Afrin – Appell an Damaskus

Kanton Afrin ruft syrische Regierung auf, Grenze gegen türkische Angriffe zu schützen
Die Regierung des seit einer Woche von der türkischen Armee aus der Luft und am Boden angegriffenen Kantons Afrin in Nordsyrien hat am Donnerstag einen Beistandsappell an die Regierung in Damaskus geschickt. »Wir rufen den syrischen Staat auf, seinen Verpflichtungen nachzukommen und die Streitkräfte zu entsenden, um die Grenze zur Türkei gegen Angriffe der türkischen Besatzer zu verteidigen«, heißt es in dem Aufruf. Damaskus stehe in der Pflicht, Afrin als »untrennbaren Teil Syriens« zu verteidigen, »jeder Angriff auf Afrin ist ein Angriff auf die Souveränität des syrischen Staates«.

Die Kantonsregierung fordert dabei keinen Einmarsch der Regierungstruppen in den Bezirk. Vielmehr geht es um Luftschutz, da die Volks- und Frauenverteidigungskräfte YPG und YPJ über keine adäquaten Luftabwehrwaffen verfügen. Damaskus müsse sich »dieser Aggression entgegenstellen und deutlich machen, dass sie keine türkischen Flugzeuge im syrischen Luftraum duldet«, heißt es in dem auf der Internetseite der Kantonalverwaltung veröffentlichten Schreiben. Tatsächlich hatte die Regierung selbst vor Beginn der Offensive mit dem Abschuss türkischer Kampfflugzeuge gedroht, die in ihren Luftraum eindringen.

Mit dem unerwarteten Appell kann zum einen der Vorwurf des Separatismus gegenüber den Kurden widerlegt werden. Zum anderen riskiert die Regierung in Damaskus, als unpatriotische Maulhelden entlarvt zu werden, sollte sie dem Ansinnen nach Luftunterstützung nicht nachkommen.

Der Appell ist zudem kein verzweifelter Hilferuf, wie einige arabische und deutsche Medien ihn interpretieren, sondern erfolgt aus einer Position der Stärke heraus. So ist es der türkischen Armee bei ihrer einwöchigen Angriffe bislang nicht gelungen, mehr als einige Grenzdörfer einzunehmen, die sie zudem oft nach kurzer Zeit wieder räumen musste.

Erst am Donnerstag gelang es mit Panzerabwehrraketen bewaffneten Einheiten der YPG, erneut zwei türkische Panzer zu zerstören. Die Verluste auf der Seite der Angreifer betragen nach Angaben der YPG 308 getötete Kämpfer – darunter vier Offiziere –, mehrheitlich handelt es sich bei den Toten allerdings um Söldner dschihadistischer Kampfverbände. Ankara spricht selbst lediglich von drei getöteten Soldaten, was durch die Veröffentlichung von Ausweisen getöteter Soldaten über die Nachrichtenagentur Firat widerlegt wurde.

Seit Beginn des Krieges sind durch Luftangriffe sind nach Angaben des Gesundheitsrates von Afrin vom Donnerstag 59 Zivilisten ums Leben gekommen, über 134 wurden verletzt. Auch 43 YPG- und YPJ-Kämpfer und Kämpferinnen sind bislang bei der Verteidigung des Kantons getötet worden.

Die dschihadistische Koalition Hayat Tahrir Al-Scham, die die Nachbarprovinz Idlib kontrolliert, hat sich nun offiziell auf Seiten der Türkei dem Krieg gegen Afrin angeschlossen, meldete Firat am Freitag. Kampfkräftigster Verband der Islamisten ist der früher unter dem Namen Fatah-Al-Scham-Front bekannte syrische Al-Qaida-Ableger Fatih Al-Scham.

Auf Seiten der Angreifer ist auch der tschetschenische Islamist Muslim Schischani mit seiner Kampfgruppe Jundu Sham zu finden, wie türkische Medien berichteten. Der in Georgien geborene Dschihadist wird sowohl auf den Terrorlisten des UN-Sicherheitsrates als auch der USA geführt.

Die Syrischen Demokratischen Kräfte (SDK), denen die YPG und YPJ gemeinsam mit arabischen und assyrischen Verbänden angehören, riefen am Freitag alle »zwangsrekrutierten Söldner des türkischen Staates« auf zu kapitulieren. Auf Seiten der SDK seien sie in Sicherheit.

Nick Brauns / Junge Welt 27. Januar 2018