Die «Strafzölle» des Donald Trump verschleiern die Tatsache, dass vor allem die EU und China keine Waisenknaben in Sachen Protektionismus sind.
Seit das Trumpeltier seinen Handelskrieg losgetreten hat, ergehen sich die bürgerlichen Eliten in Europa und anderswo in Klageliedern über die Verletzung der freihändlerischen Heiligtümer. Gebetsmühlenartig predigen sie das Evangelium vom sogenannten komparativen Vorteil, welcher der Warenexport und –import allen Beteiligten bringen soll. Dabei erküren sie den klassischen politischen Ökonomen David Ricardo zu ihrem Apostel (vgl. Kasten).
Wo Trump Recht hat
Mit seiner Klage, die EU, China und andere Länder würden die USA schon lange mit ihrer Handelspolitik übervorteilen, hat der amerikanische Präsident nicht einfach Unrecht. Allein im Stahlbereich erhebt die EU auf mehr als 40 Produktbereiche Strafzölle. Die EU erhebt auf importierte Personenwagen Einfuhrzölle bis 10%, die USA dagegen nur 2,5%. Amerikanische Pick-ups werden von der EU als Lastwagen eingestuft und daher mit einem Einfuhrzoll von 22 Prozent belegt. Aufschläge von 35-72% für diverse chemische Produkte und 35-126% bei bestimmten Lebensmitteln und Süssstoffen sind Beispiele dafür, dass die EU bisher eindeutig protektionistischer ausgerichtet war als die Vereinigten Staaten. Und wenn Chinas Präsident und Parteichef Xi Jinping schon am letzten Davoser WEF im Chor der Freihandelssänger auftrat und bis heute als das durchgeht, finden wir das ähnlich absurd wie das Trumpeltier im Weissen Haus es auch findet.
Zumindest bei der ach so gehätschelten Landwirtschaft steht die Schweiz bezüglich Abschottung an vorderster Front. Und wenn «wir» es vorziehen, kein Fleisch hormonbehandelter Rinder und keinen gentechnisch veränderten Mais zu essen, beteiligen wir uns am Aufbau sogenannter nicht-tarifärer Handelshemmnisse, was indirekt wie Zölle wirkt. Insgesamt also, nicht nur Trump, sondern «wir» auch.
Verschiebung der interimperialistischen Widerspruchsfronten
Der EU-Protektionismus richtet sich vornehmlich gegen die Volksrepublik: Von den 53 aktuellen «Antidumpingmassnahmen» der EU betreffen 27 chinesische Hersteller. Gegen chinesische Stahlprodukte belegte die EU bereits 2011 Strafzölle von 48,3 bis 71,9%. Auf Solarpanele aus China verlangt die EU Mindestpreise und erhebt Strafzölle, was einer Abschottung von fast 50% entspricht. Hier liegen womöglich die Gründe, dass US-Trump und EU-Tusk das Handelskriegsbeil vorerst begraben haben. Andererseits erhöht z.B. BMW die Produktion seines Joint Ventures mit dem chinesischen Autohersteller Brilliance in Shenyang von zuletzt 400.000 auf 520.000 Fahrzeuge pro Jahr und reduziert seine Produktion in den USA, aus Angst vor chinesischen Einfuhrzöllen.
Protektionismus verschärft die Krise
Aber selbstverständlich ist es schon so, dass es die Krise verschärft, wenn sich die verschiedenen Kapitalfraktionen weltweit gegeneinander abschotten, also dem Protektionismus frönen. Das hat schon die grosse Krise der 1930er Jahre gezeigt, und die Architekten der Nachkriegsordnung von Bretton Woods versuchten alles, um diesen Fehler nicht zu wiederholen. Das ist ihnen im Laufe der Jahrzehnte auch teilweise gelungen: Mittels der WTO in Genf wurde eine Art Gerichtsbarkeit geschaffen, das Handelsstreitigkeiten im Dienst der Interessen des weltweiten Kapitals schlichtet. Dies gelingt aber wegen der krisenbedingten Verschärfung der internationalen Konkurrenz immer weniger.
Kasten: Zölle und andere Abgaben an Staaten wirken wie Steuern: sie gehen auf Kosten der Profite der einzelnen Unternehmen und senken also auch die Durchschnittsprofitrate. Das kann so weit gehen, dass sich Investitionen nicht mehr lohnen – eine Charakteristik der Kapitalübeproduktionskrise. Dieser kann durch den internationalen Handel ein Stück weit entgegengewirkt werden. Er macht es möglich, billiger an Rohstoffe und andere Produktionsmittel heranzukommen, so dass mehr für den Profit übrig bleibt. Ferner senkt der Import preisgünstiger Konsumgüter die Lebenskosten der ArbeiterInnen, was – langfristig und im Durchschnitt betrachtet – den Wert der Ware Arbeitskraft senkt. Mehrwert- und Profitrate steigen entsprechend. Es ist also das Kapital, das profitiert, wenn wir aus Billiglohnländern importierte Kleider bei H&M & Co. Kaufen. Dass alle vom Welthandel profitieren, entpuppt sie auch hier als das übliche bürgerliche Geschwafel.