Maduros Regierungserklärung
Am Donnerstag (Ortszeit) legte Venezuelas Präsident Nicolás Maduro nach seinem Wahlsieg vom vergangenen Sonntag vor der Verfassunggebenden Versammlung den Amtseid ab. Das war zunächst einmal Routine. Keine Routine war dagegen der neue Ton, den er in seiner anschließenden Rede anschlug. Es war eine von Selbstkritik geprägte Ansprache, die den Startschuss für einen Neuanfang geben sollte. Nötig sei eine »Veränderung der Führung an der Spitze der Revolution«, forderte Maduro, denn »wir machen nicht genug, und wir machen es nicht gut«. Und weiter: »Wir müssen dieses Land verändern, und wir müssen bei uns selbst anfangen.«
Maduro listete sechs Leitlinien auf, an denen sich dieser Erneuerungsprozess orientieren soll. So soll im Mittelpunkt der Stabilisierung der Wirtschaft eine Ausweitung der Produktion des staatlichen Erdölkonzerns PDVSA stehen. An die dort beschäftigten Arbeiter und ihre Gewerkschaften appellierte er, ihren Beitrag dafür zu leisten: »Ich will eine sozialistische PDVSA, eine ethische, souveräne und produktive PDVSA!«
Nötig wäre es, denn die Staatseinnahmen Venezuelas hängen nach wie vor zu rund 90 Prozent von den Erdölexporten ab – doch die Förderung war in den vergangenen Jahren rückläufig. Gründe dafür waren fehlende Investitionen in die Infrastruktur sowie Korruption und Schlamperei. Wenn es jetzt gelingt, mit durchschlagenden Maßnahmen dem Schlendrian den Kampf anzusagen, wäre viel gewonnen. Dabei will Maduro zur »Sanierung« der Industrie offenbar nicht auf »ausländische Experten« setzen, sondern auf die Arbeiterklasse. Ansätze dafür, deren Rolle zu verstärken, gibt es bereits, zum Beispiel durch die Gründung von Arbeiterräten in den Betrieben. Bislang versandeten Initiativen von unten jedoch oft in der Bürokratie der Unternehmens- und Staatshierarchie oder wurden gezielt abgewürgt. In den klimatisierten Büros sitzen viele Nutznießer der Korruption und Misswirtschaft. Auch das sprach Maduro in seiner Rede offen an.
In den westlichen Medien war von alldem wenig zu lesen. Lediglich ein Aspekt interessierte die Korrespondenten in Nordamerika und Europa: Maduro habe die Freilassung »politischer Gefangener« angekündigt. Tatsächlich will der Staatschef der Verfassunggebenden Versammlung vorschlagen, alle im Zusammenhang mit den gewalttätigen Protesten der vergangenen Jahre Inhaftierten zu begnadigen, sofern diesen keine Tötungsdelikte oder andere schwere Verbrechen zur Last gelegt werden. Er verglich das mit der Straffreiheit für die Mitglieder der Guerillaorganisationen der 1960er Jahre und deren Rückkehr in das legale Leben. Auch wenn die politischen Vorzeichen natürlich andere waren – die Parallele stimmt: Was zum Beispiel im vergangenen Jahr auf den Straßen Venezuelas zu sehen war und mehr als 100 Menschen das Leben kostete, waren eben schnell keine friedlichen Demonstrationen mehr – es handelte sich zumindest in Teilen bereits um einen bewaffneten Aufstand.
Ein Neuanfang für die Bolivarische Revolution? Es dürfte die letzte Chance sein.
André Scheer / Junge Welt vom 26. Mai 2018