Sexualisierte Gewalt ist ein wichtiges Mittel zur Aufrechterhaltung der partriarchalen Unterdrückung der Frauen. Durch «me too» wird diese alltägliche Gewalt sichtbar. Das reicht nicht, doch ist es ein notwendiger Schritt hin zu einer emanzipierten Gesellschaft.
(fk) Das Wort «Feminismus» ist aktuell wieder in aller Munde. Und das ist erstmal gut so. 2013 sorgte der Hashtag Aufschrei für Furore in den sozialen Medien und thematisierte sexuelle Übergriffe in einer breiteren Öffentlichkeit. Und seit fünf Monaten hält die «Me-too-Debatte» die Welt in Atem und hat bereits nicht wenigen mächtigen Männern Gesicht, Job und Karriere gekostet. Spätestens seit den Demonstrationen am Tag des Amtsantrittes von Trump (so grosse Demos gab es in den USA seit den Antikriegsdemos 1969 nicht mehr) ist klar, dass der Frauenkampf wieder auf den Strassen angekommen ist und nicht nur ein Phänomen der sozialen Medien ist. Und das ist noch besser.
«Me too» kam von unten
«Me too» hat seinen Ursprung nicht bei den Hollywood-Sternchen, welche Ende Oktober 2017 den milliardenschweren Hollywood-Produzenten Harvey Weinstein zu Fall brachten, indem sie dessen sexuelle Übergriffe öffentlich machten. «Me too» begann im Jahr 2006 mit der afroamerikanischen Aktivistin Tarana Burke, welche den Hashtag ins Leben rief, als Teil einer Grassroot-Kampagne von afroamerikanischen Frauen gegen sexuelle Übergriffe. Es ist wohl kein Zufall, dass dieser Begriff erst dann wie eine Bombe einschlug, als weisse und reiche Schauspielerinnen ihn aufnahmen, hingegen nicht, als schwarze Frauen von unten sich gemeinsam gegen sexualisierte Gewalt zusammenfanden. Die Statistiken haben es eigentlich auch schon lange gesagt: Von sexuellen Übegriffen und sexualisierter Gewalt ist eine Mehrheit der Frauen in ihrem Leben ein- oder mehrmals betroffen, weltweit und egal welcher Klasse sie angehören. Mit der aktuellen Debatte entsteht eine Sichtbarkeit, die von fundamentaler Bedeutung ist. Denn Schweigen (und Wegsehen!) ist Voraussetzung und Folge der sexualisierten Gewalt. Endlich wird dieses Schweigen gebrochen und so manche Frau hat wohl durch die öffentliche Debatte den Mut gefunden aufzustehen gegen das eigene alltägliche Leid. Diese Welle der Empörung ist richtig, doch daraus sollte eine Selbstverständlichkeit entstehen. Ja eigentlich sollte es normal sein, dass jede sexistische Handlung als eine solche denunziert wird.
Die Antwort auf «me too» ist reaktionär
So wie die Debatte aktuell in den bürgerlichen Medien geführt wird (und ein jeder Trottel noch seine Meinung zum Besten geben darf!), treibt die Diskussion haarsträubende Blüten: Eine Soziologin rät den Frauen vom Schminken ab als Lösung gegen sexualisierte Gewalt, andere finden «Belästigen gehört zum Flirten» und nochmals andere reden plötzlich nur noch von den ach so armen Männern, welche völlig verunsichert gar nicht mehr wissen, wie sie eine Frau ansprechen sollen.
Und immer wieder werden die Frauen, die Übergriffe denunzieren, hart kritisiert. Äussern sich die Frauen anonym im Netz, wird ihnen Feigheit vorgeworfen oder es wird ihnen nicht geglaubt; wenn eine Frau öffentlich mit ihrem Gesicht hinsteht, dann wird auf ihre Person geschossen. So spottete Roger Köppel in der Weltwoche über eine Nationalrätin, die über Sexismus im Bundeshaus sprach: «Eine Politikerin, die ich noch nie ohne kurzen Rock oder hautenge Bluse gesehen habe, beschwert sich, sie würde mit gewissen Herren niemals in den Lift steigen.» Egal, wie Frauen sich äussern, es ist immer falsch, denn sie sollten schweigen, weil sexualisierte Gewalt eines der potentesten Mittel zur Aufrechterhaltung von heteronormativen, patriarchalen Machtverhältnissen ist! Es greift die Integrität der betroffenen Person an, um sie zu unterwerfen. Wird dieses Machtinstrument kritisiert, dann reagieren die mächtigen Herren panisch, solch ein wirkungsvolles Instrument gibt niemand freiwillig aus der Hand.
Sexualisierte Gewalt ist ein Herrschaftsinstrument
PsychologInnen haben gezeigt, dass es bei sexualisierter Gewalt fast nie um den falsch ausgedrückten Wunsch nach Sex geht, sondern immer um Macht und Gewalt. Die Feministin Diana Russel und der Psychologe Richard Johnson beobachteten zudem, dass sexualisierte Gewalt besonders häufig dort auftritt, wo die Frauenemanzipation Fortschritte macht, wo Frauen sich Rechte und Räume erkämpfen. Dieses Phänomen kann im Kleinen wie auch im Grossen beobachtet werden: Nach den Aufständen in Ägypten 2011 während des «arabischen Frühlings» stieg die sexualisierte Gewalt auf den Strassen deutlich an. Ägyptische Feministinnen sehen darin einen direkten Zusammenhang mit der aktiven Rolle, die die Frauen während der Proteste gespielt haben. Die ägyptische Regierung dulde nicht nur – ja, sie begrüsse die sexualisierte Gewalt, um die Frauen wieder an ihre Plätze zu verweisen und aus dem öffentlichen Raum zurückzudrängen. Auch in der «westlichen» Welt gibt es einen Zusammenhang zwischen Zunahme von sexualisierter Gewalt aund Errungenschaften der Frauenbewegung. Doch nicht nur auf gesellschaftlicher Makro-Ebene lässt sich das beobachten: Statistiken zu häuslicher Gewalt zeigen eindrücklich, dass die Gewalt drastisch ansteigt, sobald die Frauen aus den traditionellen Geschlechterverhältnissen ausbrechen, also typischerweise bei einer Trennung. Die krasseste Form dieser Gewalt ist der sogenannte Feminizid, also die Tötung von Frauen aufgrund ihres Geschlechts. Weltweit gibt es momentan verschiedene Bewegungen zu diesem Thema (zum Beispiel «ni una menos» in Argentinien). Auch in der Schweiz sind Feminizide eine Realität, die wenigen bewusst ist, doch die Statistik dazu ist relativ klar: Von allen Tötungsdelikten an Frauen in der Schweiz zwischen 2000-2004 (das waren rund 429) handelte es sich bei 73% der Täter um den (ehemaligen) Partner oder um ein Familienmitglied. Auch die Zahlen aus Deutschland sind deutlich: 2016 wurden rund 149 Frauen durch ihren (Ex-) Partner umgebracht, bei den Männer, waren es 14.
Sprechen wir nicht über Monster und Opfer….
Sexualisierte Gewalt verhindert man nicht mit Appellen oder moralischer Empörung oder reisserischer Berichterstattung zum Thema Sex und Flirten. Und auch nicht, wenn einzelne mächtige Säcke als «Monster», sexsüchtig oder triebgesteuert in die Psychiatrie geschickt werden, die ganzen anderen Sexisten selbstgefällig nicken und vor sich hinmurmeln: «Es gibt schon hässliche Männer, aber wir sind zum Glück nicht so!» Sexualisierte Gewalt verhindert man vielmehr, indem wir dafür sorgen, dass Abhängigkeiten und Machtverhältnisse angegriffen und angesprochen werden. Sei das nun im Betrieb als Arbeiterin, die vom Chef belästigt wird und um ihren Job fürchtet, wenn sie aufmuckt; sei das die geflüchtete Frau, welche bei ihrem gewalttätigen Partner ausharrt aus Angst die Aufenthaltspapiere zu verlieren; sei das die Frau mit Behinderung oder die Frau im Knast. Oder sei es die Mutter, die häusliche Gewalt aushält, weil sie sonst in Armut alleinerziehend leben muss. Das sind alles Gesichter der Frauenunterdrückung, deren Grundlage die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung ist. Daraus resultieren Lohnungleichheit, Rollenbilder, Machtgefälle und Abhängigkeiten, die den Boden für die sexuellen Übergriffe bereiten. All diese Beispiele zeigen auch, wie weit entfernt Cathrine Millet (eine weisse, reiche bürgerliche Publizistin, die sich vor Kurzem über «Me too» beschwerte) von der Mehrheit der arbeitenden Frauen ist, wenn sie sagt «jede normale Frau kann sich wehren!» Natürlich stimmt das theoretisch, doch der Preis dafür ist sehr unterschiedlich: Ausschaffung, Kündigung oder sogar Tod. Da kann Frau Millet noch lange in der warmen Stube sitzen und ihre Texte schreiben…
…sondern greifen wir den patriarchale Kapitalismus an
Darum betonen wir, dass Feminismus nicht gleich Feminismus ist: Denn zur besonderen Situation der Frauenunterdrückung gehört, dass zwar alle Frauen davon betroffen sind, dass die Frauen aber auch verschiedenen Klassen angehören und darum zusätzlich die Interessen der jeweiligen Klasse vertreten. Umso wichtiger ist es, dass in der aktuellen Debatte, in der sich vor allem eher gut gestellte bürgerliche Frauen zu Wort melden, immer wieder auch die Wurzeln der Frauenunterdrückung angesprochen werden: die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, welche ein Grundpfeiler des Kapitalismus ist. Die ökönomische Schlechterstellung und Entwertung der Frauen ist die Voraussetzung für die aktuellen Übergriffe. Darum gilt: Wer Sexismus bekämpfen will, muss auch den Kapitalismus angreifen. Und gleichzeitig muss der Schutz für betroffene Frauen im Hier und Jetzt ausgebaut werden. Trotz «me too» gibt es beispielsweise immer noch viel zu wenig Frauenhäuser, ja die Gelder werden im Zuge der Sparpolitik sogar gestrichen und es herrscht eine hohe Straflosigkeit in diesem Bereich.
Sexismus trifft die Frauen einzeln, doch die Antwort muss kollektiv und organisiert sein. Das geschieht weltweit immer mehr, das ist nicht nur gut – das ist unentbehrlich! Und irgendwann werden wir von der Verteidigung in die Offensive kommen, vom «me too» zu einer Faust in die Fresse, hin zu einem Kampf für eine klassenlose Gesellschaft ohne patriarchale Unterdrückung.
aus: aufbau 92