Kurdische Verbände kriminalisiert

Polizei untersagt das Zeigen von Bildern ermordeter Politikerin. Bücher konfisziert
Im Januar 2013 wurden die Mitbegründerin der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), Sakine Cansiz und ihre Genossinnen Fidan Dogan und Leyla Saylemez von einem türkischen Geheimagenten in Paris ermordet. Das Verbrechen blieb bis heute ungesühnt, der Mörder Ömer G. verstarb in Untersuchungshaft kurz vor Prozessbeginn an einer Krankheit. Nun hat die Polizeidirektion Hannover es untersagt, Fahnen mit Bildern der drei Politikerinnen auf Demonstrationen zu zeigen. Zwar seien die lilafarbenen Fahnen mit den »PKK-Märtyrerinnen« im aktuellen Kennzeichenverbot des Bundesinnenministeriums vom 29. Januar noch nicht gelistet, heißt es in einem Auflagenbescheid für geplante Demonstrationen, der dieser Redaktion vorliegt. Die Abbildungen hätten jedoch »aufgrund ihrer Symbolhaftigkeit« einen eindeutigen Bezug zur verbotenen PKK. Dadurch würde der Versammlungscharakter der Kundgebung »Gegen die Militäroffensive in Syrien – Überall ist Afrin – Überall ist Widerstand« unzulässig verändert. In dem seit mehr als 50 Tagen von der türkischen Armee angegriffenen kurdisch verwalteten Kanton Afrin in Nordsyrien wird Cansiz von den Frauenverteidigungseinheiten YPJ als Leitfigur betrachtet. Ihr Bild wird oft gemeinsam mit dem Porträt der vor 99 Jahren von rechten Freikorps in Deutschland ermordeten Kommunistin Rosa Luxemburg gezeigt.

Cansiz dreibändige Memoiren »Mein ganzes Leben war ein Kampf« waren Ende letzter Woche bei einer sich über zwei Tage hinziehenden Polizeirazzia im Mezopotamien-Verlag in Neuss zusammen mit zahlreichen weiteren Büchern beschlagnahmt worden (siehe jW vom 9.3.). Durchsucht wurde neben dem seit 18 Jahren bestehenden Verlag auch das auf kurdische Musik spezialisierte Musikhaus »MIR Multimedia«. Die Polizei konfiszierte mehrere Lastwagenladungen mit Literatur und Musik-CDs. Darunter befinden sich neben den Büchern von Cansiz und denen des seit fast 20 Jahren in der Türkei inhaftierten Vordenkers der kurdischen Freiheitsbewegung, Abdullah Öcalan, nicht nur Wörter- und Sprachlehrbücher, Werke bekannter Autoren aus der Türkei wie Mehmet Uzun, Yasar Kemal, Orhan Pamuk, Asli Erdogan und Elif Safak. Selbst Klassiker der Weltliteratur wie Tolstoi, Dostojewski und Victor Hugo sowie Kinderbücher in kurdischer, türkischer und deutscher Sprache gelten offenbar als verdächtig. Bei »MIR Multimedia« wurden das Studioinventar, Tausende CDs sowie ein Archiv mit 500.000 kurdischen Liedern abtransportiert.

Es bestehe der hinreichende Verdacht dass sich die »Vereine« – gemeint sind der Verlag und die Multimediafirma – »gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung« richteten, heißt es im Durchsuchungsbescheid. Dem Verlag wird vorgeworfen, dass er »einschlägige Bücher und Zeitschriften« verlege sowie »sonstiges PKK-Propagandamaterial« vertreibe. MIR Multimedia wiederum biete »PKK-bezogene Musikprodukte« an und beteilige sich an »diversen Feiern und Festivals mit PKK-Bezug«. Die beiden Unternehmen würden »den organisatorischen Zusammenhalt« der verbotenen PKK unterstützen. Der Rechtshilfefonds Azadi (Kurdisch: Freiheit) sieht in den Razzien ein »Abschiedsgeschenk von Bundesinnenminister Thomas de Maizière an das türkische Regime«. So war der Polizeioperation laut Durchsuchungsbeschluss ein Schriftwechsel zwischen dem Bundesinnenministerium, dem Landeskriminalamt und dem CDU-geführten nordrhein-westfälischen Innenministerium vorausgegangen. Das Verwaltungsgericht Düsseldorf ordnete die Maßnahmen nach dem Deutschlandbesuch des türkischen Außenministers Mevlüt Cavusoglu Anfang vergangener Woche an. In der Türkei war Mitte Februar bereits der führende kurdische Literatur- und Sachbuchverlag Aram in Diyarbakir von der Polizei gestürmt und leergeräumt worden.

Solidarität mit der Mezopotamien-GmbH zeigte der linke Unrast-Verlag in Münster. Der Vorwurf des Verstoßes gegen den Gedanken der Völkerverständigung sei absurd, heißt es in einer Presseerklärung des Unrast-Kollektivs vom Wochenende. Das »gleichberechtigte friedliche Zusammenleben der Völker« sei eines der »Hauptziele der Idee des Demokratischen Konföderalismus, die von Öcalan seit Mitte der 1990er Jahre« entwickelt worden sei, heißt es darin.

Nick Brauns / Junge Welt vom 13. März 2018