«Die Geschichte nicht bloss studieren, sondern sie schreiben.»

Während des Kampfes um Raqqa entstand der Dokumentarfilm «We need to take guns». Darin kommen KämpferInnen verschiedener Organisationen und Strukturen zu Wort, die im Internationalen Freiheitsbataillon (IFB) in Rojava vertreten sind.

(agj) Nach der der Befreiung von Kobane im Juli 2014 und der Ausweitung der Kämpfe in Rojava entstand im Oktober 2015 das Militärbündnis der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF), welches von den Selbstverteidigungseinheiten der YPG / YPJ angeführt wird. Dieses hat sich zum Ziel gesetzt, mit den vereinten Kräften verschiedenster Kampfverbände weitere Gebiete Syriens endgültig von Daesh zu befreien. Die erste grosse Operation dieses Bündnisses war der Kampf um Manbij. Diese Stadt war neben Raqqa einer der wichtigsten strategischen Punkte für den sogenannten «Islamischen Staat», der in der Region abschätzig Daesh genannt wird. Manbij war Dreh- und Angelpunkt für Truppenverschiebungen des «IS» sowie für den Transport von Munition und Ressourcen aus der Türkei in andere besetzte Gebiete. Nach der geschlagenen Schlacht um diese Stadt folgte der Feldzug nach Raqqa, der Hauptstadt von Daesh.

Hier setzt der Dokumentarfilm von A. Barbara und A. Sofia ein. Umgeben von Wüsten ruckelt die Kamera in einem Pick-Up durch die Landschaft, während im Hintergrund Popsongs aus dem Radio plärren und in der Weite das Lager des Internationalen Freiheitsbataillons (IFB) auftaucht. Es ist ein authentischer und parteiischer Blick auf die Realität in Rojava, bei dem man von Beginn an mitten drin ist und mit den Mitgliedern des IFB, ihren Geschichten und Motivationen, konfrontiert wird.

Das Bataillon
Historisch bezieht sich das IFB auf die Tradition des bewaffneten Internationalismus während des spanischen Bürgerkriegs, als InternationalistInnen nach Spanien strömten, um die republikanische Bewegung im Kampf gegen den Faschismus von Franco zu unterstützen. Die Parallelen zur Situation von Rojava im Kampf gegen die Barbarei von Daesh sind offenkundig. Entsprechend gab es von früh an InternationalistInnen, die nach Rojava reisten, um sich am politischen Projekt zu beteiligen. Während einige sich auf Projekte im zivilen Bereich konzentrierten, gab es immer auch solche, die mit der Waffe in der Hand Rojava verteidigten. Das IFB ist dabei eine von verschiedenen Strukturen, in der sich bewaffnete InternationalistInnen sammeln.

Im IFB haben sich revolutionäre Organisationen zusammengeschlossen, die die Verantwortung für dieses Bataillon tragen und es in Koordination mit den SDF führen. Organisiert ist es in verschiedenen Taburs, das sind kleinere Lager, die jeweils unterschiedliche Funktionen erfüllen. So ist das eingangs erwähnte Lager das Front-Tabur des IFB, von dem aus die Offensive gegen Raqqa gestützt wird, während andere Taburs dazu dienen, die KämpferInnen auf die Kämpfe vorzubereiten, sie auszubilden und politisch zu schulen.

Immer wieder treten KämpferInnen des IFB vor die Kamera. Sie sind allesamt vermummt, wodurch die Einzelpersonen noch stärker als RepräsentantInnen von allgemeinen Ideen und Erfahrungen wirken und Individualismus in den Hintergrund tritt. Es ist keine Geschichte der EinzelkämpferInnen, sondern eine der gemeinsamen und solidarischen Erfahrungen und Perspektiven. So erzählt eine Genossin der MLKP, die für die Fraueneinheit in ihrem Tabur verantwortlich ist, weshalb sie sich dazu entschloss, ihr Geschichtsstudium in der Türkei abzubrechen und stattdessen eine Waffe in die Hand zu nehmen, um gegen den türkischen Staat und Daesh in den Kampf zu ziehen. In dem historischen Moment, der sich mit der Bildung von Rojava im Norden Syrien abspielte, wollte sie nicht zuschauend studieren, was dort geschieht, sondern selber Geschichte machen. Sie zog darum in die kurdischen Berge, um sich dem IFB anzuschliessen.

Neben der Genossin der MLKP sprechen GenossInnen der BÖG (DKP), TIKKO (TKP/ML), der anarchistischen Formation IRPGF sowie andere InternationalistInnen. Der Sprecher der IRPGF spricht viel über die Widersprüchlichkeit der Notwendigkeit der Bewaffnung bei gleichzeitigem Wunsch nach einem Leben in Frieden, im welchem der Kampf mit der Waffe nicht mehr notwendig ist. Er betont, dass der Krieg im Norden Syriens nicht von Rojava gesucht wurde, sondern er in erster Linie eine Folge der Politik der imperialistischen Staaten und der Türkei ist. Gleichzeitig ist es klar, dass es die bewaffnete Verteidigung dieses Projekts braucht, welches in einer Zeit historischer Umbrüche begonnen wurde. Ohne Bewaffnung wäre Rojava längst zerschlagen, das ist eine Gewissheit, die sich mit jedem neuerlichen Angriff gegen Rojava zeigt.

Sehîd Namirin
Ein zentraler Strang der Erzählung ist jeweils die Erinnerung an die Sehîds, die im Kampf gefallen sind. Ein Genosse der TKP/ML erinnert im Film an Barbara Kistler aus Zürich, die in den Reihen der TIKKO (TKP/ML) kämpfte und im Januar 1993 in den Bergen von Dersim nach einem Gefecht mit der türkischen Armee starb (siehe aufbau Nummer 80). Derselbe Genosse schildert, dass diese Kultur von europäischen GenossInnen, die nach Rojava reisen, zu Beginn oftmals nicht verstanden wird und mit einer glorifizierenden Kultur der Erinnerung an einzelne verwechselt wird. Er entgegnet, dass die Erinnerung viel eher Kraft im Kampf gibt und aufzeigen soll, dass der Kampf der Gefallenen heute von anderen fortgeführt wird.

Schliesslich wird das Leben der Şehîds zu einem Teil eines kollektiven Gedächtnisses, welches dokumentiert, wie vielfältig die Unterstützung für Rojava ist. Die Gefallenen kommen aus verschiedenen Teilen der Welt und unterschiedlichen Hintergründen, alle haben sich aber dazu entschieden, sich am Freiheitskampf zu beteiligen. Entsprechend ist der praktische Internationalismus immer wieder Thema im Film, der nicht nur in Richtung Rojava wirkt, sondern auch von Rojava ausgeht. Die GenossInnen kämpfen für eine Perspektive, in der fortschrittliche Kämpfe nicht nur dort auszutragen sind, sondern weltweit verbunden werden. Genau darum sind Projekte wie dieser Film wertvoll, weil sie eine Vermittlung von Erfahrungen ermöglicht, welche die Grundlage für einen gemeinsamen Kampf bildet. In diesem Sinne ist der Film ein Instrument zur Vertiefung des Verhältnisses zwischen dort und hier.

Den Abschluss des Films bildet die Erklärung des Freiheitsbataillons nach der Befreiung von Raqqa. Das IFB betont einerseits die Schwierigkeiten, die sich beim Wiederaufbau des zivilen Lebens in Raqqa zeigten. Schliesslich hatten die BewohnerInnen jahrelang unter dem Regime des «IS» gelebt und es wird befürchtet, dass ethnische Spannungen geschürt werden könnten zwischen den grösstenteils arabischen EinwohnerInnen der Stadt und den grösstenteils kurdischen Kräfte der SDF.

Andererseits wagen sie einen Blick in die unsichere militärische Zukunft. Denn die Raqqa-Operation war eine Zäsur für die militärische Zusammenarbeit mit den USA, da nach ihr das hauptsächliche gemeinsame Ziel dieser taktischen Allianz, nämlich die Zerschlagung von Daesh, grösstenteils erfüllt war. Die GenossInnen diskutieren im Sommer 2017 was im Winter 2018 zur Gewissheit wird, nämlich, dass der türkische Staat seinen Kampf gegen Rojava eskaliert indem er gemeinsam mit islamistischen Milizen in Afrin einmarschiert.

Die französischen GenossInnen der TIKKO, die Befreiungsarme der TKP/ML haben im Zusammenhang mit dem Streik in Frankreich ein Solidaritätsvideo gemacht, welches sie auf YouTube veröffentlichten. Die Gewerkschaftsbasis hat sehr positiv reagiert, die Spitze jedoch reagierte sehr rabiat. Die GenossInnen des Tabur von der BÖG zeigten sich mit einem Graffiti des palästinensischen politischen Gefangenen Ibrahim Abdallah solidarisch, welcher seit Jahren im Gefängnis sitzt, obwohl er seine Haftstrafe verbüsst hat. Er wird nicht freigelassen, da er sonst den Widerstand in Palästina bestärken und somit eine Gefahr für den Staat darstellen würde. In Rakka gab es ein Graffiti mit einem Solidaritätsgruss für die DemonstrantInnen der G20-Proteste in Hamburg. Die GenossInnen in Rojava zeigten damit auf, dass die Konzentration der Kämpfe nicht nur dort stattfinden soll, sondern mit allen antikapitalistischen Kämpfen und einer Revolution weltweit.Genau diese Situation ist seit dem 20. Januar 2018 sehr aktuell. Der türkische Staat begann Efrin anzugreifen. Die ersten Ziele waren vor allem zivile, mit der Absicht die Menschen in die Flucht zu treiben und Efrin zu entvölkern. Damit die Revolution in Rojava zu zerschlagen. Russland sowie die USA geben der Türkei ihre Zustimmung, indem sie nicht einschreiten. Die ersten Bodentruppen der Angreifer waren IS-Kämpferinnen, welche rekrutiert wurden. Diese wurden aber sogleich zurückgeschlagen. Danach eröffnete die Türkei Angriffe aus der Luft. Viele Zivilpersonen sind gestorben oder wurden verletzt. Die militärische Situation ist angespannt, die verschiedenen progressiven Kräfte machen nun mobil, um Rojava zu verteidigen.Der Film „We need to take guns“ zeigt in kurzweiligen, circa 60 Minuten authentisch die verschiedenen Positionen in den Taburs auf und zeigt eindrücklich das Leben im Krieg gegen den türkischen Staat und die Daesh. Nach den 60 Minuten ist man von den Eindrücken fast erschlagen. Diese lähmen einen aber nicht, im Gegenteil, sie füllen den Körper mit Energie und mit Tatendrang. Der Film zeigt, dass sich der Kampf gegen die imperialistischen Grossmächte, gegen den Kapitalismus, gegen die kapitalistische Logik und allerlei reaktionäre Ideologien möglich ist, Faschismus und Sexismus unumgänglich ist – aber und gewonnen werden kann!

Verpasst es nicht, diesen Film zu sehen und ihn als Mittel zum Kampf gegen den Krieg in der Türkei, gegen die Daesh einzusetzen.

Der Film «We need to take guns» (2018) von A. Barbara und A. Sofia dokumentiert in rund sechzig Minuten authentisch die verschiedenen Positionen in den Taburs von Rojava und zeigt eindrücklich das Leben im Krieg gegen den türkischen Staat und die Daesh. Er wird in den nächsten Monaten an verschiedenen polit-kulturellen Anlässen gezeigt werden. Interessierte, die gerne eine Filmvorführung mit Diskussion organisieren würden, können sich bei info@rhi-sri.org melden.

aus: aufbau 92