genau heisst, schliesslich weiss der Staat ein enorm viel höheres Kräftepotential auf seiner Seite. «Das Ziel einer Verteidigung war nie, dass wir gegen sie im direkten Zweikampf gewinnen würden. Einerseits ging es uns darum, so weiterzumachen, wie wir mit der Besetzung im Dezember begonnen hatten. Auch mit all den möglichen Konsequenzen, die wir als Teil und mit der Bewegung hoffentlich auffangen können. Andererseits wollten wir zeigen, dass es möglich ist, sich nicht einschüchtern zu lassen. Wir waren im Haus bei der Räumung nicht viele, aber es war uns wichtig zu zeigen, dass es anders gehen kann und anders gehen muss. Aufstehen und kämpfen. Die Rechte, die wir in diesem Staat haben, wurden nicht geschenkt, sondern erkämpft. Und natürlich wollen die Herrschenden diese so weit wie möglich rückgängig machen, da gilt es dagegen zu halten. Der Staat hat am Tag der Räumung ja gezeigt, was sie alles aufstellen, wenn man sich quer stellt. Wer sich nicht verdrängen lässt, wird mit Gewalt bekämpft.» Beispiele solcher Machtdemonstrationen sind immer wieder zu beobachten. Doch Widerstand hat verschiedene Formen und Möglichkeiten, seinen Ausdruck zu finden und sich nicht abschrecken zu lassen. «Wahrscheinlich wollte der Staat an uns ein Exempel statuieren, die Menschen einschüchtern und demoralisieren. Dieser Schuss ging nach hinten los: Diverse Gruppen haben nach der Räumung begonnen, Häuser zu besetzen. Es gibt viele Leute mit einer ähnlichen Grundeinstellung wie wir, welche sich nicht einschüchtern zu lassen. Überhaupt: In Bern ist es sowieso hip, Rebell zu sein. Kann man sich einen schöneren Trend vorstellen?»
Nach der Räumung kam es zu militanten Aktionen, Demonstrationen und Strassenkämpfen. Für die BesetzerInnen ist klar, es wollten sich viele an ihrem Kampf beteiligen. Dies hat man an der Energie gemerkt, die danach sprudelte. «Das Beste war, dass sich 15 Minuten nach dem Beginn der Räumung vor dem Haus Leute sammelten, die sich solidarisierten und protestierten. Das gab uns im Haus enorm Kraft und motivierte uns.» Die bürgerlichen Medien hetzten gegen die Solidarität nach der Räumung , Politiker aller Parteien wollten sich gegenseitig darin übertrumpfen, den Widerstand als Ausdruck einer entpolitisierten gewaltgeilen Jugend zu sehen. Für die BesetzerInnen ist klar, dass die Räumung der «Effy 29» einen Einfluss auf künftige Besetzungen in Bern haben wird. «Den BesetzerInnen der Fabrikool wurde zugesichert, dass sie noch weiter bleiben können, nachdem es zuvor hiess, dass sie geräumt werden würden. Wir glauben, dass die Hausbesitzer sich von jetzt an gut überlegen, ob sie räumen wollen oder nicht. Wenn die Militanz nach der Räumung also Folgen hatte, dann keine negativen, sondern sehr positive!»
Aus aufbau 89