Zur aktuellen Lage in Rojava

(fk) Während die imperialistischen Mächte um Einflussgebiete im Mittleren Osten kämpfen, sind sie sich alle einig, wenn es um die Zerstörung des revolutionären Prozesses in Rojava geht. Die Kriegstreiber sitzen im Westen. Das lässt sich bei der Betrachtung der Vorkomnisse letzter Woche mal wieder klar erkennen.

Der diesjährige Welt-Kobane-Tag am 1. November steht für die Kontinuität des Aufbauprozesses in Rojava. Aber auch für die imperialistischen Angriffe dagegen. Die Türkei beschoss letzte Woche Dörfer im Umkreis von Kobane mit schweren Waffen. Zwei KämpferInnen der Selbstverteidigungseinheit starben. In Gire Spi wurde ein 12-jähriges Mädchen gezielt von türkischen Snipers erschossen. Am Dienstag, 6. November gingen nach einer kurzen Pause die Angriffe auf Gire Spi und neu auch auf Serekaniye wieder los. Diese Provokationen sind an sich nichts Neues, dass sie aber nur einen Tag nach dem Gipfel zwischen Deutschland, Frankreich, Russland und der Türkei begannen, gibt ihnen eine spezielle Qualität. Erneut wird Kobane von Krieg heimgesucht. Aber anders als 2015 ist heute der Feind nicht mehr der Faschismus in Form von Daesh, sondern des türkischen Staates. Dieser wird dabei durch die imperialen Interessen der Grossmächte unterstützt. Es lohnt sich ein Blick auf die Strategien, welche die verschiedenen Players aktuell verfolgen.

 

Deutschland: Zurück zur alten Grösse

Seitens Deutschland und Frankreich zeigte sich an diesem Gipfel, dass sie weiterhin versuchen, sich von der USA zu lösen. Die Geschichte der Europäischen Union lässt erkennen, dass Deutschland mittels der EU erfolgreich eine eigenständige imperialistische Macht aufbaut. Dabei wird auch klar, warum die USA bei diesem Gipfel nicht dabei ist. Die europäischen Kräfte führen direkte Gespräche mit Russland, womit versucht wird, eine Verhandlungsmacht gegenüber der USA aufzubauen. Die Provokationen des türkischen Staates im Anschluss des Gipfels senden nun ein klares Signal nach Rojava: Wir sind alle gegen euch!

Rojava ist dem deutschen Staat ein Dorn im Auge. Die ökonomischen Verbindungen mit der Türkei sind sehr eng. Des Freundes Feinde sind auch seine Feinde. Nicht nur Panzer werden an die Türkei verkauft, auch auf politischer Ebene unterstützt Deutschland die Konterrevolution. In Afrin wird der Marionettenrat der türkischen Besatzung, der ENKS (Kurdischer Nationalrat), direkt finanziell von der Bundesregierung unterstützt.

USA: Die Boten kapitalistischer Ordnung

Die Rolle der USA ist dabei weniger deutlich erkennbar, aber deshalb nicht weniger gefährlich. Die Koalition unter der Führung der USA sind seit Kobane 2015 militärische Partner der Syrisch Demokratischen Kräfte (SDF), von der auch die YPG / YPJ Teil ist. Rojava ist somit in einem Bündnis mit der imperialen Supermacht. Dies wurde von antiimperialistischer Seite immer wieder kritisiert. Realistisch betrachtet muss aber festgehalten werden, dass die taktische Verindung mit der Koalition half, einen Raum zu öffnen, innerhalb dessen ein revolutionärer Aufbauprozess stattfinden kann. Spätestens der Angriff und die Besatzung Afrins haben bestätigt, dass dies ein rein taktisches Bündnis ist. Dessen war man sich in Rojava immer bewusst

Seitens der USA geht es darum, im Mittleren Osten eine lokale Macht zu haben, welche unter ihrem Einfluss steht. Zu Beginn der Revolution stand eine Zusammenarbeit mit der kurdischen Freiheitsbewegung bestimmt nicht auf der Agenda Washingtons. Aber dann sahen sie sich mit einer starken mitlitärischen Kraft und einer zivilpolitischen Bewegung konfrontiert, die sich nicht einfach wegfegen liess. Deshalb sind sie nun gezwungen immer wieder mit der SDF zusammenzuarbeiten. Heute verfolgt die USA die Strategie, das Gebiet östlich des Euphrats als kurdisches Autonomiegebiet unter ihrem Einfluss zu etablieren. Dafür ist eine militärische Zerschlagung der autonomen Selbstverwaltung Nordostsyriens aktuell nicht zielführend. Viel eher wird versucht, die Bewegung von innen politisch und ideologisch anzugreifen. Die Revolution von Rojava steht für freiheitliche Werte, für Kollektivität und Komunalismus, sowie für demokratrischen Konföderalismus. Treffendes Beispiel dafür ist das Öl. Rojava liegt auf wertvollen Ölquellen, aber der Schutz der Umwelt ist wichtiger. Deshalb darf es nicht für Profit, sondern nur für den Gebrauch gefördert werden. Die USA versuchen ihre kapitalistischen Interessen und liberalen Ideen zu verbreiten, indem lokale Kräfte aufgebaut werden. Wichtiges Mittel sind dabei die internationalen Organisationen und NGOs. Sie sollen die aufgebauten Selbstverwaltungsstrukturen unterlaufen, indem die Bevölkerung sich an diese, statt an die eigenen Strukturen wendet. Auch ideologisch stellen sie eine nicht zu unterschätzende Gefahr dar. Eine materialistische Mentalität und die Ideologie der Konsumgesellschaft – das gute Leben ist das Leben, welches reich an materiellen Gütern ist – wird verbreitet. Dazu kommt, dass die internationalen Organisationen Gehälter zahlen, welche im vergleich zu lokalem Standard sehr hoch sind. Dies entzieht der Bewegung ausgebildetes Personal und wichtige Fähigkeiten. Aktuell sieht sich die USA damit konfrontiert, keine starken lokalen Verbündeten zu haben. Es wird versucht, diesen Mangel speziell durch den Aufbau von Beziehungen zur arabischen Bevölkerung wettzumachen. Deshalb ist die Auseinandersetzung und der Einbezug der arabischen Bevölkerung für das Überleben der Revolution so zentral. Rojava ist nicht nur ein Projekt der KurdInnen, sondern eine nachhaltige Perspektive für den gesamten Mittleren Osten. Die Spaltungstendenzen, die in der Geschichte gegen die Völker eingesetzt wurden, wollen eben genau überwunden werden.

Im Kontext der politischen Angriffe der USA sind auch die gezielten Ermordungen von Schlüsselpersonen der Bewegung zu verstehen. Dazu gehört der Drohnenangriff auf Sehid Mam Zeki im Shengal, der Luftangriff auf Qereçox und die Ermordung Sehid Osmans, welcher gerade in der Organisierung der arabischen Bevölkerung eine zentrale Rolle spielte. Auch wenn die Angriffe von der Türkei ausgeführt wurden, muss die USA doch involviert gewesen sein. Sie ist es, die den gesamten Luftraum über Rojava kontrolliert. Zeitgleich zur Wiederaufnahme der Angriffe am Dienstag gab es ein Treffen zwischen amerikanischen und türkischen Vertretern in Ankara. Nicht nur das ist ein klares Signal. Im Anschluss daran rief ein Organ des US-State Departments auch noch zur Dechiffrierung von drei führenden Freunden der PKK auf. Drei bis fünf Mio. Dollar wird für Informationen, die zu deren Ermordung führen, versprochen. Dies ist das erste Mal, dass die USA mit solchen Methoden gegen die kurdische Freiheitsbewegung vorgeht. Das zeigt, wie zynisch es war, als letztes Wochenende US-Panzer an der Grenze auffuhren und sich zwischen türkische und kurdische Kräfte stellten. Geschickt wurde damit ein weiteres Mal vermittelt, die USA stehe für Recht und Ordnung. Die aktuelle Beruhigung geht auf ihre Rechnung und ein positives Image in der Bevölkerung wird gefördert.

Türkei: faschistischer Krieg gegen die KurdInnen

Zwischen diesen Blöcken schlängelt sich Erdogan geschickt durch. Eine Lösung nach US-Strategie, wonach der Osten des Euphrats kurdisches Gebiet wäre, stellt nicht per se ein Problem für die Türkei dar. Wichtig ist nur, dass die lokale Macht unter Einfluss Ankaras steht. Das kurdische Autonomiegebiet im Irak mit Erdogans Schosshündchen Barzani zeigt dies deutlich. Das Hauptziel besteht in der Zerschlagung der kurdischen Freiheitsbewegung, welche die einzige reale Alternative zu Diktatur und imperialistischen Interventionismus im Mittleren Osten darstellt. Die nationale Einheit der Türkei ist historisch eng mit dem Krieg gegen die KurdInnen verbunden und ist des zentrales Moment der Politik Erdogans. Je stärker die kurdische Bewegung wird, desto mehr wird der türkische Nationalstaat, gerade mit den sich verschärfenden faschistischen Zügen, in Frage gestellt. Es überrascht nicht, dass sich die Propagandamaschinerie des türkischen Staates sich momentan voll auf die heftigen Bombenangriffe auf die befreiten Gebiete – Cudi, Media und Kandil – in den Bergen konzentriert.

Der beabsichtigte Kauf russischer Su-57 Kampfjets zeigt die Orientierung der Türkei Richtung Russland.

Diese Allianz geht auf die Astana-Gespräche zwischen Russland, dem Iran und der Türkei 2017 zurück. Das waren die ersten Verhandlungen zu Syrien unter Ausschluss der USA. Damals wie heute geht es der Türkei, Deutschland und Frankreich darum, sich von den USA zu lösen und ihnen gegenüber Verhandlungsmacht aufzubauen. Dies darf aber nicht über die sich wieder verbesserenden Beziehungen zwischen dem türkischen Staat und der USA hinwegtäuschen. Nach der Krise im Sommer gibt es nun einige Zeichen erneuter Annäherungen. Auf offizieller Ebene wird dies mit der Rückkehr des US-Pastors Andrew Brunson in die USA verkauft. Doch dies ist natürlich eine Farce. Wirklich aufschlussreich sind die am 1. November begonnnen gemeinsamen Patroullien des US- und türkischen Militärs im Nordwesten Manbijs.

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Rojava: Die Revolution auf allen Ebenen und international verteidigen

In Rojava wird derweilen der Widerstand weiter aufgebaut. Der Kampfgeist der Bevölkerung ist stark und am 1. November strömten Tausende auf die Strasse. Die Mobilisierung der gesamten Bevölkerung zur Verteidigung ihrer Revolution ist angesichts des kommenden Winters zentral. Es muss mit weiteren Angriffen bis zu einem offenen Krieg der Türkei gerechnet werden. Im Winter verschieben sich die Fronten jeweils von den Bergen nach Rojava. Während die Wintermonate den Guerillakampf erschweren, hat die türkische Armee Kräfte frei, welche gegen Rojava eingesetzt werden können. Auch der Angriff auf Afrin wurde in den Winter eingeleitet. Gerade werden Milizen von Idlib auf die türkische Seite der Grenze verschoben. In diesen Tagen werden1200 islamistische Bandenmitglieder auf Höhe von Gire Spi vom türkischen Militär ausgerüstet. Weitere 500 werden auf türkischer Seite gegenüber Qamishlo stationiert. Ob gegen ideologische, politische oder militärische Angriffe, auf allen Ebenen wird in Rojava die Selbstverteidigung weiter aufgebaut. Sei dies anhand von Bildungen in den zahlreichen Akademien, durch die Selbstorganisierung in den Kommunen oder der inneren und äusseren Verteidigung durch die HPC (Zivile Selbstverteidigungseinheiten), der Assaiys und der JPG / JPY.

In Europa darf den Kriegstreibern und Waffenlieferanten kein ruhiges Hinterland überlassen werden. Es gilt angesicht der Bedrohung durch den Imperialismus eine starke Solidaritätsbewegung aufzubauen. Aber bleiben wir nicht bei der Solidarität stehen, treiben wir den revolutionären Prozess auch bei uns vorwärts. Der Aufbau einer Gesellschaft ohne Krieg, ohne Unterdrückung und Ausbeutung muss weltweit geschehen, um eine Chance zu haben.

(Stand: 7.11.2018)